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Vom Bild im Kopf zum Bühnenstück

„Was am Schluss auf der Bühne ist, darf anders sein, als das, was ich beim Schreiben im Kopf dazu gesehen habe.“, findet Autorin Rebecca C. Schnyder. Mitte September wird ihr preisgekröntes Stück „Alles trennt“ in der St. Galler Kellerbühne uraufgeführt. Rund zwei Monate vor der Premiere sprach das rothaarige Energiebündel über Traumbesetzungen und Finanzierungs-Knacknüsse.

Rebecca, im Herbst kommt dein neues Bühnenstück Alles trennt zur Aufführung. Wie lange ist dieses Projekt bereits in der „Pipeline“? Oh, schon eine ganze Weile. So richtig nahm die Idee, die Inszenierung des Stücks voranzutreiben, aber 2015 an Fahrt auf.

Gab es einen bestimmten Auslöser? 2015 wurde Alles trennt zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. Das ist ein renommiertes Festival für neue Dramatik,  welches seit 1984 durchgeführt wird. Jährlich werden dort im Rahmen eines Wettbewerbs weit über hundert Werke beurteilt und sechs erhalten eine Einladung zum Festival. Ausserdem werden die eingeladenen Stücke mit einer szenischen Lesung und Autoren- Gespräch der Öffentlichkeit vorgestellt. Als Alles trennt eingeladen wurde, war meine Motivation gross, nun auch richtig damit auf die Bühne zu gehen.

Mit wem setzt du denn dein Projekt um? Seitens Inszenierung/Dramaturgie/Regie sind wir wieder mal als Formation der „Freirampe“ unterwegs. Wir haben bereits 2014 zusammengearbeitet, was sehr gut lief. Und was die Besetzung angeht, haben wir unser „Dream-Team“ gewinnen können. Es besteht aus Doris Strütt vom Kellertheater Winterthur, Judith Koch und Romeo Meyer.

Traum-Trio: Romeo Meyer, Doris Strütt & Judith Koch

Ein Trio als Besetzung klingt nach einer inhaltlichen Dreiecks-Kiste. Eine Dreiecks-Kiste ist es schon irgendwie. Aber anders, als vielleicht erwartet. Prinzipiell geht es um eine hochproblematische, symbiotische und stark auf Macht und Druck angelegte Mutter-Tochter-Beziehung. Und es geht darum, wie ein junger Mann in diese Konstellation hinein katapultiert wird und was dann daraus entsteht….

Wie fühlt es sich an, wenn eine Idee, die man so lange alleine ausgefeilt hat, praktisch von anderen „übernommen“ wird und einen zusätzlichen Drive bekommt? Die Umsetzung auf der Bühne ist ja eigentlich die Erfüllung der Arbeit, da ein Drama nicht als Lese-Stück angelegt ist. Das bedeutet: Selbst, wenn es fertig geschrieben ist, ist es noch nicht fertig. Ich verfolge den Ansatz, dass das, was der Regisseur daraus weiter macht, zwar sein kann, aber nicht sein MUSS, was ich beim Schreiben im Kopf gesehen habe. Und Stefan Camenzind, der das Stück nun inszeniert, vertraue ich voll und ganz.

Zum Schluss noch eine Sache: Das Stück ist da, die Crew ist da… sind denn auch die nötigen finanziellen Mittel für die Umsetzung da? Uff, das ist vermutlich die einzige Knacknuss bei der ganzen Sache. Bei Theater-Produktionen ist die Finanzierung ein echtes Problem. Die ist immer schwierig zu stemmen. Aktuell haben wir daher auch eine Crowdfunding-Kampagne am Laufen, weil wir damit schon einmal tollen Erfolg hatten. Mal abwarten, ob es auch diesmal klappt. Falls nicht, suchen wir eine andere Lösung. Bisher haben wir immer noch eine gefunden.

