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Sich wundern, sich ekeln oder überwältigt sein?

Kriterien fürs faire Bewerten künstlerischer Schöpfungen.

Schon oft habe ich mich mit unterschiedlichsten Personen fast leer diskutiert und in die Wolle gekriegt deswegen… Wegen der Frage, woran gute oder schlechte Kunst zu erkennen sei. Immer wieder war ich hilflos, weil  mir die rechten Begriffe im richtigen Moment fehlten und ich nur sagen konnte: „Das spürt man doch…“. Aber ha! Damit ist nun fertig. Dank eines super Beitrags von Christian Saehrendt in der NZZ kann ich nun auch mit handfesten Argumenten um mich schleudern. Ich will euch eine kurze Zusammenfassung der Kerngedanken daher nicht vorenthalten . Und für „Längerleser“ gibt es hier natürlich noch den Link zum offiziellen Beitrag.

Eine der allerbesten Sachen an Kunst finde ich persönlich ja, dass man über sie streiten kann. Es gibt – was die individuelle  Wahrnehmung anbelangt – wunderbarerweise kein richtig oder falsch. Jeder darf seine Meinung sagen. Aber wie auch sonst im Leben, will zielführender Meinungsaustausch…. (böse Zungen nennen das Streit)… gelernt sein…

Für diejenigen von euch, die Spass am fröhlichen Streiten haben – und ganz egal ob ihr praktizierende Kunstschaffende seid oder reine Theoretiker (wie ich) – sind die folgenden Sätze. Ich will ausserdem nicht auf dem Begriff „Streit“ verharren, sondern noch was anderes anstossen: Es geht darum, wie man als Praktiker sein eigenes Schaffen kritisch und distanziert einzuordnen lernt. Und es geht drum, sich als Theoretiker vom reinen „Gschpüri“ frei zu machen und bereit zu werden, auch Werken (Bildern, Kompositionen,  Texten…) objektive Anerkennung zuzubilligen, die dem persönlichen Geschmack so gar nicht entsprechen.

Seid überwältigt! Oder ekelt euch wenigstens!

Quintessenz von Saehrendts Text ist, dass Gegenwartskunst ganz allgemein um öffentliche Aufmerksamkeit buhlt. Und wie in allen Lebensbereichen gilt auch dort: Der Konsument wird erst dann aufmerksam, wenn ihn etwas aufrüttelt. Im Fall von Kunst kann das sein: Blasphemisches, Pornografisches, Ekliges, Kostbares und und und.

Hinzu komme der „Überwältigungseffekt“, der durch Dinge wie ungewöhnliche Räume (etwa Kirchen, Schwimmbäder oder Fabriken) oder biografische Inszenierungen (der Schöpfer des Werkes als „Knasti“, „Kranker“, „Missbrauchter“ usw…) erzielt werden könne.

Ich weiss ja nicht, wie es euch so geht. Aber ich persönlich erinnere mich tatsächlich an etliche Kunsterlebnisse, die mich primär noch heute bewegen, weil die Location eines Konzerts überraschend war, das Material einer Skulptur ekelerregend, der Vortragende eines Texte berühmt war… Oder es kam vor, dass ich auf eine Biografie „herein fiel“ und dachte: „Autsch. Kein Wunder, dass der Künstler so krasse Kunst macht… bei solchen privaten Erlebnissen….“

Wo die Message des Werkes an sich geblieben ist? Ups. Weiss ich nicht mehr. Die ist mir wohl irgendwie entwischt.

Kriterien zur Kunstbewertung

Jetzt muss ich aber noch rasch etwas einschieben: Kunst wird natürlich trotzdem nicht automatisch mies, wenn sie kostbare und widerliche Materialien nutzt, an überraschenden Plätzen stattfindet oder heikle Inhalte transportiert. ABER: Derartiges kann den Blick auf das Wesentliche verstellen. Daher ist es super, man kann mit handfesten Kriterien die Inhalte überprüfen.

Hier nun hilft Saehrendt einem weiter, indem er ein gutes Werkzeug in Gestalt eines Orientierungs-Dreieckes liefert. Alle Seiten dieses Dreiecks sind gleich bedeutend, leicht zu merken und heissen:

  • Authentizität (ACHTUNG! zuviel davon: Selbstbezogenheit/ zuwenig: unpersönlich)
  • Originalität (ACHTUNG! zuviel: wirkt bemüht/ zuwenig: muss mit Zitaten arbeiten)
  • Handwerkliches Können (ACHTUNG! zuviel: Effekthascherei/ zuwenig: Dilettantismus)

Endlich mal ein Werkzeug, das ich mir merken kann und immer logisch ableiten kann. Ab sofort werde ich damit also noch mehr als sowieso schon versuchen, künstlerische Artefakte und Ereignisse nach Form und Inhalt abzuklopfen und ob beides zusammenpasst.

Und ich habe keine Ausrede mehr, Werke aus reiner persönlicher Sym- oder Antipathie – anders zu bewerten, als es rein objektiv korrekt wäre….  eigentlich schade 🙂

 

 

Vom Bild im Kopf zum Bühnenstück

„Was am Schluss auf der Bühne ist, darf anders sein, als das, was ich beim Schreiben im Kopf dazu gesehen habe.“, findet Autorin Rebecca C. Schnyder. Mitte September wird ihr preisgekröntes Stück „Alles trennt“ in der St. Galler Kellerbühne uraufgeführt. Rund zwei Monate vor der Premiere sprach das rothaarige Energiebündel über Traumbesetzungen und Finanzierungs-Knacknüsse.

Rebecca, im Herbst kommt dein neues Bühnenstück Alles trennt zur Aufführung. Wie lange ist dieses Projekt bereits in der „Pipeline“? Oh, schon eine ganze Weile. So richtig nahm die Idee, die Inszenierung des Stücks voranzutreiben, aber 2015 an Fahrt auf.

