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Emotionen beherrschen, cooler werden: ein Buch dazu

„Wenn jemand dir sagt, dass etwas unmöglich sei, so denke dran: Es sind seine Grenzen – nicht deine“. Das Buch, in dem dieser und viele andere recht anregende Sätze stehen, habe ich mir über die Weihnachtstage zu Gemüte geführt. Sein Titel „Denken wie ein Shaolin“ ist zwar nicht unbedingt nach meinem Geschmack. Aber der Inhalt ist spannend. Für alle, die noch auf der Suche nach Vorsätzen fürs neue Jahr sind, daher hier zwei Vorschläge: 1. Buch lesen. 2. Den ein oder anderen Gedanken daraus mal genauer unter die Lupe nehmen.

Zugegeben: Um ein Buch mit dem Titel „Denken wie ein Shaolin – Die sieben Prinzipien emotionaler Selbstbestimmung“ hätte ich in der Buchhandlung vermutlich einen grossen Bogen gemacht. Da es aber als Geschenk von einer Person meines Vertrauens auf meinem Gabentisch gelandet ist, habe ich doch einen Blick hinein geworfen. Und war baff.

Der Autor heisst Bernhard Moestl. Als einer von ganz wenigen Europäern hat er bei einem Grossmeister der Shaolin-Mönche in China deren Philosophie erlernt. Einige Aspekte daraus vermittelt er in insgesamt sieben Schritten in diesem Buch.

Im Kern des Ganzen steht das Problem, klares Denken und kluge Entscheidungen aufzugeben und nicht mehr im Griff zu haben, sobald man sich gefühlsmässig verstrickt. Sei das nun im Job, beim Chef-Gespräch. Oder privat – bei Stress in der Beziehung oder beim Ringen mit dem eigenen Selbstwertgefühl….

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Beim ersten Blättern dachte ich, es gehe drum, Emotionen abzustellen und sich dadurch Coolness und Gelassenheit anzueignen. Beim genaueren Lesen wurde mir aber klar, dass es eben gerade darum NICHT geht: kalt wie ein Fisch zu werden. Vielmehr hebt Moestl darauf ab, Situationen, die emotional aufgeladen sind mit bestimmten Techniken richtig einzuordnen und dann auch angemessen darauf reagieren zu können.

Emotionen verändern unsere Wahrnehmung

Insgesamt führt er den Leser durch sieben Kapitel, die alle ein bestimmtes „Prinzip“ behandeln. Beispielsweise Kapitel 2: Das „Prinzip der Abgrenzung“ . Hier beschreibt Moestl, wie es gelingen kann, die eigenen Handlungen von denen eines (evt. übel gesinnten) Gegenübers abzugrenzen. Also z.B. sich nicht um Kopf und Kragen zu reden, nur um auf einen dummen Kommentar zu reagieren – oder enttäuscht zu sein, wenn eine Person sich anders verhält, als man es von ihr erhoffte. Der Autor erinnert: „Jedem steht es frei zu tun, was er möchte. Und jedem steht es frei, darauf zu reagieren, wie er will.“

Sobald es einem gelingt, sich dies bewusst zu machen (und dann auch noch das eigene Verhalten darauf auszurichten) nimmt man zum Beispiel falschen Erwartungen den Nährboden.

Eine andere, für mich sehr eindrückliche Aussage Moestls war diese: „Emotionen haben eine… sehr unangenehme Eigenschaft: Sie verändern unsere Wahrnehmung derart, dass sie sich gleichsam selbst verstärken“.

Er beschreibt dazu, wie er sich einmal in einer dunklen Gasse verfolgt fühlte- und aus Angst fast einen anderen Passanten vermöbelt hätte. Einfach aus Furcht vor einem vermeintlichen Angreifer, der tatsächlich nur ein Mensch war, der auch schnell durch die Dunkelheit hetzte. Wie so oft, macht man sich also auch in diesem Fall die eigene Welt im Kopf…

Mein Fazit

Was Moestl beschreibt, ist sehr nachvollziehbar und man denkt immer wieder: „Ahhh, genau!!!“ Die Tipps und Anregungen, die er für Verhaltensänderungen liefert, sind logisch und mit etwas Übung auch dauerhaft umsetzbar. Damit ist das Buch als echtes „Handbuch für mehr emotionale Gelassenheit“ geeignet.

