alessandra beltrame (sg)

Alessandra Beltrame sagt über sich:

Der Kern meiner Kunst sind die Grundprinzipien von Demokratie und Freiheit. Die Projekte und Installationen entstehen meist vor Ort. Es braucht Zeit, um Kunst von Hand herzustellen. Und es braucht meine Anwesenheit als Künstlerin, als Mensch. Diese „Präsenz“ vor Ort verleiht meinen Arbeiten eine Dimension der Tiefe.

Website Alessandra Beltrame

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REFUGEE BOAT 2015. Installation (aus Gras) , Ausschnitt, Salem Art Works NY 2015

Jeder einzelne Grashalm ist ein Mensch.

In einem Boot, in einem Ozean,

in eine andere Zukunft.

 

 

 

 

„young artists on campus“ an der hsg (sg)

Jeder der in der Region lebt, hat schon von ihr gehört: Von der HSG St. Gallen. Was dennoch die wenigsten wissen ist, dass dort auch Werke weltbekannter Künstler ein Zuhause haben. Diese „Wissenslücke“ will die HSG nun schliessen.  Der Anlass „Intervention – Young Artists on Campus“ bietet vom 28.9. bis 2.10. Workshops, Gespräche und Führungen mit jungen Kunstschaffenden, die helfen, sich an das Thema „Kunst“ heranzutasten. Eine tolle Chance für Studierende, Dozierende und Bevölkerung, „ihre“ HSG mal ganz anders kennen zu lernen.

 

Christina Lüthy, Projektleiterin von „Young Artists“, hat ein bisschen über ihre Idee erzählt.

Wie kam es zu der Idee, eine derartige Veranstaltung durchzuführen? Wieso „Neulinge“ an Bord holen, wo doch internationale „Superstars“ in der Sammlung der HSG zu finden sind und man mit diesen grossen Namen auch Publikum anlocken kann? Christina Lüthy:  Die Idee für  die Intervention kam, weil die Kunst an der HSG in unseren Augen in der Öffentlichkeit aber auch bei den Studierenden zu wenig wahrgenommen wird. Wir wollten temporär jüngere Kunstpositionen an die Uni bringen, die etwas weniger „klassisch“ sind und sich mit ihrer Präsenz (Performances, Aktionskunst, Multimediale Installationen) stärker in den Alltag der Studierenden einbringen. So machen sie Kunst an der Universität als Ganzes sichtbar. Zudem wollten wir den Dialog über Kunst auf dem Campus anregen.

kunstsammlungen neu entdecken

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In der Einladung heisst es, man lädt zu „Neuentdeckungen“ ein. Was soll ich mir als Besucher/Teilnehmer darunter vorstellen?  Wir möchten es den Besucherinnen und Studierenden ermöglichen, die Universität und ihre bestehende Kunstsammlung neu zu entdecken und sie gleichzeitig für junges Kunstschaffen zu begeistern. Die Woche lädt mit seinem vielschichtigen Rahmenprogramm und insbesondere seinen Workshops zudem dazu ein, verschiedene Bezüge zwischen Kunst, Wirtschaft und Gesellschaft zu erkunden und neue Antworten zu finden auf die Frage: Why Art?

 

Welche „Spielräume“ in Wahrnehmung und Denken – so heisst es auf dem Flyer – erhofft man sich idealerweise mit den Kunstinterventionen auf dem Campus zu eröffnen. Die vier Arbeiten, die von der Jury ausgewählt wurden, stellen implizit unterschiedliche Fragen: Was ist ein Künstler und wie entsteht Kunst? Wie produzieren wir Wert und woraus? Wann sind wir relevant? Was für eine Rolle hat eine Wirtschaftsuniversität heute in der Gesellschaft etc.? Wir erhoffen uns, dass die Besucher und Studierenden durch die Kunstinterventionen auf eine spielerische Weise dazu angeregt werden, neu über bestimmte Aspekte der Gesellschaft, der Wirtschaft oder des Lebens nachzudenken.