Gab es einen bestimmten Auslöser? 2015 wurde Alles trennt zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. Das ist ein renommiertes Festival für neue Dramatik,  welches seit 1984 durchgeführt wird. Jährlich werden dort im Rahmen eines Wettbewerbs weit über hundert Werke beurteilt und sechs erhalten eine Einladung zum Festival. Ausserdem werden die eingeladenen Stücke mit einer szenischen Lesung und Autoren- Gespräch der Öffentlichkeit vorgestellt. Als Alles trennt eingeladen wurde, war meine Motivation gross, nun auch richtig damit auf die Bühne zu gehen.

Mit wem setzt du denn dein Projekt um? Seitens Inszenierung/Dramaturgie/Regie sind wir wieder mal als Formation der „Freirampe“ unterwegs. Wir haben bereits 2014 zusammengearbeitet, was sehr gut lief. Und was die Besetzung angeht, haben wir unser „Dream-Team“ gewinnen können. Es besteht aus Doris Strütt vom Kellertheater Winterthur, Judith Koch und Romeo Meyer.

Traum-Trio: Romeo Meyer, Doris Strütt & Judith Koch

Ein Trio als Besetzung klingt nach einer inhaltlichen Dreiecks-Kiste. Eine Dreiecks-Kiste ist es schon irgendwie. Aber anders, als vielleicht erwartet. Prinzipiell geht es um eine hochproblematische, symbiotische und stark auf Macht und Druck angelegte Mutter-Tochter-Beziehung. Und es geht darum, wie ein junger Mann in diese Konstellation hinein katapultiert wird und was dann daraus entsteht….

Wie fühlt es sich an, wenn eine Idee, die man so lange alleine ausgefeilt hat, praktisch von anderen „übernommen“ wird und einen zusätzlichen Drive bekommt? Die Umsetzung auf der Bühne ist ja eigentlich die Erfüllung der Arbeit, da ein Drama nicht als Lese-Stück angelegt ist. Das bedeutet: Selbst, wenn es fertig geschrieben ist, ist es noch nicht fertig. Ich verfolge den Ansatz, dass das, was der Regisseur daraus weiter macht, zwar sein kann, aber nicht sein MUSS, was ich beim Schreiben im Kopf gesehen habe. Und Stefan Camenzind, der das Stück nun inszeniert, vertraue ich voll und ganz.

Zum Schluss noch eine Sache: Das Stück ist da, die Crew ist da… sind denn auch die nötigen finanziellen Mittel für die Umsetzung da? Uff, das ist vermutlich die einzige Knacknuss bei der ganzen Sache. Bei Theater-Produktionen ist die Finanzierung ein echtes Problem. Die ist immer schwierig zu stemmen. Aktuell haben wir daher auch eine Crowdfunding-Kampagne am Laufen, weil wir damit schon einmal tollen Erfolg hatten. Mal abwarten, ob es auch diesmal klappt. Falls nicht, suchen wir eine andere Lösung. Bisher haben wir immer noch eine gefunden.

Danke Rebecca C. Schnyder für die spannende Unterhaltung. Und viel Erfolg beim Crowdfunding. Wer die Produktion von Alles trennt unterstützen will, kann dies übrigens noch bis Mitte September tun. Und zwar hier: 100-days

 

Zum Inhalt von Alles trennt
von Rebecca C. Schnyder

„Zwei für ein Ganzes“: Seit Renata von ihrem Mann verlassen wurde, zählen für sie nur noch der Alkohol und die Beziehung zu ihrem Kind. Um ihre Tochter Lina immer mehr an sich zu binden, zwingt Renata ihr deshalb ein rigides Ordnungssystem auf. Und so beschränkt sich Linas Leben auf die halbtätige Arbeit in der Fabrik, den wöchentlichen Einkauf und auf das Sortieren der zahlreichen Pfandflaschen. Allein ihre Fantasie – angeregt durch Werbeslogans aller Art, welche ihre Weltansicht und Kommunikation formen – verschafft kleine Ausflüchte aus der Struktur. Als eines Tages der Jurastudent Leo auftaucht, um eine Räumungsklage vorbeizubringen, droht die strikte Ordnung zwischen Mutter und Tochter jedoch zu bröckeln.

In kurzen, zarten Episoden entwickelt die Autorin ein zerstörerisches Spiel um Schuld und Sühne und eine berührende Geschichte, in der die Sehnsucht nach individueller Entfaltung Überhand gewinnt, bis der Bruch im „Ganzen“ nicht mehr zu kitten ist.

 

Spieldaten Alles trennt

(Bilder: Rebecca C. Schnyder)

Alex Hanimann: «Die Collage ist das eigentliche Prinzip unserer Zeit.»

Die NZZ schrieb einmal, er zähle mit seinem zeichnerischen Werk zu den wichtigsten Schweizer Künstlern der Gegenwart. Zudem hat er die Kunsthalle St. Gallen mitbegründet und war lange Mitglied in der eidgenössischen Kunstkommission. Bis heute unterrichtet er an der ZHdK und ist in Ausstellungen aktiv. Die Rede ist von Alex Hanimann. Trotz all des Ruhms sind ihm Starallüren erfreulich fremd, wie er im Gespräch in seinem St.Galler Atelier unter Beweis stellt.

Alex, über dich und dein Werk gibt es SO viel zu lesen. Daher soll hier gar nicht darüber geredet werden. Sondern vielleicht nur eine einzige Frage dazu: Gibt es eine Quintessenz, die konstant in deiner Arbeit auftaucht? Wahrscheinlich, dass ich mich nicht auf etwas festlege, sondern eher an Gegensätzen interessiert bin.

Welche Gegensätze? Zum Beispiel Ordnung und Chaos. Ich versuche permanent, Ordnung zu schaffen, damit Dinge verständlich werden. Gleichzeitig provoziere ich immer auch chaotische Situationen, bringe Sachen durcheinander, um so aus dem Ungeordneten heraus neue Bilder und Sichtweisen zu generieren. So pendelt das zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Bewährtem und Neuem hin und her.