Auch wenn ich selber leider NIEMALS so cool und stets richtig handelnd wie ein Shaolin- Meister werde: Die ein oder andere schlaue Verhaltensweise will ich mir für die Zukunft wirklich zu eigen machen. Mit zwei Gewissheiten: Ich mache mir selbst damit das Leben deutlich leichter. Und den Menschen, mit denen ich Tag für Tag zu tun habe, auch.

Bernhard Moestl: Denken wie ein Shaolin: Die sieben Prinzipien emotionaler Selbstbestimmung , Knaur Verlag 2016, ISBN: 978-3-426-21401-5

(Bild: http://www.moestl.com/profil.php)

 

Lesen! „Der Mann, der das Glück bringt“

Über den neuen Roman von Catalin Dorian Florescu.

Der rumänisch stämmige Schriftsteller Catalin Dorian Florescu gewann vor fünf Jahren mit seinem Roman „Jacob beschliesst zu lieben“ den Schweizer Buchpreis dank seiner bilderreichen Sprache und seiner Fabulierfreude. Nun erschien im vergangenen Februar sein neuer Roman „Der Mann, der das Glück bringt“ und begeistert wiederum Leserinnen und Leser. Edith Peyer von der St.Galler Bücherinsel gibt weitere Einblicke…

Florescus Erzähltalent reisst mit und seine Sprachkraft lässt beim Lesen unvergessliche Bilder im Kopf entstehen. Die unterschiedliche, sich über ein Jahrhundert erstreckende Geschichte zweier Familien erzählen sich abwechselnd deren Nachkommen Ray und Elena und gewinnen so allmählich Vertrauen zu einander. Sie begegnen sich zufällig in einem Kellertheater in New York; Ray probt für seinen Auftritt als „Mann, der das Glück bringt“ und die aus Rumänien hergereiste Elena flüchtet vor dem durch den Einsturz der Zwillingstürme entstandenen apokalyptischen Chaos in eben diesen Keller.

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Als Leser erleben wir, wie sich Rays Grossvater als Waise vor mehr als hundert Jahren  in einem Einwanderer-Ghetto New Yorks durchschlägt, dann folgen wir Elena in das archaische Fischerdorf im Donaudelta Rumäniens, weg von dem pulsierenden New York.  Farbig, erfindungsreich und mit vielen komischen, aber auch drastischen Szenen lässt Florescu mit den beiden Erzählstimmen ein Jahrhundertpanorama aus der Sicht der zu kurz Gekommenen vor dem Leser entstehen.

Bewertung

Man kann vielleicht  die überfülle des Romanstoffes kritisieren, aber  die meisterhaft geschriebenen Episoden überzeugen und bereiten grosses Lesevergnügen. Allein die hinreissend gestaltete Figur des Grossvaters berührt uns und erinnert an Dickens Held: Als armer Zeitungsverkäuferjunge will er im Vaudeville Sänger werden und so nennt er sich kleiner Caruso. Ebenso berührend schildert Florescu das von Aberglauben geprägte Leben der Fischer im Donaudelta. Da steht die Zeit still und Vanea, Elenas vermutlicher Grossvater, sinniert stundenlang über einen Reiher, der auf einem Bein stehen kann.

Detailreich und voller Gegensätze ist dieser Roman. Wer sich auf ihn einlässt, wird ihn lieben, denn er spiegelt unser Leben in all seinen Facetten.

 

Vorgestellt von Edith Peyer, Bücherinsel, St.Gallen

Catalin Dorian Florescu: Der Mann, der das Glück bringt
Roman H. Beck Verlag, 2016
ISBN 978-3-406-69112-6, Fr. 28.90