 

Für mehr Infos gibts hier das PDF zum Anlass: Programmflyer_intervention

 

ein modell ist kein ausgestopfter fuchs

Kleider runter, stillstehen, Geld verdienen? Klingt toll und eigentlich ganz einfach. Zumindest, wenn man gerne die Hüllen fallen lässt und nicht schnell friert… Oder gibt’s noch mehr, was es zum Beruf des „Akt-Modells“ zu sagen gibt? Ich habe einmal nachgefragt: bei Liliana Koller, Jahrgang 1988, berufstätige Sozialpädagogin und  Aktmodell im Nebenjob. Und bei Claudia Züllig, Aktzeichnerin und Lehrerin an der Schule für Gestaltung. In welchem Fach wohl? Na klar!

Liliana, du hast „Soziale Arbeit“ studiert, bist in diesem Berufsfeld auch seit letztem Jahr berufstätig und arbeitest nebenbei als Aktmodell. L:  Ja, das ist irgendwie lustig. Aber es scheint in der Familie zu liegen. Ich habe noch vier Schwestern, die auch schon alle Modell standen – meine Mutter übrigens auch.

Wie bist du an den Job gekommen und was gefällt dir daran?  L: Ich bin vor 7 Jahren über eine meine Schwestern dazu gekommen. Angefangen habe ich dann, weil mich als Studentin einerseits der finanzielle Aspekt gelockt hat. Andererseits fand ich aber auch den Kontakt zu den Kunstschaffenden klasse. Ich hatte vorher schon die gestalterische Maturität gemacht und war von Kunst fasziniert.

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Liliana als sitzender Akt. Gezeichnet von Claudia.

Claudia, du bist eine dieser Kunstschaffenden. Während des Zeichnens bist du „auf der anderen Seite“, sezierst Liliana praktisch mit Blicken. Wie fühlt sich das an? C: Ich empfinde das Aktzeichnen gar nicht als „sezierend“. Es ist für mich etwas Prüfendes. Ein Bezugnehmen auf eine Form, oder eher noch: eine Gegenform. Das Modell ist sowas wie eine beseelte Landschaft. Das ist stimulierend. Ich empfinde Aktzeichnen als belebend, weil ich mich da total fokussiere und den Kopf von allem anderen frei mache.

 Aktzeichnen ist Teamwork zwischen Zeichner und Modell

Liliana, dir geht es in diesem Moment des Gezeichnet-Werdens doch sicher anders? Oder? L: Der Blick der Zeichnenden hat mich nie gestört. Ich habe ein gutes Körpergefühl und mir war es auch nie unangenehm, angeschaut zu werden, wenn ich nackt bin. Am Anfang dachte ich zwar noch, ich muss mich verrenken, damit die Pose gut aussieht. Ziemlich bald habe ich aber gemerkt, dass ich mich wohl fühlen muss, damit was Gutes rauskommen kann.  Und ich darf mich sogar mal bewegen, hab ich gemerkt und muss nicht stocksteif dastehen.

Das tönt kinderleicht, wenn Liliana erzählt, wie man Modell steht. Wie siehst du das als Lehrerin, Claudia? Ist es so einfach?  C: (lacht): Nein, das ist es sicher nicht. Ein gutes  Modell muss bei sich sein. „Anwesenheit“ ist das Zauberwort. Es funktioniert nicht, wenn eine Person einfach nur da ist. Auch wichtig: Ein erfahrenes Modell muss sich so geben, dass es für das Modell persönlich stimmt. Dazu gehören ein zufriedenes Körpergefühl und eine gute Körperspannung. Dann passt es auch für den Betrachter. Ich habe schon oft gemerkt, dass Personen, die im Alltag mit ihrem Körper „schaffen –  z.B. Physiotherapeuten, Tänzer, Schauspieler – leichter Modell-Stehen als andere.

L: Du machst es einem aber auch leicht. Du hast so eine offene und herzliche Art. Und dir ist es wichtig, dass es die Modelle gut haben. Dass es bequem ist, es Musik hat, die Posen nicht zu lange sind. Ausserdem gibst du Rückmeldungen, wenn was gut ist – und auch, wenn was mal nicht so stimmig ist. Damit hilfst du deinen Modellen.

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Ein Blick in den Zeichen-Saal der GBS St.Gallen.