No proof – no commentary – no double entendre, 2012, MAMCO, Genf

Dann gibt es also auch in deinem künstlerischen Ausdruck gegensätzliche Pole? Ja. Auf der einen Seite gibt es die abstrakte Welt der Sprache. Und auf der anderen die Bilder und Figuren, eine konkrete Welt, in der die Dinge im zwei- und dreidimensionalen Raum angesiedelt sind. In jedem Fall ist es das Stereotype und das Prototypische, das mich interessiert. Die Kunst gibt mir die Möglichkeit, Inhalte in Form von Modellen und Hypothesen zu untersuchen, um so Wahrheiten überprüfen und  bestätigen zu können oder aber Hypothesen zu behaupten.

„Lesen lohnt sich“ – Filzstift auf Transparent Papier, 30.5 x 45 cm

Du unterrichtest Studenten. Welche Eigenschaften, meinst du, helfen dir, Künstler und zugleich Lehrer für andere Kunstschaffende zu sein?  Ich bin ein neugieriger Mensch und interessiere mich immer auch dafür, was andere machen, weil ich davon lernen kann. Ich wechsle sozusagen die Perspektive und den Fokus. Das weitet den Blick, ist bereichernd und inspirierend. Gleichzeitig schafft der Blick auf das Andere, das Fremde, auch Distanz. Das hilft mir wiederum, meine eigenen Arbeiten zu relativieren, sie klar abzugrenzen, zu schärfen und zu präzisieren.

Im Ungeformten und Rohen die Stärken aufspüren

Trotzdem stelle ich es mir schwer vor, Studierende an der langen Leine zu lassen und ihnen keine eigenen künstlerischen Ideen aufdrücken zu wollen. Das stimmt natürlich. Einerseits versuche ich, die Studentinnen und Studenten in ihren eigenen, originellen Ideen zu unterstützen. Auf der anderen Seite, will ich aber auch meine ganz spezifischen, breiten und langjährigen Erfahrungen mit Kunst, mit dem Her- und Ausstellen von Kunst vermitteln. Das kommt einer Art Quadratur des Zirkels gleich.

Alex Hanimann – Sein Selfie hat er im Toni an der ZHdK aufgenommen.

Du selbst giltst als Konzeptkünstler. Objekte, Malereien, Zeichnungen, Texte: Dir scheint nichts fremd. Erwartest du von deinen Studierenden die gleiche Vielseitigkeit? Jede und jeder sollte versuchen, seine Stärken einzusetzen. Die Voraussetzungen und Talente können sehr unterschiedlich sein. Das aufzuspüren, herauszufinden, wie man sich am besten artikulieren kann, ist der Sinn jeder künstlerischen Ausbildung. Gerade bei jungen Menschen ist ja vieles noch roh und ungeformt. Es ist schon da, aber es ist noch nicht wirklich sichtbar. So gilt es einerseits, im Unterricht, in der Ausbildung, breit zu experimentieren; andererseits auch zu fokussieren. Wie weit das gelingt, hängt einerseits von der Offenheit und Unvoreingenommenheit des Lehrers ab und gelingt andererseits nur mit  klaren Stellungnahmen, dem präzisen Einmischen und in Frage stellen.

Die Umgangsformen mit Kulturgut wandeln sich

Was mich zum Schluss noch interessieren würde: Du hast schon immer mit fremden Bildvorlagen gearbeitet, diese weiter verwertet – böse gesagt: geklaut.  Wie gehst du selbst damit um, wenn jemand deine Werke adaptiert und damit arbeitet? Ich habe kein Problem, wenn jemand meine Arbeiten weiterverwendet. Ich denke, es liegt im Wesen unserer Zeit, dass Dinge vermischt werden. Die breite Verfügbarkeit von Wissen, von Bildern und Sprache soll meiner Meinung nach genutzt werden können. Die Autorin, der Autor, verschwindet so teilweise in einer kollektiven Autorschaft. Sharing und Recycling bilden eine Art Fundament unserer Zeit. So ist nur logisch, dass man fremde Dinge benutzt, adaptiert und transformiert. Die Collage ist das eigentliche Prinzip unserer Zeit. Klar muss man gewisse Dinge respektieren. Grundsätzlich meine ich, dass es beim Benutzen der Dinge entweder irgendeine Veränderung oder eine erkennbare Manipulation braucht. Oder aber, man legt offen, woher eine Quelle stammt. Es geht nicht, 1:1 eine Formulierung zu übernehmen und diese als die eigene auszugeben. Das muss man wissen, ernst nehmen und auch akzeptieren. Aber die Umgangsformen mit Kulturgut wandeln sich eben.

 

(Bilder: (c) Alex Hanimann)

 

 

Wortlaut 2017: Neue Textformen «entdeckbar» machen

Ab kommenden Donnerstag ist es wieder so weit: Das Literaturfestival «Wortlaut» geht erneut über die Bühne. Seit seiner ersten Auflage vor neun Jahren, hat es sich zu einem der kulturellen Highlight des St. Galler Jahres oder überhaupt der Region gemausert. Rebecca C. Schnyder, die sich selbst als Programm-Koordinatorin bei «Wortlaut» bezeichnet, erklärte mir bei Kaffee und Limo was «Wortlaut»  so besonders macht – und auch, was man unter einem «Zeichenduell» zu verstehen hat.

«Wortlaut» ist momentan wieder in aller Munde? Aber wieso eigentlich? Unser Programm ist – auch im Vergleich zu anderen Literaturfestivals–  toll positioniert: Wir bieten eine ausgesprochene Vielfalt. Kaum ein anderes Literaturfestival bringt vergleichbares. Bei uns gibt es altvertraute Textformen, aber auch solche, die erst in den letzten Jahren so richtig zum Durchbruch kamen wie etwa Graphic  Novels oder Spoken Word.