Danke Rebecca C. Schnyder für die spannende Unterhaltung. Und viel Erfolg beim Crowdfunding. Wer die Produktion von Alles trennt unterstützen will, kann dies übrigens noch bis Mitte September tun. Und zwar hier: 100-days

 

Zum Inhalt von Alles trennt
von Rebecca C. Schnyder

„Zwei für ein Ganzes“: Seit Renata von ihrem Mann verlassen wurde, zählen für sie nur noch der Alkohol und die Beziehung zu ihrem Kind. Um ihre Tochter Lina immer mehr an sich zu binden, zwingt Renata ihr deshalb ein rigides Ordnungssystem auf. Und so beschränkt sich Linas Leben auf die halbtätige Arbeit in der Fabrik, den wöchentlichen Einkauf und auf das Sortieren der zahlreichen Pfandflaschen. Allein ihre Fantasie – angeregt durch Werbeslogans aller Art, welche ihre Weltansicht und Kommunikation formen – verschafft kleine Ausflüchte aus der Struktur. Als eines Tages der Jurastudent Leo auftaucht, um eine Räumungsklage vorbeizubringen, droht die strikte Ordnung zwischen Mutter und Tochter jedoch zu bröckeln.

In kurzen, zarten Episoden entwickelt die Autorin ein zerstörerisches Spiel um Schuld und Sühne und eine berührende Geschichte, in der die Sehnsucht nach individueller Entfaltung Überhand gewinnt, bis der Bruch im „Ganzen“ nicht mehr zu kitten ist.

 

Spieldaten Alles trennt

(Bilder: Rebecca C. Schnyder)

Wir sind auch ein Experimentierfeld …

In St. Gallen gibt es seit der Spielzeit 2013/14 ein unkonventionelles kleines Theater, eine Off-Bühne. Es heisst „Theater 111“ und ist eigentlich viel Verschiedenes in einem: Vom Salon über Konzertlokal bis hin zur Vernetzungsstätte. Insgesamt sieben Theaterschaffende aus der Region St.Gallen gehören zum Gründerteam der Kulturstätte, die als Verein strukturiert ist und deren Mitglied man werden kann. […]

kleinkunst – mit programmen bewegen

wir wollen mit unseren programmen bewegen

Matthias Peter ist im allerbesten Sinne «multifunktional»: Autor, Schauspieler, Kulturjournalist, Regisseur. Im Jahr 2000 erhielt er einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen und 2004 übernahm er die Leitung der traditionsreichen St.Galler Kellerbühne. Aus der Ostschweizer Kulturlandschaft ist er heute nicht mehr wegzudenken. Im Interview durfte ich den Vielbeschäftigten ein bisschen ausquetschen. Zum Beispiel über Kleinkunst im Allgemeinen und Eigenproduktionen im Besonderen….


01_Kulissenklatsch
Matthias, macht es heute eigentlich noch Spass, Kleinkunst anzubieten? Ein leichtes Business ist das ja nicht. Auf jeden Fall macht es Spass! Auch nach elf Jahren, die ich diese Arbeit jetzt schon machen darf. Die Freude besteht vor allem darin, dem Publikum aus dem breiten Angebot der Kleinkunstszene Perlen zu präsentieren Die Zuschauer sollen bei uns ein Programm mit hohem Niveau zu sehen bekommen. Da kommt mir meine Rolle als Kulturjournalist zugut. Nicht nur der Blick des Veranstalters.

Viele Leute haben heute ein ausgeprägtes Event-Denken. Sie suchen auch beim Kultur-Programm «Celebrities». Wie geht die Kellerbühne damit um? Unser Motto lautet „Über die Hintertreppe zum Vordenken“. Wir wollen mit unseren Programmen bewegen und ein bisschen länger in den Köpfen bleiben. Deshalb zeigen wir auch anspruchsvolles Sprechtheater und halten an dieser Programmschiene fest. Nur leicht verdauliche Comedy? Das geht gar nicht. Aber klar: Wir müssen den Zahlen zuliebe Kompromisse eingehen. Denn es stimmt schon, dass bekannte Namen das Publikum anlocken.Neues und Unbekanntes hat es bekanntlich schwerer.