Ein Modell ist was anderes als ein ausgestopfter Fuchs

Musik, eine bequeme Unterlage – reicht das, damit etwas Gutes zwischen Modell und Zeichner entsteht? C: Schön wär‘s. Aber nein, es reicht nicht. Was es auf alle Fälle auch braucht: Vertrauen, Entspannung, gegenseitiges Interesse und – besonders wichtig – Respekt. Der Zeichnende muss sich bewusst sein, dass es ein Geschenk des Modells ist, wenn es sich zeichnen lässt und derart exponiert. Aus dem Grund gebe ich meinen Schülern feste Regeln für das Verhalten im Zeichensaal vor. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ein Modell kommt oder man einen ausgestopften Fuchs zeichnet. Bei mir müssen die „Youngsters“ – also die Auszubildenden im Vorkurs –  erst mal 10 Minuten selber in Kleidung Modell stehen. Dann wissen sie, wie sich sowas anfühlt und wie anstrengend es ist.

Liliana, tönt ganz so, als ob du es noch eine Weile bei Claudia aushalten wirst. L: Ganz sicher. Auch wenn ich wegen meiner Berufstätigkeit nicht mehr so viel Zeit habe wie früher, um diesen spannenden Nebenjob zu machen. Aber solange ich noch das Gefühl habe, dass es Menschen Spass macht, mich zu zeichnen, stehe ich Modell. Und hin und wieder schenkt mir einer der Zeichnenden auch eines der Bilder, die er von mir gefertigt hat. Das berührt mich dann immer wieder sehr.

Liebe Liliana, liebe Claudia, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Wer sich selber einmal im (Akt-)-Zeichnen erproben möchte findet hier Kurse an der GBS St.Gallen

 

das „hier“ und „jetzt“ ist viel zu interessant.

Gabriela Falkner ist in Bewegung. Davon zeugen nicht nur ihre diversen Lebensstationen von Lausanne über New York bis nach Zürich und Herisau. Auch im Berufsleben lässt sie keine Monotonie aufkommen. Früher beispielsweise war sie in ausbildender, beratender und projektleitender Tätigkeit unterwegs. Heute ist sie Fotografin, Installationskünstlerin und Kulturmanagerin im St.Galler Kulturbüro (KuBü). Im Gespräch erzählt sie von ihrem facettenreichen Schaffen und davon, wie es gelingt, sich auf dem weiten Feld des Kunst- und Kulturschaffens zu bewegen, ohne die Orientierung zu verlieren.

Gabriela, du mischst selber aktiv in der Ostschweizer Kunstszene mit und bist hier keine Unbekannte. Daneben berätst du Kunstschaffende aller Sparten, wenn es um Organisatorisches und Administratives geht. Wie erlebst du es, quasi zur selben Zeit auf beiden Seiten des Mäuerchens zu stehen?

Eigentlich ist es ja gar kein Mäuerchen, bei dem ich auf zwei Seiten stehe. Ich sehe mich da eher als Allrounderin auf einem grossen Feld. Oder auf einem weiten Kultur-Platz. Denn ich kuratiere auch noch – neben dem „selber machen“ und „beraten“.
Vom Erleben her ist das für mich eine extreme Bereicherung. Weil mir die Anliegen der einzelnen Bereiche vertraut sind, kann ich mich den verschiedenen Herausforderungen stellen. Zugleich fühle ich mich in den unterschiedlichen Rollen auch wohl.

 

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Wieviel von diesem, nennen wir es mal: „Allrounderwissen“ kannst du in deinem Job im Kulturbüro einbringen?

Die meisten, die ins KuBü kommen wissen nichts über meinen Hintergrund. Sie suchen Unterstützung und wenn ich die, aus welchem Bereich auch immer, anbieten kann, dann passt das bestens.

Was reizt dich, was nervt dich an deinen verschiedenen Rollen?

Was mich reizt? Dass ich ein sehr abwechslungsreiches Leben habe. Mir gefällt dieses ganzheitliche Denken und Vernetzen und das Herstellen von Bezügen unter den einzelnen Bereichen. Dabei kann ich meine unterschiedlichsten Fähigkeiten einbringen und lerne zudem viele neue Kulturschaffende kennen. Und als Künstlerin lerne ich viel für meine persönliche Entwicklung, das ist wichtig für mich.