Literatur lebendig transportieren

Klingt ein bisschen danach, als sei «Wortlaut» ein Festival, das nicht für Otto-Normal-Verbraucher, sondern für Literatur-Experten ist. Das stimmt nicht. Bei uns ist nichts «literarisch-elitär» oder abgehoben. Es ist eher umgekehrt so, dass bei  «Wortlaut»  Literatur lebendig und erlebbar transportiert wird. Dabei versuchen wir schon «Sichtbar-Macher» neuer Textformen zu sein und eine Bühne für neue Arten des literarischen Arbeitens zu öffnen. Aber das richtet sich auch klar an Leute, die keineswegs Literaturkenner sind.

Rebecca C. Schnyder beim Gespräch im Kaffeehaus St. Gallen

Wie kommt bei euch das Programm zustande? Habt ihr Bewerber, die ihr berücksichtigt oder geht ihr gezielt auf Schreibende zu? Wir gehen auf die Schreibenden zu. «Wortlaut» ist in vier Reihen aufgebaut und für jede ist ein Literaturspezialist zuständig, der sich das Reihen-Programm überlegt. Alle Ideen werden im Team abgestimmt und fixiert. Im Anschluss versuchen wir dann, die entsprechenden Autorinnen und Autoren an Land zu ziehen. Dabei ist unsere Auswahl klar deutschsprachig ausgerichtet. Und natürlich achten wir darauf, Ostschweizer Schreibende einzubeziehen.

Versteht ihr «Wortlaut»  primär als kulturelles Spass-Event? Oder habt ihr auch etwas wie einen Bildungsanspruch für die Bevölkerung im Kopf? Oh je, was für eine Frage!! Ich würde mal so sagen:  Wir laden Leuten ein, Literatur niederschwellig zu entdecken. Eine Tour Literaire zu unternehmen. Deswegen gibt es bei uns auch ganz verschiedene Ticket-Formate.  Mit dem Samstags-Tages-Pass bekommt man beispielsweise für 40 Franken Zutritt zu 18 total verschiedenen Veranstaltungen. Nennt man sowas ein «Bildungsangebot»? Vielleicht (lacht).

Und zum Schluss: Gibt’s was am diesjährigen «Wortlaut», das so noch nie da war? Beispielsweise das «Zeichenduell». Da treten zwei gegeneinander an und zeichnen. Wer sich nun wundert, was das mit Literatur zu tun hat, dem kann man sagen: Die Übertragung einer Geschichte in Gezeichnetes ist literarisches Arbeiten. Und daher findet sowas bei uns seinen Platz.

Vielen Dank an Rebecca C. Schnyder für die anregenden Inputs!

 

Lust auf mehr «Wortlaut»? Dann geht’s hier zur ausführlichen Informationen: Daten, Tickets und Programm.

Und wer mehr über Rebecca C. Schnyder selbst erfahren möchte, kann sich auf ihrer Website schlau machen.

 

 

Gabriele Clara Leist, Teufen (AR)

Etwas zu mir, Gabriele Clara Leist (Jg. 1962): Seit 1993 leite ich literarische Werkstätten sowie kreative Kurse und Seminare für Schreib- und Sprachkompetenz. 1996 habe ich mich selbständig gemacht und begleite zudem seit gut zwölf Jahren als Schreibcoach Berufsleute und Führungspersonen. In all meinem Tun verstehe ich mich als «Hebamme für Potenzial». 2005 gründete ich mit meiner langjährigen Schreibpartnerin Marie-Claire Baumann den «geniestreich» www.geniestreich.ch. Mein Atelier habe ich in Teufen.

Das literarische Schreiben ist für mich hauptsächlich ein gemeinsames Tun mit anderen. Meine Texte entstehen zum einen in Kursen und Creative Writing-Seminaren sowie in zwei Experimentiergruppen, die ich leite. Zum andern schreibe ich seit vielen Jahren in der – mit mir – fünfköpfigen Autorinnengruppe «ACES». Ich schätze die gegenseitige Inspiration wie auch die spielerische Leichtigkeit, mit der Texte entstehen können. Gleichzeitig sichern die grosse Erfahrung und die Fachkenntnis aller Schreibenden in Bezug auf das Arbeiten mit Sprache die Qualität der Texte – gerade dann, wenn diese z.B. im Hinblick auf eine Lesung bearbeitet werden.

WOHNEN 1

ein Teller aus Holz
für die Früchte
ein Untersatz aus Holz
fürs Wasserglas
ein Tischchen aus Holz
für Bücher und Hefte
ein Affe aus Bronze
auf einem Fels
sechs Sofakissen gelb
ein aufgeschlagenes Magazin
Palmenblätter verdorrt
und
eine Hand aus Holz
zum Kuss gereicht

© gabriele clara leist. teufen.

WOHNEN 2

Lehnsessel gestreift: ich
Sessel rot: du

sechs Kissen: ich
zwei Kissen und Nackenrolle: du

Hefte gestapelt: ich
Notenständer mit Querflöte: du

aufgeschlagenes Magazin: ich
Büchlein mit Lesebändchen: du

kleine Kuchen mit Holzteller: ich
Bonbonière mit Pralinen: du

bronzener Affe auf Fels: ich
ausgestopfte Meise unter Glas: du

Hand aus Holz zum Kuss gereicht: ich
zusammengebundene Briefe: du

© gabriele clara leist. teufen.

 

Gabriele Clara Leist über Das Zufällige. Das Reduzierte. Die strenge Form.

(am Beispiel von WOHNEN I und WOHNEN II)

„In den letzten Jahren habe ich mich vermehrt mit dem Zufälligen beschäftigt und mich immer wieder – nicht nur im literarischen Tun – gefragt: Was geschieht, wenn ich mich dem Möglichen so vorbehaltlos wie möglich öffne und absichtslos – auch im Schreiben – unterwegs bin? Was kann sich dann an GeSCHICHTEN, an TEXTur, an STOFF zeigen? – Im Gegensatz zur landläufigen Meinung «De Zuefall ghört in Abfall!» liebe ich es unter anderem, Schreibspielanleitungen zu erfinden und sie so zu gestalten, dass möglichst viel «Zu-Fälliges» an Rohtext entstehen kann, um diesen dann weiter zu formen. Und hier kommt – für das Ausarbeiten der Texte – meine Freude an reduzierten und immer wieder auch strengen Formen dazu.