Buchtipp: Jane Gardam – „Eine treue Frau“

Das Buch „Eine treue Frau“ der Autorin Jane Gardam spielt zur Zeit des British Empire in der Kronkolonie Hongkong. Zum ersten Mal nach dem Krieg reist Betty, eine junge Schottin, wieder nach Hongkong, wo sie ihre Kindheit verbracht, ihre Freunde gefunden und die Sprache gelernt hat. Sie erhält von dem jungen Edward Feathers, einem sehr erfolgreichen Anwalt des britischen Empire, einen Heiratsantrag, der wegen seiner Korrektheit und Nüchternheit erahnen lässt, dass die Ehe nicht auf Leidenschaft, jedoch auf Beständigkeit aufgebaut sein wird.
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Betty verspricht Edward, ihn nie zu verlassen, obwohl sie wenige Stunden nach diesem Versprechen ihrer grossen Liebe Terry Veneering, dem Erzrivalen ihres Verlobten, begegnet und eine leidenschaftliche Nacht mit ihm verbringt. Betty und Edward leben eine einvernehmliche Ehe, in der Edward sich in seiner Arbeit vergräbt, während Betty sich in Wohltätigkeit übt, nachdem sie eine Fehlgeburt erlitten hat und nach einer Operation keine Kinder mehr bekommen kann.
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Ein ruhiger Lebensabend in England, in dem sich Edward der Vogelbeobachtung und Betty der Gartenarbeit widmet, endet mit dem plötzlichen Tod Bettys beim Tulpenzwiebelsetzen.
Einige Jahre nach Bettys Tod zieht ins Nachbarhaus Terry Veneering ein, kein Zufall, da sich in dieser Gegend viele pensionierte Anwälte niedergelassen haben. Ein Missgeschick Edwards bringt die beiden Erzrivalen zusammen und man erfährt, dass Edward gar nicht so „unwissend“ war, wie man vermutet hat.
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„Eine treue Frau“ ist ein witziges, humorvolles Buch, dem es aber keineswegs an Tiefgang mangelt. Ein Lesevergnügen, very british.
Vorgestellt von Ines Welte, Bücher-Insel, St. Gallen

Ein Büchlein zur Weihnacht: Tamangur

Tamangur heisst die Hochebene mit ihrem Arvenwald über Scharl und nach ihr nennt die Lyrikerin Leta Semadeni ihren ersten Roman, eine Grossmutter-Kind-Geschichte. Sie spielt in einem Unterengadiner Dorf, das über der steilen Schlucht im Schatten der Berge liegt. Tief unterhalb zwängt sich der Fluss durch den Fels der Grenze zu. „Nicht mehr als ein Fliegendreck auf der Landkarte“, sagt die Grossmutter über das Dorf.

IMG_4045b2Sie hatte viele Städte in der Welt gesehen, allein, später mit dem Grossvater. Wie er ihr fehlt, ihr verstorbener Mann, der Jäger mit den seidenen Füssen! „Davongemacht hat er sich, nach Tamangur“ klagt sie dem Kind und blickt dabei zur Decke. Dort, über den Wolken muss Tamangur sein, denkt das Kind. In seinen Träumen aber muss es immer wieder erleben, wie der Fluss vor seinen Augen den kleinen Bruder, Mutters Sonnenschein, mit sich fortriss. Die Mutter hatte in ihrer Trauer nicht die Kraft zum Verstehen, wie hilflos das Kind war, und damit zum Verzeihen. Nur die Grossmutter kann diese aufbringen, denn sie hat ein grosses Herz und sie weiss, „wie man auf vernünftige Art am Leben bleibt“. In ihrem grossen Herzen gibt es auch Platz für die Seltsamen im Dorf, besonders für die verrückte Elsa, die manchmal ihren unsichtbaren Geliebten Elvis zum Abendessen mitbringt und mit ihren Einfällen Grossmutter und Kind überrascht.

Ein literarisches Kleinod aus dem Unterengadin – „würzig“ wie der Duft der aus Arvenholz gedrechselten Schale

Leta Semadeni schuf ein Prosawerk, das unmittelbar ergreift. Es besteht aus einzelnen, assoziativ verbundenen Geschichten rund um die Grossmutter und das Kind. Mit viel Wärme und Empathie für ihre Figuren, die stark und schwach, und manchmal erfrischend skurril sind, fasst die Dichterin in Sprache, was unser Menschsein ausmacht. Ihre bilderreiche, einzigartige Sprache lädt Leserinnen und Leser zum Wiederlesen ein.

Über die Autorin

Leta Semadeni, geboren in Scuol, im Unterengadin, lebt und arbeitet in Lavin. Sie schreibt hauptsächlich Lyrik auf Romanisch oder Deutsch. Ihre Gedichte übersetzt sie jeweils selbst in die andere Sprache. 2011 erhielt sie den Literaturpreis des Kantons Graubünden und den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung.

 

Das Buch: Leta Semadeni: Tamangur, Roman, Rotpunkt Verlag Zürich, 2015, 144 S. gebunden.

ISBN: 978-3-85869-641-0

 

Empfohlen wurde „Tamangur“ von Edith Peyer, Bücherinsel, St. Gallen.