Und was mich stört?

Das sind eigentlich drei Dinge. Zum einen braucht es viel Energie, in allen Bereichen strukturiert zu arbeiten. Ich kann daher gar nicht alles machen, was ich gerne umsetzen würde. Zum zweiten ist mein Profil wohl nicht immer ganz fassbar. Die Leute können mich dann nur schwer irgendwo einordnen. Und zum dritten braucht es viel Arbeit, künstlerisch ernst genommen zu werden. Da würde ich gerne schneller vorankommen.

Grenzen zu erproben, neue Wege zu gehen und dabei auch das Risiko zu wagen, in Sackgassen zu landen, gehört einfach zu der Biografie kunstschaffender Menschen. Wie geht man am besten damit um? Oder besser gefragt: Wie gehst du persönlich damit um? Sowohl als Künstlerin wie auch als Beraterin von Künstlern?

In Sackgassen zu stehen, zu scheitern, das tut im Moment extrem weh und stresst. Aber das ist ja nicht nur im künstlerischen Handeln so… das kennt ja jeder wohl selbst aus seinem Alltag. Ich weiss mittlerweile, dass diese Situationen immer wieder kommen. Dann nicht aufzugeben und sich zurückzuziehen, ist schwierig, aber meines Erachtens entscheidend. Ein paar Leute im Leben zu haben, die man anrufen kann, wenn man an so einem Punkt ist, finde ich wichtig. Zudem habe ich ein persönliches Ritual. Ich personifiziere dieses Sackgassen-Gefühl: Der „Störfaktor“ sitzt auf meiner Schulter und nervt. Ich spreche mit ihm und gebe ihm zu verstehen, dass er ruhig wieder verschwinden kann.

Stichwort „Ziele“: Welche möchtest du noch erreichen? Hast du eine feste „Reiseroute“ oder ist es eher ein Sich-treiben-und-überraschen-lassen?

Mein Ziel war es lange, zu 100 Prozent im Kulturbereich aktiv zu sein. Das habe ich erreicht. Im Moment möchte ich meine künstlerische Seite mehr ausleben und zusätzliche Zeit dafür investieren. Ich bin ja Autodidaktin und habe mir in einem langen Prozess alles selber erarbeitet. Nun bin ich gespannt, wie es sich entwickelt, auch mit meiner intuitiv angelegten Vorgehensweise. Planen, wohin es noch gehen soll, will ich persönlich aktuell aber nicht. Das „Ist“ und „Jetzt“ ist dafür viel zu interessant.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Und wer mehr über Gabriela Falkner wissen will, kann sich hier schlau machen. Im Künstlerarchiv.

Oder hier: Gabriela Falkner bei Gruppenausstellung und als One-Woman-Show

kleinkunst – mit programmen bewegen

wir wollen mit unseren programmen bewegen

Matthias Peter ist im allerbesten Sinne «multifunktional»: Autor, Schauspieler, Kulturjournalist, Regisseur. Im Jahr 2000 erhielt er einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen und 2004 übernahm er die Leitung der traditionsreichen St.Galler Kellerbühne. Aus der Ostschweizer Kulturlandschaft ist er heute nicht mehr wegzudenken. Im Interview durfte ich den Vielbeschäftigten ein bisschen ausquetschen. Zum Beispiel über Kleinkunst im Allgemeinen und Eigenproduktionen im Besonderen….


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Matthias, macht es heute eigentlich noch Spass, Kleinkunst anzubieten? Ein leichtes Business ist das ja nicht. Auf jeden Fall macht es Spass! Auch nach elf Jahren, die ich diese Arbeit jetzt schon machen darf. Die Freude besteht vor allem darin, dem Publikum aus dem breiten Angebot der Kleinkunstszene Perlen zu präsentieren Die Zuschauer sollen bei uns ein Programm mit hohem Niveau zu sehen bekommen. Da kommt mir meine Rolle als Kulturjournalist zugut. Nicht nur der Blick des Veranstalters.