Viele meiner Texte entstehen also über diesen Weg des zufälligen Findens. So kann es sein, dass in einem Rohtext ohne zu schauen intuitiv eine bestimmte Zahl an Stellen unterstreiche, um daraus ein Rondell formen. Das ist eine Gedichtform, die mit Wiederholungen arbeitet. Oder ich blättere in einem «Schöner Wohnen»-Magazin, notiere stichwortartig, was ich sehe und forme aus diesen Notizen ein Listengedicht, eine Kategorie der «Found Poems».“

 


literarische Veröffentlichungen (Auswahl):
1990: erste Gedichte im Band «Thurgauer Rosen», Verlag Pro Lyrica; 1993: Kurzgeschichte in der Literaturzeitschrift «Entwürfe»; 1994: «Schachtelweiber – Vier und weit Meer», Saba Verlag Gossau; 1997: Heft «Timbuktu» mit 17 Kurzgeschichten, Karlsruher Literarische Gesellschaft Scheffelbund; 2005: Gedicht in «Bäuchlings auf Grün», Lyrik aus dem Kt. St.Gallen im 20. Jh.; 2016: Gedicht in Claudia Roemmels Buchprojekt «darüber hinaus gewagt», OrteVerlag Herisau

Atelier-Stipendium für Belgrad

Die Kulturstiftung des Kantons Thurgau vergibt zum zweiten Mal ein Atelier-Stipendium in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Dieses umfasst eine Wohnung in Belgrad (Mitte Februar bis Mitte August 2018), einen zusätzlichen Arbeitsraum (bei Bedarf) sowie einen pauschalen Beitrag an die Lebenshaltungskosten in der Höhe von monatlich CHF 3500. Bewerbungen können bis zum 31. Mai 2017 eingereicht werden. Weiterlesen…

Ab Februar 2018 bietet die Kulturstiftung des Kantons Thurgau einer professionellen Künstlerin/einem professionellen Künstler oder einer professionellen Vermittlerin/einem professionellen Vermittler aus der Sparte Bildende Kunst, Fotografie, Video, Film, Literatur, Architektur, Musik, Tanz, Theater oder Performance die Möglichkeit, sechs Monate in Belgrad zu leben und zu arbeiten.

Belgrad

Das Atelierstipendium in Belgrad soll zur Entwicklung und Realisierung eines eigenständigen künstlerischen/ kuratorischen Vorhabens genutzt werden oder den Freiraum schaffen, die künstlerischen/ kuratorischen Interessen und Kompetenzen gezielt zu vertiefen und zu erweitern. Das Atelierstipendium umfasst eine Wohnung in Belgrad, einen zusätzlichen Arbeitsraum (bei Bedarf) sowie einen pauschalen Beitrag an die Lebenshaltungskosten in der Höhe von monatlich CHF 3500. Es wird an Künstlerinnen und Künstler/an Vermittlerinnen und Vermittler vergeben, die durch ihren professionellen Leistungsausweis und durch ihr Potenzial überzeugen.

Anforderung an die Bewerberin/den Bewerber

  • übt ihre/seine künstlerische oder kuratorisch-vermittlende Tätigkeit als Hauptaktivität aus
  • kann einen künstlerischen oder kuratorisch-vermittlende Leistungsausweis vorweisen
  • befindet sich nicht in einer Ausbildung
  • hat ihren/seinen Hauptwohnsitz seit mindestens drei Jahren im Kanton Thurgau, hat prägende Lebensabschnitte im Thurgau verbracht oder ist durch Tätigkeit und Präsenz mit dem Kanton eng verbunden.

Die Bewerbungen sind bis zum 31. Mai 2017 elektronisch (ein PDF-Dokument, max. 10 MB) und postalisch bei der Kulturstiftung einzureichen. An: Kulturstiftung des Kantons Thurgau,  Gioia Dal Molin,  „Atelier Belgrad 2018“, Lindenstrasse 12,  8500 Frauenfeld

Mail: gioia.dalmolin@kulturstiftung.ch

Folgende Unterlagen sind einzugeben

  • aktueller Lebenslauf
  • eine Beschreibung der mit dem Atelieraufenthalt verbundenen Zielsetzungen und Motivationen
  • eine Dokumentation/ein Portfolio von Arbeiten/Projekten der vergangenen drei Jahre Die Auswahl des/der Begünstigten erfolgt durch eine Fachjury.

Die BewerberInnen werden vom Entscheid bis Ende Juni 2017 schriftlich in Kenntnis gesetzt. Weiterführende Informationen zum Atelierstipendium finden sich auf: www.kulturstiftung.ch. Bei Fragen steht die Beauftragte der Kulturstiftung, Gioia Dal Molin, gerne zur Verfügung.

VIEL GLÜCK!!!

Emotionen beherrschen, cooler werden: ein Buch dazu

„Wenn jemand dir sagt, dass etwas unmöglich sei, so denke dran: Es sind seine Grenzen – nicht deine“. Das Buch, in dem dieser und viele andere recht anregende Sätze stehen, habe ich mir über die Weihnachtstage zu Gemüte geführt. Sein Titel „Denken wie ein Shaolin“ ist zwar nicht unbedingt nach meinem Geschmack. Aber der Inhalt ist spannend. Für alle, die noch auf der Suche nach Vorsätzen fürs neue Jahr sind, daher hier zwei Vorschläge: 1. Buch lesen. 2. Den ein oder anderen Gedanken daraus mal genauer unter die Lupe nehmen.

Zugegeben: Um ein Buch mit dem Titel „Denken wie ein Shaolin – Die sieben Prinzipien emotionaler Selbstbestimmung“ hätte ich in der Buchhandlung vermutlich einen grossen Bogen gemacht. Da es aber als Geschenk von einer Person meines Vertrauens auf meinem Gabentisch gelandet ist, habe ich doch einen Blick hinein geworfen. Und war baff.