 

 

Veranstaltungshinweis: Autorenlesungen im 2016

Do, 28. Januar 2016, 19:30 Uhr
Leta Semadeni liest in Gottlieben
Die bekannte Engadiner Lyrikerin Leta Semadeni liest im Bodman-Haus in Gottlieben am Bodensee aus ihrem ersten Roman Tamangur.
Bodman-Haus, Am Dorfplatz 1, 8274 Gottlieben
Di, 22. März 2016, 19:30 Uhr
Leta Semadeni liest in Baden
Die Engadiner Lyrikerin und Autorin Leta Semadeni liest im Rahmen von »Baden liest« in derBuchhandlung Librium aus ihrem ersten Roman Tamangur.
Buchhandlung Librium, Theaterplatz 4, 5400 Baden
Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.

deins oder meins? infos zum urheberrecht

Früher oder später erwischt sie einen doch: Die Frage nach dem Urheberrecht. Entweder, weil man als Kunstschaffender Werke anderer Künstler für die eigene Arbeit nutzen möchte. Oder weil man per Zufall feststellt, dass ein eigenes, mit Herzblut erschaffenes Werk von anderen kopiert, adaptiert, remixt wird. Dann hat man ganz schnell Fragen im Kopf: Wie sind Werke überhaupt geschützt? Ab wann darf man sie verwenden? Und was heisst denn eigentlich „geistiges Eigentum“? Es lohnt sich daher, sich bereits vor dem Tag X  ein wenig mit der Materie zu befassen. Hier etwas „Starter“-Input.

 

Die meisten Kunstschaffenden wissen heute, dass ein Gemälde, eine Komposition oder ein Gedicht im Regelfall einem urheberrechtlichen Schutz unterliegen. Auch ist bekannt, dass dieser Schutz üblicherweise 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt. Dann wird dieses Werk Teil der „Public Domain“, zu deutsch: Gemeinfreiheit – und darf ab diesem Moment problemlos verwendet werden. Damit hört bei vielen ihr Know-how zur Sache aber schon wieder auf. DSC_1144

Doch es gibt natürlich noch viel mehr, was man zu Urheberrecht, Gemeinfreiheit und Public Domain sagen kann. Jurist und Autor Martin Steiger hat Fakten dazu in einem eben erschienenen Buch (mit dem Titel „Public Domain“) auf den Punkt gebracht. Hier eine winzige Auswahl daraus.

Die 70 Jahres-Regel ist etwas zu allgemein. Eine Differenzierung ist nötig. Denn es gilt: Bei Software dauert die Frist lediglich 50 Jahre. Bei unbekannten Urhebern erlischt der Schutz 70 Jahre nach Publikation des jeweiligen Werkes — und und und…

Es gibt überdies viele Werke, die nie urheberrechtlich geschützt waren. Zu diesen zählen etwa Gesetztestexte, Behördenberichte oder Protokolle. Des Weiteren fallen in die Kategorie der ungeschützten Werke aber auch „künstlerische Arbeiten“. Und zwar solche, denen ein ausreichender individueller Charakter fehlt und die „deshalb die sogenannte Schöpfungshöhe nicht erreichen“.

Ein Urheberrecht entsteht automatisch

Das Urheberrecht an einem Werk entsteht automatisch, sofern bestimmte Kriterien erfüllt sind. Selbst dann, wenn der Urheber es gar nicht will. In der Schweiz – anders als in den USA – ist es aus diesem Grund unmöglich, das „Urheberrecht an einem eigenen Werk vollständig aufzugeben“.

Sobald ein Werk in der Public Domain ist, dürfen Erben und andere Rechteinhaber den Zugang dazu nicht verweigern, einschränken oder nur kostenpflichtig gestatten. Ihnen fehlt die „urheberrechtliche Verfügungsmacht“.

Dennoch gewährt die Public Domain noch lange keinen Anspruch auf freien Zugang zu einem Werk , ebenso wenig wie dessen uneingeschränkte Nutzung. Ein gutes Beispiel dafür sind Museen. Sie machen etwa ihre Hausordnung geltend und verbieten so z.B. das Abfotografieren von Bildern. Das ist völlig legitim.