Du wagst es dennoch, No-Names auf die Bühne zu holen. Wieso? Wenn ich neue, unbekannte Namen ins Programm nehme, ist es immer ein Entscheid, diese Namen auch zu pflegen. Dann sind das Leute mit Potenzial, die ich fördern möchte. Mir ist es wichtig, pro Saisondrei, vier neue Gesichter auf die Bühne zu holen.

Heute wird oft von einem Überangebot an Kultur geredet. Ist das ein Thema, das dir Kopfschmerzen bereitet? Nein. Trotz des steigenden Angebotes hat die Kellerbühne kein Publikum verloren. Eher gewinnt sie konstant neue Zuschauerkreise dazu.  In meinem Buch „Applaus & Zugaben“ über die Geschichte der Kellerbühne und der Kleinkunst beschreibe ich, wie sich das kulturelle Angebot in St.Gallen entwickelt hat. Die Eröffnung der Kellerbühne 1965 bedeutete den Beginn der Alternativkultur in der Ostschweiz. Zwanzig Jahre später kamen die Grabenhalle und das Kinok hinzu. Ab Mitte der 90er Jahre, quasi explosionsartig, Kugl, Palace, sommerliches Kulturfestival und so fort…Ich denke, dass wir mit der Fragmentierung von Gesellschaft und Interessen leben können.  Durch ihr breitgefächertes Angebot erreicht die Kellerbühne ein grosses Stammpublikum.

Je spezieller der Spielplan, desto grösser auch das finanzielle Risiko.. Wie kann man heutzutage noch wirtschaftlich Kunst/Theater machen? Uns gelingt das mit dem bewussten Wechsel von Saalfüllern und neuen Gesichtern. „Zugpferde“ wie etwa Simon Enzler, Heinz de Specht oder die Ex-Acapickels  tragen die anderen mit. Ausserdem haben wir einen grossartigen Mitarbeiterstab, der bereit ist, für wenig Geld super Einsatz zu bringen.

Im Herbst bringst du wieder eine Eigenproduktion raus. Eine szenische Lesung. Sie heisst «Kulissenklatsch ! – Ulrich, Karl, Lora & das alte Theater am Bohl». Grundlage dafür bot der 1909 veröffentlichte St.Galler Theaterroman «Die Brokatstadt» von Viktor Hardung.  Warum hast du gerade dieses Werk in Szene gesetzt? Hardungs Buch ist der erste moderne St. Galler Stadtroman. Man kann daraus viel über unsere lokale Kulturgeschichte erfahren. Es ist mir wichtig, nebst dem Gastspielbetrieb, auch St.Galler Themen aufzugreifen.

Welche St.Galler Themen meinst du damit? Verrätst du ein bisschen mehr? Man erfährt, dass St. Gallen das älteste feste Berufstheater der Schweiz hat. Weil sich die florierende Textilstadt das leisten konnte und wollte. Der erste Standort war übrigens da, wo heute die Kantonspolizei sitzt. 1857 wurde dann das Stadt- und Aktientheater am Bohl errichtet, welches Hauptschauplatz des Romans ist. Man bekommt aber auch vermittelt, dass eine Schauspielerin kaum von ihrer Gage leben konnte. Sie musste aus reinem Pragmatismus einige Verehrer haben, die ihr beispielsweise Kleider schenkten. Das  Bürgertum hat sie dafür als zwielichtige Person abgestempelt. Mit Staunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Diskussionen um die Aufgaben der Bühnenkunst und der Kritik unverändert aktuell geblieben sind. Sich mit all diesen Sachen zu befassen, zu sehen, woher das Theater in St.Gallen kommt, was es sein wollte und was es effektiv war, ist spannend und verweist implizit auf die Gegenwart. Ich freue mich schon darauf, wenn sich am 22. September zum ersten Mal der Vorhang dafür hebt!

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier gibts mehr Infos zu Kulissenklatsch und Spielplan Kellerbühne