Der Autor heisst Bernhard Moestl. Als einer von ganz wenigen Europäern hat er bei einem Grossmeister der Shaolin-Mönche in China deren Philosophie erlernt. Einige Aspekte daraus vermittelt er in insgesamt sieben Schritten in diesem Buch.

Im Kern des Ganzen steht das Problem, klares Denken und kluge Entscheidungen aufzugeben und nicht mehr im Griff zu haben, sobald man sich gefühlsmässig verstrickt. Sei das nun im Job, beim Chef-Gespräch. Oder privat – bei Stress in der Beziehung oder beim Ringen mit dem eigenen Selbstwertgefühl….

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Beim ersten Blättern dachte ich, es gehe drum, Emotionen abzustellen und sich dadurch Coolness und Gelassenheit anzueignen. Beim genaueren Lesen wurde mir aber klar, dass es eben gerade darum NICHT geht: kalt wie ein Fisch zu werden. Vielmehr hebt Moestl darauf ab, Situationen, die emotional aufgeladen sind mit bestimmten Techniken richtig einzuordnen und dann auch angemessen darauf reagieren zu können.

Emotionen verändern unsere Wahrnehmung

Insgesamt führt er den Leser durch sieben Kapitel, die alle ein bestimmtes „Prinzip“ behandeln. Beispielsweise Kapitel 2: Das „Prinzip der Abgrenzung“ . Hier beschreibt Moestl, wie es gelingen kann, die eigenen Handlungen von denen eines (evt. übel gesinnten) Gegenübers abzugrenzen. Also z.B. sich nicht um Kopf und Kragen zu reden, nur um auf einen dummen Kommentar zu reagieren – oder enttäuscht zu sein, wenn eine Person sich anders verhält, als man es von ihr erhoffte. Der Autor erinnert: „Jedem steht es frei zu tun, was er möchte. Und jedem steht es frei, darauf zu reagieren, wie er will.“

Sobald es einem gelingt, sich dies bewusst zu machen (und dann auch noch das eigene Verhalten darauf auszurichten) nimmt man zum Beispiel falschen Erwartungen den Nährboden.

Eine andere, für mich sehr eindrückliche Aussage Moestls war diese: „Emotionen haben eine… sehr unangenehme Eigenschaft: Sie verändern unsere Wahrnehmung derart, dass sie sich gleichsam selbst verstärken“.

Er beschreibt dazu, wie er sich einmal in einer dunklen Gasse verfolgt fühlte- und aus Angst fast einen anderen Passanten vermöbelt hätte. Einfach aus Furcht vor einem vermeintlichen Angreifer, der tatsächlich nur ein Mensch war, der auch schnell durch die Dunkelheit hetzte. Wie so oft, macht man sich also auch in diesem Fall die eigene Welt im Kopf…

Mein Fazit

Was Moestl beschreibt, ist sehr nachvollziehbar und man denkt immer wieder: „Ahhh, genau!!!“ Die Tipps und Anregungen, die er für Verhaltensänderungen liefert, sind logisch und mit etwas Übung auch dauerhaft umsetzbar. Damit ist das Buch als echtes „Handbuch für mehr emotionale Gelassenheit“ geeignet.

Auch wenn ich selber leider NIEMALS so cool und stets richtig handelnd wie ein Shaolin- Meister werde: Die ein oder andere schlaue Verhaltensweise will ich mir für die Zukunft wirklich zu eigen machen. Mit zwei Gewissheiten: Ich mache mir selbst damit das Leben deutlich leichter. Und den Menschen, mit denen ich Tag für Tag zu tun habe, auch.

Bernhard Moestl: Denken wie ein Shaolin: Die sieben Prinzipien emotionaler Selbstbestimmung , Knaur Verlag 2016, ISBN: 978-3-426-21401-5

(Bild: http://www.moestl.com/profil.php)

 

Appenzeller Vielfalt durch Austausch mit der Welt

Im Gespräch mit Heidi Eisenhut.

Ihre Augen blitzen, wenn sie Worte wie „Psychosophische Gesellschaft“, „Kulturtransfer“ oder „kollektives Gedächtnis“ in den Mund nimmt. Ich bin gespannt auf mehr. Denn Heidi Eisenhut kann viel und mitreissend erzählen. Seit zehn Jahren leitet die promovierte Historikerin die Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden. Wie vielseitig das ist und was sie sonst noch begeistert, erzählt sie hier …

Heidi, du sagst, du seist ein Kind der Appenzeller Hügel. Aber während Ausbildung und Studium warst du doch in Paris und Zürich. Wieso hat‘s dich wieder zurückgezogen? Ich mag diese Landschaft. Während meines Studiums war ich immer auch hier; der Liebe wegen und als Mitglied im Vorstand des Heimatschutzes und in der kantonalen Kommission für Denkmalpflege. Was mich an meiner Arbeit hier so fasziniert, ist, dass der Raum geografisch zwar klein ist und in der Peripherie liegt. Aber er ist so reichhaltig, dass sich am Beispiel des lokalen kulturellen Erbes fast alle Themen in einen grösseren Kontext stellen lassen.

Was genau meinst du damit? Das Leben – die Orte, an denen wir uns aufhalten, unsere Begegnungen, Erlebnisse, Erfahrungen – besteht aus Geschichten. Und diese Geschichten teilen wir mit anderen Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ausserdem teilen wir sie je nach individueller Ausprägung auch mit Menschen anderer Kulturen und Mentalitäten. In der Kantonsbibliothek sind wir einerseits für Bücher zuständig, in denen solche Geschichten mit Bezug zu unserem geografischen Raum dokumentiert sind. Wir beherbergen überdies Vor- und Nachlässe von besonderen Menschen und Vereinigungen, die den Kanton geprägt haben und prägen. Das sind zum Beispiel Kunstschaffende, aber auch Familien wie die Textilhandelsfamilie Zellweger aus Trogen. Diese ganz unterschiedlichen Dinge anzuschauen, ihre Verbindungen zueinander und zu uns Heutigen aufzudecken, das ist wunderbar. So erfahren wir immer mehr über unseren Kanton und können das dann weitererzählen.