 

Zum Buch „Public Domain“

Martin Steiger informiert über noch viel, viel mehr. Und ich kann jedem, der sich für das Thema „Urheberrecht“ interessiert nur ans Herz legen, einen Blick in dieses Buch zu werfen. Es ist kurzweilig zu lesen und sensibilisiert dennoch intensiv und informativ für die Materie.

Ich bin im Oktober in Frankfurt auf der Buchmesse darauf gestossen und lege es seitdem kaum mehr aus der Hand. Steiger schreibt übrigens in diesem Buch nicht alleine.  Eine Reihe sehr kompetenter Co-Autoren behandeln neben Steigers Beitrag zu  „Public Domain im Urheberrecht“ alle möglichen Bereiche bis hin zum„Rebloggen als Kulturtechnik“. Da ist also für jeden etwas Wissenswertes drin.

Was mir besonders an dieser Publikation gefällt ist:

  • Man spürt, dass die Schreiber wirkliches Know-how mitbringen.
  • Die Texte sind bestens zu lesen. Kein Fach-Kauderwelsch und keine Endlossätze.
  • Zudem sind die einzelnen Kapitel verhältnismässig kurz, dafür knackig. Man muss sich nicht erst durch viele Seiten wühlen, bis man endlich mal auf eine informative Aussage trifft.
  • Am Ende jedes Beitrags dachte ich: „Wow, da hab ich echt was dazugelernt“.

Mein Fazit: So macht das Lesen von Fachliteratur Spass.

Das Buch: Migros-Kulturprozent, Dominic Landwehr (Hg.): Public Domain – Edition Digital Culture 3, 252 S., Christoph Merian Verlag 2015

ISBN: 978-3-85616-657-1

Lesen?Lesen! „Löwen wecken“

Ayelet Gundar-Goshen erster Roman „Eine Nacht, Markowitz“ erhielt viel Lob und wurde mit dem Sapir-Preis als bestes israelisches Debut ausgezeichnet. Nun legt die junge israelische Schriftstellerin und Psychologin mit ihrem zweiten Roman „Löwen wecken“ ein Werk vor, das an Brisanz, Tiefgang und Spannung die Leserschaft umtreibt.

Worum es geht

-Der Neurochirurg Etan Grien beschuldigt seinen ihm vorgesetzten Kollegen der Korruption, was zur Folge hat, dass Grien in die Wüste, nach Beer Schewa „zwangsversetzt“ wird.

Hier erlebt er eines Nachts etwas vom Grauenvollsten, was einem Menschen im Leben widerfahren kann. Er überfährt einen illegal eingewanderten Eritreer. Grien sieht schnell, dass nichts mehr zu machen ist, fährt davon und lässt den Sterbenden am Strassenrand liegen. Am folgenden Tag steht eine grosse, schöne Frau an seiner Tür und bringt ihm seine Brieftasche zurück. Diese hat er am Ort, wo er ihren Mann überfahren hat, liegengelassen. Grien bietet ihr Schweigegeld an. Aber die Frau verlangt von ihm, dass er jede Nacht nach der Arbeit im Krankenhaus illegale Einwanderer in einer primitiven Garage behandelt. Grien bleibt nichts anderes übrig, als diese Forderung zu erfüllen, die ihn bald an seine psychischen und physischen Grenzen bringt. Vor allem aber auch gerät er in schrecklichen Beweisnotstand gegenüber seinem Arbeitgeber und seiner Familie.  Dazu kommt, dass Griens Frau als Kriminalbeamtin auf den Fahrerflucht-Fall angesetzt wird. Nachdem auch mit Israel in Disharmonie  lebende Beduinen als Täter verdächtigt werden, gerät Etan Grien immer tiefer in den Abgrund…

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Der Wert eines Menschenlebens

Das Buch bewegt zutiefst und stellt Fragen: Wie viel Wert ist ein Menschenleben? Ist das Leben eines illegalen Einwanderers, eines Flüchtlings weniger wert als andere Leben? Und schliesslich: Wie hätte ich in einer solchen Situation gehandelt?