Viele Leute haben heute ein ausgeprägtes Event-Denken. Sie suchen auch beim Kultur-Programm «Celebrities». Wie geht die Kellerbühne damit um? Unser Motto lautet „Über die Hintertreppe zum Vordenken“. Wir wollen mit unseren Programmen bewegen und ein bisschen länger in den Köpfen bleiben. Deshalb zeigen wir auch anspruchsvolles Sprechtheater und halten an dieser Programmschiene fest. Nur leicht verdauliche Comedy? Das geht gar nicht. Aber klar: Wir müssen den Zahlen zuliebe Kompromisse eingehen. Denn es stimmt schon, dass bekannte Namen das Publikum anlocken.Neues und Unbekanntes hat es bekanntlich schwerer.

Du wagst es dennoch, No-Names auf die Bühne zu holen. Wieso? Wenn ich neue, unbekannte Namen ins Programm nehme, ist es immer ein Entscheid, diese Namen auch zu pflegen. Dann sind das Leute mit Potenzial, die ich fördern möchte. Mir ist es wichtig, pro Saisondrei, vier neue Gesichter auf die Bühne zu holen.

Heute wird oft von einem Überangebot an Kultur geredet. Ist das ein Thema, das dir Kopfschmerzen bereitet? Nein. Trotz des steigenden Angebotes hat die Kellerbühne kein Publikum verloren. Eher gewinnt sie konstant neue Zuschauerkreise dazu.  In meinem Buch „Applaus & Zugaben“ über die Geschichte der Kellerbühne und der Kleinkunst beschreibe ich, wie sich das kulturelle Angebot in St.Gallen entwickelt hat. Die Eröffnung der Kellerbühne 1965 bedeutete den Beginn der Alternativkultur in der Ostschweiz. Zwanzig Jahre später kamen die Grabenhalle und das Kinok hinzu. Ab Mitte der 90er Jahre, quasi explosionsartig, Kugl, Palace, sommerliches Kulturfestival und so fort…Ich denke, dass wir mit der Fragmentierung von Gesellschaft und Interessen leben können.  Durch ihr breitgefächertes Angebot erreicht die Kellerbühne ein grosses Stammpublikum.

Je spezieller der Spielplan, desto grösser auch das finanzielle Risiko.. Wie kann man heutzutage noch wirtschaftlich Kunst/Theater machen? Uns gelingt das mit dem bewussten Wechsel von Saalfüllern und neuen Gesichtern. „Zugpferde“ wie etwa Simon Enzler, Heinz de Specht oder die Ex-Acapickels  tragen die anderen mit. Ausserdem haben wir einen grossartigen Mitarbeiterstab, der bereit ist, für wenig Geld super Einsatz zu bringen.

Im Herbst bringst du wieder eine Eigenproduktion raus. Eine szenische Lesung. Sie heisst «Kulissenklatsch ! – Ulrich, Karl, Lora & das alte Theater am Bohl». Grundlage dafür bot der 1909 veröffentlichte St.Galler Theaterroman «Die Brokatstadt» von Viktor Hardung.  Warum hast du gerade dieses Werk in Szene gesetzt? Hardungs Buch ist der erste moderne St. Galler Stadtroman. Man kann daraus viel über unsere lokale Kulturgeschichte erfahren. Es ist mir wichtig, nebst dem Gastspielbetrieb, auch St.Galler Themen aufzugreifen.

Welche St.Galler Themen meinst du damit? Verrätst du ein bisschen mehr? Man erfährt, dass St. Gallen das älteste feste Berufstheater der Schweiz hat. Weil sich die florierende Textilstadt das leisten konnte und wollte. Der erste Standort war übrigens da, wo heute die Kantonspolizei sitzt. 1857 wurde dann das Stadt- und Aktientheater am Bohl errichtet, welches Hauptschauplatz des Romans ist. Man bekommt aber auch vermittelt, dass eine Schauspielerin kaum von ihrer Gage leben konnte. Sie musste aus reinem Pragmatismus einige Verehrer haben, die ihr beispielsweise Kleider schenkten. Das  Bürgertum hat sie dafür als zwielichtige Person abgestempelt. Mit Staunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Diskussionen um die Aufgaben der Bühnenkunst und der Kritik unverändert aktuell geblieben sind. Sich mit all diesen Sachen zu befassen, zu sehen, woher das Theater in St.Gallen kommt, was es sein wollte und was es effektiv war, ist spannend und verweist implizit auf die Gegenwart. Ich freue mich schon darauf, wenn sich am 22. September zum ersten Mal der Vorhang dafür hebt!