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Heidi Eisenhut gibt Einblick, auf welche Weise der Zellweger-Nachlass in Trogen präsentiert wird.

Du und dein Team arbeiten also nicht im „stillen Kämmerlein“? Keinesfalls. Wir haben einen ganz klaren Vermittlungsauftrag. Wichtig ist uns, dass hier nichts Elitäres passiert. Sondern dass es uns gelingt, in der Öffentlichkeit die Vielfalt unseres Kantons sichtbar zu machen. Wir wünschen uns, dass sich die Menschen hier mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Ich persönlich versuche deswegen auch, Themen, die diese Vielfalt und manchmal auch Unerwartetes und Staunenswertes aufzeigen, an die Öffentlichkeit zu tragen. Gerade in der heutigen Zeit scheint es mir wichtig, den Menschen weiterzugeben, dass früher nicht alles besser war. Immer schon haben sich die Welt und die Lebensumstände verändert. Und auf offene Fragen gab, gibt und wird es immer Antworten geben.

Kulturtransfer hat das Appenzellerland geprägt

Als Historikerin liegt dir die Vergangenheit also besonders am Herzen? Das ist falsch formuliert. Wer die Vergangenheit kennt und versteht, kann sich auch auf die Gegenwart besser einlassen und in ihr agieren. Das Appenzellerland, das wir heute kennen und dessen Stärken wir loben, hat sein Profil nur dank eines Kulturtransfers erhalten, der im 18. und frühen 19. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte. In Appenzell Ausserrhoden prägte der Fernhandel den Austausch. Und auch der Tourismus: Menschen kamen und gingen; Einflüsse aus ganz Europa, ja aus der ganzen Welt fanden hier ihren Niederschlag. Und nicht zu vergessen: Bis ins 20. Jahrhundert hinein war die Schweiz ein Auswanderungsland … Andersherum war die Gegend hier aber auch immer schon Rückzugsort für Personen, die als besondere Gruppierungen in relativer Abgeschiedenheit leben und eigenen, besonderen Lebensformen ungestört nachgehen wollten und wollen.

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Ebenfalls Kulturtransfer: Kulturelles Erbe von gestern – fürs Heute sichtbar gemacht

Gibt es da ein konkretes Beispiel? Ja. Die Psychosophische Gesellschaft mit Sitz in Stein AR fällt mir da spontan ein. Deren Kern bestand aus wenigen Personen: einem Guru namens Hermann J. Metzger und drei bis zeitweise vier Frauen. Diese Menschen haben sich nach 1945 zusammengetan. Sie beriefen sich zu ihrer Blütezeit in den 1960er Jahren auf Aleister Crowley. Das war ein britischer Okkultist, der in Italien die Abtei Thelema führte. In Stein gründeten sie eine Abtei gleichen Namens und hielten dort u.a. gnostisch-katholische Messen ab. Sie betrieben ein Labor für Heilmittel, eine Wetterstation, eine Druckerei mit eigenem Verlag und Publikationen und führten einen Hotelbetrieb. In den 1970er Jahren wurde ihre Vereinigung mit dem Mord an der US-Schauspielerin Sharon Tate in Verbindung gebracht. Man warf ihnen sexual-magische Praktiken und Satansmessen vor.

Und wie ist diese Psychosophische Gesellschaft mit der Kantonsbibliothek verbunden? Die Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden hat 2009 den Nachlass der Psychosophischen Gesellschaft unter dem Namen „Collectio Magica et Occulta“ übernommen. Konkret handelt es sich dabei um eine Bibliothek mit 10’000 Titeln sowie ein umfassendes Archiv. Anfang November 2016 hat die Historikerin Iris Blum in unserem Auftrag unter dem Titel „Mächtig geheim“ ein Buch zur Psychosophischen Gesellschaft und deren Geschichte veröffentlicht.

Puh, bei euch ist ja wirklich viel los! Es wird nie langweilig! Und das gefällt mir. Ich habe noch viele Pläne. Bei uns gibt es zahlreiche interessante Themen, manchmal fast zu viel … Aufgrund unserer Grösse – oder wenn man so will „Kleine“ – haben wir die Chance, in Kooperation mit Menschen und Institutionen verschiedener Herkunft Projekte ganz unterschiedlichen Charakters zu realisieren.

 

Herzlichen Dank an Heidi Eisenhut für die spannenden Einblicke!

 

Mehr Infos zur Psychosophischen Gesellschaft gibt’s übrigens in der aktuellen November-Ausgabe des SAITEN-Magazins.

Weiteren interessanten Input findet man auf SRF , auf der Website der Kantonsbibliothek sowie bei diesen Hinweisen zur Familie Zellweger

„darüber hinausgewagt“ von 26 mutigen Autoren!

Buchvernissage am 6. November.

Ein Langzeit-Projekt der Kunstschaffenden Claudia Roemmel geht in die nächste Runde! Und zwar gibts jetzt ein Buch zum Film – und nicht umgekehrt! Roemmel hat zwischen 2009 und 2014 Kurzfilme gedreht. Vor kurzem nun hat sie daraus Standbilder ausgewählt und 26 Schreibende eingeladen, zu 26 dieser Standbilder („Videostills“ wie sie es nennt) neue Geschichten zu fabulieren und diese in Worte zu giessen. Die daraus entstandene Anthologie „darüber hinausgewagt“ wird  am 6. November in St. Gallen der Öffentlichkeit präsentiert.

„Was zuvor geschah…“

Im Laufe von rund vier Jahren hat die Filmemacherin, Tänzerin und Choreografin Claudia Roemmel 143 Menschen gefilmt. Und zwar bei deren jeweiligen persönlichen Wagnissen. Das war zwischen 2009 und 2014. Die entstandenen Videos hat Roemmel nun „weiterverarbeitet“. Nämlich, indem sie diese Filme auf Einzelbilder reduziert hat, „Filmstills“,  und 26 Schreibende darum bat, Texte über diese Bilder zu fabulieren.