Empfohlen wurde „Löwen wecken“ von Ines Welte, Bücher-Insel, St. Gallen

 

Das Buch:

Ayelet Gundar-Goshen – Löwen wecken. (Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama)

Verlag KEIN & ABER, 2015, ISBN: 978-3-0369-5714-2

Und für die, die noch mehr Informationen wollen: Hier geht es zum Interview mit der Autorin auf der Website von KEIN & ABER über ihr Löwen wecken

neu aufgelegt: „untertauchen“

Lydia Tschukowskajas Roman „Untertauchen“ war lange Zeit vergriffen. Nun bringt der Dörlemann Verlag eine Neuedition des Werkes heraus. Die Literaturkennerin Edith Peyer hat das Werk in seiner Neuauflage gelesen und findet: „Tschukowskaja gelang es, ein schweres, beklemmendes Thema in ein literarisches Kunstwerk zu verwandeln.“

 

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Lydia Tschukowskaja

Die Handlung

Die Protagonistin Nina Sergejewna verbringt einige Wochen im Winter 1949 in einem Sanatorium für Künstler auf dem Lande nördlich von Moskau, um in der Stille unterzutauchen, sich dabei ihren quälenden Erinnerungen stellen und sie in einem  Roman verarbeiten zu können wie sie in ihren Tagebuchnotizen schreibt. Der Schmerz über den Verlust ihres geliebten Mannes Aljoscha, er wurde vor 12 Jahren von Stalins Schergen grundlos verhaftet mit sogenanntem „Briefverbot“,  und die Frage, ob er noch lebt, vielleicht in einem jener berüchtigten Straflager oder umgebracht wurde, sind Themen ihrer Notizen sowie die winterliche Landschaft, Gedichte und Begegnungen mit den anderen Künstlern. Erfährt sie vielleicht etwas über Aljoschas Schicksal von ihrem Tischnachbarn, dem Schriftsteller Bilibin, der jahrelang als Gefangener in einem Lager unter den härtesten Umständen schuften musste? Schreiben und diskutieren die anderen Kurgäste nur nach der von der Partei vorgeschriebenen platten Kunstästhetik?  Und Bilibin? Wie und was schreibt er in seinem Roman über das Straflager, von dem er ihr auf langen Spaziergängen stockend berichtete?

 

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Tschukowskajas Alter Ego

Die Figur Nina Sergejewna ist unverkennbar Lydia Tschukowskajas Alter Ego. Ihr Mann, der Physiker Matwej Bronstein, wurde 1937  deportiert und sie selbst blieb seither ohne Nachricht von ihm. Erst viele Jahre später erfuhr sie, was das hiess, „Gefangenschaft ohne Briefkontakt“ – ein Euphemismus für „sofortige Erschiessung“. Lydia Tschukowskaja verwandelte in„Untertauchen“ ihr erfahrenes Leid in grossartige Literatur. Ihre Naturbeschreibungen sind reine Poesie, ihre Figuren fein gezeichnet.  Wie sie mit leiser Ironie die verlogene Atmosphäre im Sanatorium, ein Abbild der Sowjetgesellschaft, beschreibt ist bewundernswert. So erstaunt es nicht, dass „Untertauchen“ erst 1988 in der UDSSSR erscheinen konnte.

Auf Deutsch erschien dieses tief berührende Werk erstmals 1975 im Diogenes Verlag, meisterhaft übersetzt von der inzwischen verstorbenen Svetlana Geier.

Nun veröffentlichte der Dörlemann Verlag eine Neuedition der lange Zeit vergriffenen Ausgabe und ergänzte sie mit Tschukowskajas Rede vor dem sowjetischen Schriftstellerverband, der sie 1974 ausschloss. Es ist eine Rede voller Widerstandskraft und damit ein Zeugnis für Tschukowskajas absolute Verpflichtung zur Wahrheit. Hansjürgen Balmes verfasste  zu dieser Edition das Nachwort.

 

Für diese auch äusserlich sorgfältig gestaltete Neuauflage sei dem Dörlemann Verlag herzlichst gedankt und dem Buch wünsche ich viele Leserinnen und Leser. (Edith Peyer)

Empfohlen von Edith Peyer, Buchhandlung Bücher-Insel, St.Gallen

Und wer noch eine andere Meinung wünscht — hier gehts zur Buchrezension der NZZ

 

Das Buch: Lydia Tschukowskaja: Untertauchen, Dörlemann Verlag

ISBN 978-3-908778-63-9

lesenswert: „ein leben mehr“ von jocelyn saucier

BUCHTIPP

Jocelyn Saucier, Ein Leben mehr – Suhrkamp/Insel Verlag,  192 S.