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier gibts mehr Infos zu Kulissenklatsch und Spielplan Kellerbühne

„unbekannte werke“ – harlis schweizer (sg)

„Unbekannte Werke“, so nennt Harlis Schweizer die Arbeiten, die sie seit dem Wochenende in der Galerie vor der Klostermauer in St. Gallen präsentiert. Unbekannt sind die Arbeiten nicht unbedingt alle. Das ein oder andere scheint vertraut. Dafür stellen sie einen wunderbaren Querschnitt dessen dar, was Harlis Schweizer in den letzten Jahren erschaffen hat. Und sie geben Einblick in verschiedene Entwicklungs- oder vielmehr Ausdrucksstufen der Künstlerin. Es macht Spass, sich die bunten Werke in St. Gallens kleinster und schnuckeligster Galerie anzuschauen – bis 4. Oktober besteht die Chance dazu. 

Wenn ich an Arbeiten von Harlis Schweizer denke, und überlege, an welche bekannten Künstler mich ihre Formsprache am meisten erinnert, dann kommen mir zunächst Matisse und dessen Fauvismus sowie David Hockney mit seinem Fotorealismus in den Kopf.

Foto 3Fauvismus – Pop Art -Fotorealismus

Beide Künstler gefallen mir, obwohl der eine so schwungvoll den Pinsel jagt und der andere so fotorealistisch akribisch vorgeht – gerade in den bekannteren Arbeiten. Und ich mag auch die Farben, zu denen die zwei greifen. Und gerade das ist es, was mich auch an Harlis Schweizer so fesselt: Mal „wild und ungenau“, mal mit scharfen Umrisslienien sind ihre Motive präsentiert. Und bei ihrer Farbwahl bringt sie mal nur zwei Farben zusammen, dann wieder packt sie eine riesige Palette aus und traut sich auch ganz unerwartete Farben-„Partner“ auf den Bildträger zu setzen.

 

Zum Beispiel bei diesem Bild: Foto 1Da dominiert unbuntes Grau fast die gesamte Fläche. Nur der Einblick in den Innenraum, der mit der am Fenster stehenden Frau fast an niederländische Interieur-Bilder der Barockzeit anmutet, liefert Farben. Aber auch die sind eben dezent, zurückgenommen und – zumindest für mich auf den ersten Blick – nicht richtig sexy.

Hellgelb, rosa/abricot, mintgrün. Was toll ist: Beim längeren Hinschauen wird jede Farbe für sich ganz klar und stark, drängt das Grau zurück und vermittelt so vollkommen den Eindruck, in ein hell beleuchtetes Zimmer zu blicken. Dabei tun die unscharfen Umrisslinien ein Übrigens, um das Gefühl von Licht zu verstärken.

Es gibt natürlich noch VIEL mehr zu beschreiben – aber: selber entdecken – selber anschauen!

Hier Ort und Öffnungszeiten: Galerie vor der Klostermauer. Und hier die Website der Künstlerin: Harlis Schweizer

„looking at art“- Larry Peters in romanshorn (tg)

Larry Peters macht in seiner Ausstellung „looking at art“ Lust auf die Auseinandersetzung mit alten Meistern. Ins Zentrum seiner neueren Arbeiten stellt er den Maler Jan Vermeer. Zu sehen ist das Ganze bis 4. Oktober in der Galerie Mayer’s Altes Hallenbad in Romanshorn.

Okay, ich gestehe: Wann immer ich in eine Ausstellung komme und dort in den gezeigten Werken „Alte Meister 2.0“ entdecke – damit meine ich jetzt das Aufgreifen und Weiterverarbeiten bekannter kunsthistorischer Vorläufer – dann bin ich erst mal sehr skeptisch. Ich frage mich dann nämlich immer erst einmal: Ist hier wieder wer am Werkeln, dem einfach nichts Neues mehr eingefallen ist???