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Verschiedene Autorinnen und Autoren aus der Region Bodensee haben sich daraufhin in unterschiedlichen Formaten, Sprachspagaten und Ideen ausgelassen. Entstanden sind ebenso unterschiedliche wie überraschende Gedichte, Erzählungen und Wortspielereien. Sie alle wurden zu „Ddarüber hinausgewagt» zusammengefasst. Roemmel selbst formuliert das so: „…prosaische Texte, die – der Inspiration folgend – Momentaufnahmen sprachlich entwickeln, auffächern und erweitern. Lustvoll und unerwartet.“

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Am 6. November wird das Buch offiziell vorgestellt. Dazu gibt es eine Buchvernissage und die Autoren präsentieren im Rahmen einer Lesung ihre Ideen. Hingehn! Hinhören! Und wo: Raum für Literatur, Hauptpost, St. Gallen – ab 11 h.

Weitere Informationen über dieses Projekt finden sich auf der Website des Verlags – Leseprobe inklusive!

„ Schriftsteller wollte ich schon mit zehn werden!“

Der Rheinecker Autor und Journalist Stephan Sigg im Interview.

Neulich bin ich auf Stephan Sigg und seine Jugendbücher gestossen. „Spannender Typ“, dachte ich. Und dann habe ihn um ein Interview gebeten. Stephan sagte spontan zu und erzählte mir beim Treffen in St.Gallen eine ganze Menge. Zum Beispiel, wie er schon als Kind übers Lesen zum Schreiben kam. Weil nämlich die Geschichten, die ihm das Lesen in den Kopf brachte, einfach „raus mussten“. Mehr über’s Schreiben im Allgemeinen und über sein neustes Buch im Speziellen berichtet der in Rheineck geborene und in St.Gallen lebende Cappuccino-Fan hier.

Schon mit 10 Jahren, so sagst du, hast du Geschichten geschrieben. Und irgendwann  kam tatsächlich die erste Veröffentlichung. Wo und was hast du da publiziert? Naja, die allerersten Texte habe ich zunächst online veröffentlicht. So als Test. Irgendwann sind erste Kurzgeschichten in Zeitschriften erschienen und ein paar Jahre später kam dann auch meine erste gedruckte Publikation in Buchform. Das waren damals weihnachtliche Kurzgeschichten.

Du sagst, du seist übers Lesen zum Schreiben gekommen. Heisst das, du bist als  Autor eigentlich Autodidakt? So ist es. Aber so ganz ohne „Hilfestellung“ schreibe ich auch nicht vor mich hin (lacht). Ich habe mich an zahlreichen Feedbacks weiterentwickelt. Ausserdem bin ich schon lange als Journalist tätig und habe da auch einiges gelernt was Schreiben betrifft.

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Stephan Sigg – ohne Cappuccino, dafür mit seinem neusten Buch.

Wie machst du das, dass du dich an Feedbacks weiterentwickelst? Eine super Gelegenheit für Feedbacks sind zum Beispiel immer Lesungen. Mit Lesungen an Schulen habe ich deshalb schon ganz früh begonnen. Dort erwachen meine Texte zum Leben. Vor allem, weil ich sie ohnehin sehr dialogisch halte. Wenn ich nun an einer Lesung die Texte vortrage, spüre ich optimal, wie sie ankommen, an welchen Stellen gelacht wird… und wo es vielleicht auch nicht so „funkt“.

Feedback scheint für deine Arbeit also sehr wichtig zu sein. Bedeutet das, dass du auch während des Entstehungsprozesses eines Buches Rückmeldungen einholst? Nein. Eher im Gegenteil. Solange noch alles im Entstehen und Wachsen ist, halte ich Ideen und Text streng geheim. Nicht einmal meine Familie und meine besten Freunde wissen davon. Ich will da nicht reingeredet bekommen, denn das würde mich zu sehr verunsichern.

Du schreibst bisher ausschliesslich Kinder- und Jugendbücher. Gibt es dafür besondere Gründe? (lacht) Ja, das kann ich einfach am besten. Aber nein im Ernst: Ich finde diese Zielgruppe einfach sehr spannend. Und ich habe ein total positives Bild von jungen Menschen und fühle mich denen noch ziemlich nahe. Ausserdem ist diese Leserschaft die ehrlichste, die man sich vorstellen kann. Für sie zu schreiben, ihre Themen aufzugreifen und ihnen auf diese Weise auch Werte zu vermitteln: Das ist sehr bereichernd.Buchcover

In deinem neusten Buch „Nächte lang und Meilen weit – was Freundschaft ausmacht“, greifst du, wie der Titel schon sagt, das Thema „Freundschaft“ auf. Mal ehrlich: Findest du nicht, dass das mittlerweile ganz schön ausgelutscht ist? Ganz und gar nicht. Freundschaft ist zwar häufig ein Inhalt in der Kinder- und Jugendliteratur. Aber im Laufe der Zeit hat sich da viel gewandelt. Heute etwa spielen die sozialen Medien eine riesige Rolle. Es gibt Kids, die 300 Facebook-Freunde haben und keinen einzigen echten, der mal mit ihnen „tschuten“ geht. Man muss sich heute viel bewusster mit Freundschaften auseinandersetzen als noch vor 20 Jahren. Mein Buch will da ein paar Denkanstösse geben. Zum Beispiel diesen, dass echte Freundschaft wachsen muss und nicht erzwungen werden kann. Und dass sie Freiräume braucht wie etwa den, dass man auch mal Zeit für sich alleine braucht und einem die Freundschaft trotzdem wichtig ist.

 

Vielen Dank Stephan, dass du dir die Zeit zum Gespräch genommen hast

Wer mehr über Stephan Sigg und seine Bücher erfahren möchte, schaut sich am besten auf seiner Website www.stephansigg.com um.