Kopfüber zum «Weltstar» – George Baselitz

Schwingt die Hufe und ab nach Riehen! Denn heute güggselt der Puck mal in die Nordwestschweiz und auf einen Künstler, der abgehackte Füsse malte, wegen «gesellschaftlicher Unreife» von der Hochschule flog, später die Welt auf den Kopf stellt und im vergangenen Januar 80 wurde. Es geht um George Baselitz. Zu seinem runden Geburtstag zeigt die Fondation Beyeler eine Retrospektive und gibt Einblick in ein überschäumendes und seit sechs Jahrzehnten andauerndes Kunstschaffen. 

Wenn es um George Baselitz geht, der 1938 als Hans-Georg Kern in Sachsen zur Welt kommt und 1961 den Namen seines Geburtsortes Deutschbaselitz annimmt, sind rasch Superlative zur Hand. Vom trockenen «einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit» bis hin zum poppigen «Weltstar»-Begriff wird mit allerlei hantiert, um diesen Mann und seine Bedeutung für die Kunstgeschichte einzuordnen. Die Überschwänglichkeit versteht man spätestens dann, wenn man durch die 11 Säle der chronologisch aufgebauten Schau im Basler Vorort Riehen schlendert.

Georg Baselitz – Saalimpression mit der Werkgruppe «Dresdner Frauen» (1989-1990) und «Der Brückechor» (1983); © Georg Baselitz, 2018; Foto: Dorothee Haarer

Gleich zu Beginn der rund 90 Gemälde umfassenden Ausstellung werden Highlights der frühen Jahre vor 1966 gezeigt. Es sind Werke aus der «Heldenreihe» mit verzerrten Körpern, gehalten in blutig-fleischigen Tönen, die Kriegswunden ahnen lassen und verstören. Im Anschluss folgen die «Frakturbilder», die zwischen ’66 und ’69 entstehen und worin Baselitz Motive – Hundekopf, Mann, Kuh –  in splittrige Fragmente zerlegt und neu zusammensetzt: zu chaotischen Welten in denen Perspektive nicht existiert. Die Zäsur, die des Künstlers Werk zweiteilt, erfolgt 1969. Baselitz will nach wie vor dem Figürlichen treu bleiben, sich aber weniger dem abgebildeten Gegenstand widmen, als der reinen Wirkung des Bildes. Als Konsequenz erschafft er sein erstes Motiv auf dem Kopf und wird schlagartig berühmt. Diesem Schritt ist er nach wie vor treu und bis heute ohne Nachahmer.
In zahlreichen Sujets, unter anderem Porträts – immer wieder malt er seine Frau Elke, sich selbst und Wegbegleiter – spielt er über Jahrzehnte hinweg mit der Welt kopfüber. So vermittelt er seinen Blick auf das Leben und bezieht Stellung zu dem, was um ihn geschieht: mal kritisch, dann rabiat. Nie leise, nie geschmeidig.

Fussspuren auf der Leinwand

Eines seiner Hauptwerke, die 20-teilige Werkserie mit dem Titel «’45» aus dem Jahr 1989 ist als grossflächiges Fries aus quadratischen Holzplatten im Untergeschoss der Fondation zu finden. Der Werktitel bezieht sich auf das Ende des zweiten Weltkrieges. Und die Tafeln, die mit tiefen gitterartigen Kerben versehen sind und expressive Köpfe kopfüber zeigen, wirken wie aufgewühlte Schlachtfelder und vereinen spannungsreich Malerei, Skulptur und Zeichnung miteinander.

Georg Baselitz – «’45» (1989); © Georg Baselitz, 2018; Foto: Dorothee Haarer

Packend sind schliesslich auch die jüngsten Arbeiten aus dem letzten Jahr, wie das Bild «Bis auf weiteres abwärts». Baselitz erschafft dort gleissende neon-rosa Lichtgestalten, deren Beine Bewegungen wie beim Abwärtssteigen vollführen. Da der Maler diese Schritte allerdings zum oberen Bildrand hin setzt, entsteht eine Irritation beim Betrachter. Ist tatsächlich eine bewusste Schrittfolge gemeint? Oder werden hier Füsse Richtung Himmel gesogen? Eindrücke vermischen sich. Verwirren sich. Werden eins.

Baselitz Bildformate sind gross bis gigantisch, der Farbauftrag regelrecht von Raserei getrieben: Dick klebt die Farbe auf dem Bildträger, zeigt deutlich Kratzer oder Fingerspuren. Tatsächlich erkennt man auch immer wieder Fussabdrücke auf der Leinwand. Denn der Künstler läuft über manches Bild, da seine Grossformate oft nur auf dem Boden liegend zu bearbeiten sind.

Mit der Kettensäge

Neben den Malereien sind auch 12 der so unverkennbaren Holzarbeiten des Künstlers mit von der Partie, die jeweils aus einem Stamm geschält und mit der Kettensäge weiterbearbeitet werden. Den Auftakt macht Baselitz’ erste Skulptur. Sie ging 1980 auf der Biennale in Venedig für Deutschland ins Rennen und sorgte für einen kreischenden kulturpolitischen Skandal, deuteten doch die eifrigen Medien fälschlicherweise den ausgestreckten Arm der Liegefigur als Hitlergruss. Im Saal nebenan trifft man auf archaische, gelbbemalte Riesenschädel. Das bildhauerische Schlusslicht geben in Saal 9 der Künstler selbst und seine Ehefrau als überdimensionales Figurenpaar. Mit «Meine neue Mütze» aus dem Jahr 2003 und der ein Jahr später entstandenen «Frau Ultramarin» erschafft Baselitz quasi ein Doppelporträt und verdeutlicht dem Betrachter durch die grobe Beschaffenheit und Monumentalität der Gestalten die eigene Verletzlichkeit.

Georg Baselitz – Saalansicht mit den Skulpturen «Meine neue Mütze» (2003) und «Frau Ultramarin» (2004); © Georg Baselitz, 2018; Foto: Dorothee Haarer

Nach 11 Sälen und einer Zeitreise durch 60 Jahre Künstlertätigkeit ist man am (vorläufigen) Ende dieses wuchtigen Lebenswerks angelangt, das Kurator Martin Schwander eindrücklich in Szene gesetzt hat. Und man steht vor der Tür, mit einem grossen Wunsch im Gepäck: dass das baselitz’sche Schaffen noch lange weitergehen möge.

 

Bis 29. April

https://www.fondationbeyeler.ch/