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Ganz klar: Bei Larry Peters ist das nicht so. Vielleicht liegt das ja daran, dass er einst am Royal College of Art in London studiert hat. Oder, dass er Jahre lang angehende Künstler unterrichtet hat. Oder, weil er es einfach KANN. Jedenfalls greift er zwar Arbeiten von Jan Vermeer (genauer: Jan Vermeer van Delft, 1632 – 1675) auf. Aber er entwickelt das Vorgegebene gekonnt weiter. Er verwandelt es und bringt seine eigene Sprache gelungen mit ein. Mark Staff Brandl, der die Laudatio gehalten hat, weist etwa auf Larry Peters allgegenwärtiges Befassen mit dem „Malerischen“ hin.

Gemeint ist damit: Die Sichtbarmachung des Pinselstriches. Selbst in dem Moment, in dem Peters den Pinsel beiseite legt und zu anderen Techniken greift wie zum Beispiel der Collage. Denn der Künstler kommt selbst dann malerisch rüber, wenn er mit geklebten Papierstücken die Bewegung und das Tempo des Pinselstrichs nachformuliert.

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Was mich besonders angesprochen hat: Das Repetieren der immer gleichen Motive. Für mich ist es Larry Peters‘ ironische Antwort auf all die Spekulationen, die sich in der Vermeer-Forschung damit befassen, wer wohl die Menschen sind, die Vermeer auf seinen Gemälden zeigt. Da gibt es so viele verschiedene Mutmassungen (und ich weiss wirklich auch nicht, was der aktuelle Forschungsstand ist – geb’s ja zu). Genau wie all die Mutmassungen greift nun auch Peters in Variationen immer wieder das „Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ oder die „Dienstmagd mit Milchkrug“ auf. Zoomt sie mal nah heran, steckt sie mal in eckige Rahmen, mal in einen Tondo… Ich verstehe dieses Arbeiten einerseits als nett gemeintes „Sich-Lustig-Machen“ über die Forscher und ihre Unwissenheit. Und andererseits auch als Ermunterung, selbst als Betrachter wild herum zu phantasieren (war da nun wirklich die Tochter, Geliebte oder Ehefrau das Modell?) — ungeachtet aller kunsthistorischen Forschungserkenntnisse.

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Ach ja: Zwar bestreiten Peters`Vermeer-Interpretationen den Grossteil der Ausstellung. Dennoch gibt’s auch eine Reihe früherer Arbeiten zu sehen. Auch für sie lohnt sich der Weg nach Romanshorn.

Noch als Tipp: Man sollte mit dem Auto anreisen und sich vorher gut die Anfahrtsbeschreibung anschauen. Denn die Galerie Mayers Altes Hallenbad, Kastaudenstrasse 11 in Romanshorn, liegt doch etwas versteckt in einem Wohngebiet.

Viel Spass beim Ausstellungsbesuch.

Larry Peters im Ostschweizer Künstlerarchiv

Ausstellungsdauer: 12. Sept. bis 4. Okt. 2015
(Am Sonntag, 27 Sept. bleibt die Ausstellung geschlossen.)

Öffnungszeiten:
Fr 18-21 Uhr, Sa 10-14 Uhr, So 14-18 Uhr (ausser 27.09)
oder nach Vereinbarung Tel. 079 445 34 11

Der Künstler ist an den Sonntagen anwesend.

zum schmökern: „das kunstwerk“

Der mittlerweile steinalte Schriftsteller, Maler und Kunstkritiker John Berger (*1926) zählt nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsautoren in Sachen Kunst-Kapieren. Wieso das so ist, lässt sich vielleicht am Besten anhand seiner Buchs „Das Kunstwerk“, erklären. Es ist zwar schon ein Literatur-Oldie, 1985 unter dem Originaltitel „The Sense of Sight“ erschienen, aber „Oldies are (eben oft) Goldies“.

Berger gelingt es nämlich, auch komplizierte Themen leicht verständlich zu erklären. Und er nimmt bei allem, was er beschreibt, seine ganz persönliche Sichtweise ein, ohne dabei belehrend zu wirken.

Viele selbsternannte oder studierte Experten werfen ja gerne mit allerhand unverständlichen Fachworten um sich. Und dass, wo sie einem doch eigentlich leicht verdaulich und nachvollziehbar erklären sollten, was man ohnehin oft nicht kapiert: Zum Beispiel, wieso der eine blaue Fleck auf Leinwand tausende von Franken wert. Und der andere nur ausgelaufene Farbe?

Alle, die sich bisher verloren gefühlt haben – und dumm – fühlen sich sicher besser, sobald sie Berger gelesen haben. Und auch die, die viel Ahnung haben, freuen sich vielleicht, in Berger einen Autor mit Bodenhaftung zu finden. Einen, der Kunst als Freude für jeden sieht – und nicht als etwas, wofür man akademische Weihen braucht.

Tolle Texte, die neue Blickwinkel liefern

Sein Buch Das Kunstwerk bietet acht kurzen Essays mit Titeln wie „Die Augen Claude Monets“ oder „Dürer-Ein Bildnis des Künstlers“.

Um nur ein Essay kurz anzureissen: Wer Dürer kennt, weiss, dass dieser geradezu besessen war von seinem eigenen Bild, seiner physischen Erscheinung war. Seine vielen Selbstporträts, in einer Zeit wo Selfies noch kein Thema waren, zeugen davon. Und auch viele kunsthistorische Texte befassen sich ja damit. Aber Berger schafft es, auf eine besondere Art davon zu schreiben. Er bringt die Erschaffung der Porträts sehr menschlich in Bezug zu Dürers Stolz, seiner Eitelkeit und dem Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein. Und er befasst sich mit Dürers lebenslanger Angst vor dem Tod. Absolut lesenswert.

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Mein Fazit: Für diejenigen, die sich ohnehin für Bildende Kunst interessieren, schafft Berger mit seinem Buch einen zusätzlichen Anreiz, das auch weiter zu tun. Und für Leute, die üblicherweise eher einen Bogen um jede Museumstür machen, gibt Berger schöne Hilfestellungen. Er zeigt, das auch „alte Schinken“ viele topaktuelle Themen enthalten und „Altes“ nicht verstaubt sein muss. Vielleicht motiviert es ja den ein oder anderen, sich einmal mit dieser Materie auseinanderzusetzen (und schliesslich auch die Mittelalter-Sammlung eines Museums mal mit Neugier zu durchstreifen?).

 

John Berger: Das Kunstwerk – Über das Lesen von Bildern, 23. Ausg., Berlin 2005

ISBN: 3 8031 1128 5

Leo Braun, St.Gallen (SG)

Wer Leo Braun ist: Geb. 1942 in Flawil. Literargymnasium, Matura, Studium mit Auslandsemester in Paris, Sekundarlehrer und anschliessend hauptamtlicher Dozent für Französisch und Fremdsprachdidaktik an der PHSG. Parallel dazu künstlerisch tätig, viele Jahre nur zeichnend, dann auch malend. Akt- und Portraitzeichnen in St. Gallen,  Zürich und Paris. Als Doppelbürger (CH/F) regelmässige Reisen und Aufenthalte in Frankreich. Ausstellungen im In- und Ausland. Mehr dazu unter Leo Braun

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Zu seinem Werk: “Leo Brauns Bilder sind ein Plädoyer für Bedächtigkeit…….Die Bilder forschen ihre Figuren nicht aus, sie belassen sie in ihrer Abgewandtheit, ihrer Versunkenheit, in ihrer Welt. Die Bilder wahren ihren Figuren gegenüber jederzeit den Respekt, der diesen zusteht….” (Andreas Härter)

“Sein Interesse liegt nicht auf der surrealen oder schockierenden Wiedergabe von Menschen und Dingen. …Zwar stellt man fest, dass die Werke der impressionistischen Thematik nahestehen; in ihren Aussagen zielen sie jedoch in eine völlig neue Richtung. Die fröhliche  Unverbindlichkeit….ist einer neuen Tiefe gewichen. Die Menschen…. sind … vor allem in sich gekehrte Individuen, die für einen kleinen Augenblick in ihre eigene,  abgeschiedene Gedankenwelt versunken sind.” (Dorothee Haarer M.A.)