Der Roman handelt von drei alten Männern, die einsam in den nordkanadischen Wäldern leben, die ihre Freiheit und die Natur lieben. Sie wollen vor allem ihren Lebensabend selbstbestimmen. Sie jagen, sie schwimmen, träumen vor sich hin und auch der Whiskey spielt eine grosse Rolle. Doch dieses gemütliche Dasein hat ein Ende, als ein jüngere Fotografin auftaucht und auf der Suche nach einem der Männer ist. Als auch noch eine zerbrechlich wirkende 80 Jahre alte Dame aufkreuzt, entsteht etwas zwischen diesen Menschen, das den Leser überrascht.

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Ein wunderbar warmherziges, berührendes Buch voller Schönheit, ein Roman über Liebe, Schmerz und Kunst. Absolut empfehlenswert.

 

„Ein Leben mehr“ ist der vierte Roman der kanadischen Autorin Jocelyn Saucier und der erste, der auf Deutsch übersetzt wurde. Im Original erschienen ist er unter dem Titel Il pleuvait des oiseaux (OT) (XYZ éditeurs). Derzeit wird er verfilmt.

ISBN: 978-3-458-17652-7

 

Empfohlen von Barbara Häberlin, Buchhandlung Bücher-Insel, St.Gallen

zum schmökern: „das kunstwerk“

Der mittlerweile steinalte Schriftsteller, Maler und Kunstkritiker John Berger (*1926) zählt nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsautoren in Sachen Kunst-Kapieren. Wieso das so ist, lässt sich vielleicht am Besten anhand seiner Buchs „Das Kunstwerk“, erklären. Es ist zwar schon ein Literatur-Oldie, 1985 unter dem Originaltitel „The Sense of Sight“ erschienen, aber „Oldies are (eben oft) Goldies“.

Berger gelingt es nämlich, auch komplizierte Themen leicht verständlich zu erklären. Und er nimmt bei allem, was er beschreibt, seine ganz persönliche Sichtweise ein, ohne dabei belehrend zu wirken.

Viele selbsternannte oder studierte Experten werfen ja gerne mit allerhand unverständlichen Fachworten um sich. Und dass, wo sie einem doch eigentlich leicht verdaulich und nachvollziehbar erklären sollten, was man ohnehin oft nicht kapiert: Zum Beispiel, wieso der eine blaue Fleck auf Leinwand tausende von Franken wert. Und der andere nur ausgelaufene Farbe?

Alle, die sich bisher verloren gefühlt haben – und dumm – fühlen sich sicher besser, sobald sie Berger gelesen haben. Und auch die, die viel Ahnung haben, freuen sich vielleicht, in Berger einen Autor mit Bodenhaftung zu finden. Einen, der Kunst als Freude für jeden sieht – und nicht als etwas, wofür man akademische Weihen braucht.

Tolle Texte, die neue Blickwinkel liefern

Sein Buch Das Kunstwerk bietet acht kurzen Essays mit Titeln wie „Die Augen Claude Monets“ oder „Dürer-Ein Bildnis des Künstlers“.

Um nur ein Essay kurz anzureissen: Wer Dürer kennt, weiss, dass dieser geradezu besessen war von seinem eigenen Bild, seiner physischen Erscheinung war. Seine vielen Selbstporträts, in einer Zeit wo Selfies noch kein Thema waren, zeugen davon. Und auch viele kunsthistorische Texte befassen sich ja damit. Aber Berger schafft es, auf eine besondere Art davon zu schreiben. Er bringt die Erschaffung der Porträts sehr menschlich in Bezug zu Dürers Stolz, seiner Eitelkeit und dem Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein. Und er befasst sich mit Dürers lebenslanger Angst vor dem Tod. Absolut lesenswert.

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Mein Fazit: Für diejenigen, die sich ohnehin für Bildende Kunst interessieren, schafft Berger mit seinem Buch einen zusätzlichen Anreiz, das auch weiter zu tun. Und für Leute, die üblicherweise eher einen Bogen um jede Museumstür machen, gibt Berger schöne Hilfestellungen. Er zeigt, das auch „alte Schinken“ viele topaktuelle Themen enthalten und „Altes“ nicht verstaubt sein muss. Vielleicht motiviert es ja den ein oder anderen, sich einmal mit dieser Materie auseinanderzusetzen (und schliesslich auch die Mittelalter-Sammlung eines Museums mal mit Neugier zu durchstreifen?).

 

John Berger: Das Kunstwerk – Über das Lesen von Bildern, 23. Ausg., Berlin 2005

ISBN: 3 8031 1128 5