„Umgang mit Kunst spiegelt die Gesellschaft“
Josef Felix Müller über „Kunst am Bau“
„Unsere Gesellschaft braucht Kunst und Kultur“, ist das Statement von Künstler, Verleger und visarte.schweiz Präsident Josef Felix Müller. Er will die Öffentlichkeit auch weiter für Kunst am Bau sensibilisieren und begeistern. Spardruck hin oder her. Seine Beweggründe erklärt er im Interview…
Manche sagen, Kunst am Bau sei nur eine kostspielige Spinnerei. Stimmt das so? Was für einen Stellenwert hat Kunst am Bau tatsächlich? Kunst und Kultur helfen dabei, Veränderungen einer Gesellschaft innerhalb dieser spürbar zu machen. Ausserdem geht es in einer Gesellschaft auch darum, „Zukunft zu denken“. Dafür ist wichtig, nicht immer nur altes zu reproduzieren, sondern auch neues zu schaffen. Alle Lebensbereiche müssen daran teilhaben. Hierzu gehört auch die Kunst.
Kunst am Bau ist für viele ein abstrakter Begriff. Welches konkrete Beispiel gibt’s hier in der Region St.Gallen? Da fällt mir spontan der rote Platz von Pipilotti ein. Das ist ein Paradebeispiel für einen mutigen und unmittelbaren Eingriff in den öffentlichen Raum. Ein Projekt, das in enger Zusammenarbeit von der Stadt St. Gallen und der Raiffeisenbank geplant wurde.
Kunst am Bau … gibt es da eigentlich sowas wie eine Tradition hier im Kanton St.Gallen? St. Gallen hatte eine Pionierrolle bei Kunst am Bau. Die Uni ist ein Paradebeispiel dafür. In den 50/60 er Jahren ging es da schon los. Damals unter der Schirmherrschaft von Prof. Nägeli. In dieser Zeit hat man sich einer internationalen Strömung angeschlossen und hochkarätige Künstler in die Stadt geholt. Aber auch der Neubau unseres Stadttheaters als Sechseck mit Sichtbeton – inklusive des Wandbildes «Gran Esquinçal» von Antoni Tàpies im Foyer – oder Roman Signers berühmtes Fass reihen sich in diese Tradition ein. Durch all diese Kunstwerke sind viele lebendige Diskussionen entstanden. Die sollten in Zukunft nicht ausbleiben. Da stehen die Stadt St.Gallen und der Kanton in der Pflicht.
Kunst braucht Zeit
Viele Menschen haben generell Mühe mit Kunst und erkennen sie zum Beispiel gar nicht als solche. Deshalb schätzen sie sie dann auch nicht. Kann man dieses Problem lösen? Die Kunst hat es tatsächlich schwer. Van Gogh wurde ja zu Lebzeiten auch als Schmierfink missachtet. Heute sieht es mit seinem Stellenwert ganz anders aus. Da zeigt sich die Langzeitwirkung von Kunst. Mit der Zeit wächst das Verständnis für sie. Über Romans Signers Fass wird heute auch ganz anders gesprochen, als zum Zeitpunkt seiner Aufstellung. Und bei Kunst am Bau ist das eben etwa sehr Spezielles. In dieser Form ist ein Werk permanent anwesend und kann optimal seine Langzeitwirkung entfalten.
Was für eine „Langzeitwirkung“ kann das sein? Kunst sorgt für Diskussionen, für Geschichten. Zudem wertet sie den Standort auf und Kunst hilft dabei, Identität zu stiften. Sie gibt Gebäuden, Orten und Plätzen ein einzigartiges „Gesicht“.
Aber Kunst ist teuer, zweifellos. Und böse Zungen gehen so weit und verurteilen Kunstschaffende selbst als Sozialschmarotzer, die von Steuergeldern leben. Liegen die „Meckerer“ falsch? Bei Aussagen, dass Künstler nur die Hand aufhalten und sich durchfüttern lassen, kann ich nur erwidern: Kunst leistet einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Kunstschaffende erbringen Leistungen, wie etwa ein Auslösen einer Schule des Sehens, damit Menschen die Zeichen der Zeit besser wahrnehmen. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe. Künstler motivieren die Öffentlichkeit, über unsere Welt zu reflektieren.
visarte ist der Berufsverband der bildenden Künstler in der Schweiz. Wird dort konkret gehandelt, um Kunst am Bau lebendig zu gestalten? Oh ja. visarte hat erst letztes Jahr erstmals den PRIX VISARTE vergeben. Bei dem Preis geht es drum, die Öffentlichkeit, aber auch Architekten und Architektinnen oder Bauherrschaften für das Thema zu sensibilisieren. Alle Schweizer Künstlerinnen und Künstler konnten Projekte der letzten Jahre auf einer Homepage aufschalten. Diese wurden von einer hochkarätigen Jury juriert und drei Projekte wurden mit einem Preis ausgezeichnet.
Einseitiges Sparen auf Kosten der Kunst ist falsch
Leider reicht aber ein einsames Engagement seitens des Berufsverbandes nicht aus, um „Kunst am Bau“ zu pushen. Wie könnte eine Lösung „im grossen Stil“ aussehen? Was wären wichtige Schritte? Die Öffentliche Hand muss in die Pflicht genommen werden. Kommissionen müssen dieses Thema gut betreuen. Regelwerke müssen gelten, dass Kunst am Bau IMMER einen Platz bekommt. Es ist wichtig, dass Kunst am Bau NICHT von den Launen der Politik oder der Bauämter abhängen kann. Im Baugesetz müsste festgeschrieben werden, dass mindestens 1 % der Bausumme von öffentlichen Bauten für Kunst eingesetzt wird. Kommissionen müssen auch regelmässig mit neuen Leuten besetzt werden. Da braucht es eine Amtszeitbeschränkung. Durch diese würde ein Erneuerungsprozess gewährt, damit eine lebendige Auseinandersetzung dauerhaft stattfinden kann. Ein schwieriger Punkt in meinen Augen ist der: Der Kanton hat keine klare Strategie mehr, wie und wo Kunst am Bau realisiert werden soll. Das ist sehr schade.
Das klingt ein bisschen danach, als ob Kunst am Bau auf Teufel komm‘ raus realisiert werden müsse. Selbst dann, wenn in den öffentlichen Kassen Flaute herrscht? Der sparsame Umgang mit öffentlichen Geldern ist selbstverständlich auf allen Ebenen wichtig. Der Staat kann aber nicht einfach einseitig bei der Bildung oder der Kultur sparen. Kunst ist immer ein grosser Mehrwert für die Öffentlichkeit und für zukünftige Generationen. Und der Umgang mit Kultur ist immer auch ein Spiegel der Zeit.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch!