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«Vom Hinfallen und Aufstehen»

Noch bis 26. September bespielen die Künstlerinnen Gabriela Falkner und Bárbara Nimke die Galerie im Schloss Dottenwil mit ihrer Schau «ordinary magic». Es ist eine Ausstellung, für die sich die beiden Frauen intensiv mit dem Ort und seiner Geschichte befasst und spezifisch hierfür Werke entwickelt haben. Das Ergebnis sind Arbeiten, in denen persönliche Erlebnisse auf das Vorgefundene Bezug nehmen. Was dabei das «Leiterli»-Spiel, eine Badewanne voller Pusteblumen oder angeschlagene Porzellantassen mit dem ehrwürdigen Bauwerk oberhalb Wittenbachs zu tun haben, beantworten die zwei im Interview.

Verratet doch als erstes: Wie kam es überhaupt zu dieser Ausstellung?

Bárbara Nimke: Vor ungefähr zwei Jahren sind wir vom Galerie-Team eingeladen worden, zusammen eine installative Ausstellung im Dottenwil zu realisieren. Das war zunächst eine Überraschung, da wir beide als Einzel-Künstlerinnen arbeiten und kein erklärtes Künstler-Duo sind. Der Gedanke, sich gemeinsam an dieses Projekt zu wagen, war reizvoll und wir haben uns darauf eingelassen.

Wie seid ihr danach vorgegangen, um euch und ebenso die Richtung für das Projekt zu finden?

Gabriela Falkner: Es war klar, dass es eine installative Ausstellung werden soll, die eben nicht nur an den Wänden, sondern auch mitten im Raum präsent ist. Deshalb war uns wichtig, zunächst Zeit in den Räumen zu verbringen und sie wahrzunehmen. Eine physische Aneignung zu vollziehen, wenn man so sagen kann. Wir waren oft dort, sind bewusst in die Räumlichkeiten eingetaucht und wollten die Geschichte des Ortes kennenlernen und verstehen. Dafür haben wir auch Menschen befragt und in Archiven recherchiert.

Was brauchen wir, damit eine Verletzung heilen kann?

Bárbara: Dank diesen Nachforschungen stellte sich heraus, dass das Galeriegebäude einst ein Molke-Kurhaus war. Und damit war die Idee für die inhaltliche Richtung der Ausstellung erwacht.
Mit dem Wissen um das Kurhaus standen unterschiedliche Fragen im Raum: Wer geht zu einer Kur? Wann tut man das? Was erhofft man sich von so einem Aufenthalt? Der Schritt zu Überlegungen rund um die Verletzlichkeit – im psychischen wie im physischen Bereich – folgerte sich daraus. Und schliesslich die Überlegung: Was brauchen wir, damit eine Verletzung heilen kann? Warum gibt es Wunden, die nicht abheilen? Diese Überlegungen zu visualisieren, schien uns auf einmal naheliegend.

Das klingt nach einem spannenden, aber auch schmerzlichen Ansatz. Ich stelle mir vor, dass es einen emotional ganz schön fordert, derartige Inhalte «anzupacken»?

Bárbara: Es beschäftigt einen tatsächlich emotional, denn einige persönliche Erfahrungen – bereits Verarbeitetes – kamen wieder an die Oberfläche. Das war ein Teil vom gesamten Arbeitsprozess.
Wir haben uns immer wieder intensiv ausgetauscht und dabei sind neue Gedanken hinzugekommen. Und so kristallisierte sich heraus, dass wir nicht nur Wunden, Narben und Verletzlichkeiten zeigen wollten, sondern auch die positive Fähigkeit der Widerstandskraft.

Wir setzen auf Reduktion und Verdichtung

Gabriela: Die Auseinandersetzung war für mich insofern spannend, als dass ich viel über die Resilienz an sich erfahren habe. Wir haben uns ja bereits vor Corona mit dieser Thematik auseinandergesetzt und Studien und wissenschaftliche Untersuchungen dazu gelesen. Das emotionale Fordern war für mich eher der Prozess bis hin zur Ausstellung: Zeit und Leere aushalten. Denken. Bilder im Kopf forcieren und entwickeln. Verwerfen und loslassen. Verbindungen herstellen zwischen dem Thema, das man vermitteln will und der passenden Materialität. Und letztendlich: Das Austesten der Wirkung am Ort.

Als Betrachter:in steht man Kunst gegenüber oft vor einem Rätsel. Man kann einfach nicht entschlüsseln, was die Werke vermitteln sollen. Seid so nett, und gebt hier mal Hilfestellung.

Gabriela: Uns ging es in den Arbeiten darum, Spannungsbogen zu inszenieren: Wunden – Narben, Fragilität – Beschützung, Heilung –  Zerfall, Zerbrechlichkeit – Humor, Verletzlichkeit – Widerstand und immer wieder das Hinfallen und Aufstehen. Dabei setzten wir auf Reduktion und Verdichtung. Wir wollten unsere Gedanken und Überlegungen in eine neue Sichtbarkeit mit eigener visueller Sprache übertragen. Nicht plakativ und laut, sondern durch besondere Materialien ästhetisch angedeutet.

Und was mache ich nun, wenn ich zwar weiss, worum es geht, aber ich ungeübt bin bei Kunstinterpretationen? Was wollen mir zum Beispiel die Tässchen aus feinem Porzellan im Erd­geschoss sagen? Sie sind alle irgendwie beschädigt. Oder was ist mit dem überdimensionalen «Leiterli-Spiel» im unteren Stock?

Bárbara: Jeder soll frei in seiner Betrachtung sein… aber gut (schmunzelt), wenn du ein paar «Leseanleitungen» haben willst… Die Tassen sind eine Einladung um gemeinsam Kaffee zu trinken – ein Symbol für Zeitschenken, für Zuhören, für Verstandenwerden. Aber wie du richtig sagst: Alle Tässchen haben die eine oder andere «Macke». Damit spiele ich auf unsere Fragilität an, unsere eigenen Narben, Schieflagen und Verletzungen. Und teilweise geben genau diese Bruchstellen der Tasse etwas Besonderes – eine gewisse Magie.
Und zum «Leiterli-Spiel»: Die heutige Forschung sagt, dass es erlernbar sei, nach einer Niederlage wieder auf die Beine zu kommen, und kein genetisches Schicksal. Hierfür steht das Spiel: Schon in der Kindheit lernen wir durch Spiele, Rückschläge oder auch Siege zu erleben und damit umzu­gehen.

Ah, okay. Und jetzt nur noch eine Frage zum Schluss: Ihr wusstet nicht, was am Ende bei eurem ungewohnten «Duo-Einsatz» herauskommt. Wie seht ihr das Projekt in der Rückschau?

Bárbara: Wenn man allein an einer Sache arbeitet, dreht man sich manchmal im Kreis. Ein Gegenüber zu haben, kann aus dieser Gedankenspirale raushelfen; neue Impulse und andere Aspekte können den Blickwinkel öffnen. Das ist spannend, beinhaltet aber auch ein Ringen mit sich und dem anderen. Ich für mich kann sagen: Es hat sich gelohnt. Mit dem, was gewachsen ist und wir hier zeigen, bin ich glücklich und zufrieden.

Gabriela: Ich habe bereits früher mit anderen Künstler:innen zusammengearbeitet, so wusste ich, dass es ein ganz anderer Prozess ist als bei einer Einzelausstellung. Die Versuchung, die Räume untereinander aufzuteilen, kam immer mal wieder zur Sprache. Dass wir aber konsequent an einer gemeinsamen Umsetzung von «ordinary magic» festgehalten haben und eine Ausstellung zeigen, die als Ganzheit wahrgenommen wird, freut mich sehr.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr zu Gabriela Falkner unter: www.gabrielafalkner.ch

Mehr zu Barbara Nimke unter: www.kuenstlerarchiv.ch/barbaranimke


«ordinary magic» noch bis 26.9.2021
Samstag, 14:00 – 20:00 Uhr
Sonntag,  10:00 – 18:00 Uhr


Samstag, 25. September:
Pascale Pfeuti – Performance mit Musik & Sprache, 14 Uhr und 16 Uhr, pascalepfeuti.de

Wo sich die Geister scheiden…

An abstrakter Malerei scheiden sich die Geister. Noch bis 1. Juni bietet Bignia Corradini jedem eine erneute Chance sich drauf einzulassen. Und zwar in ihrer Schau «Losgelöste Zentren» in Arbon.

Abstrakte Malerei gibt es seit rund hundert Jahren. Damals wie heute gehen die Meinungen darüber auseinander. Doch eine, die sich seit vierzig Jahren dazu bekennt, ist die Künstlerin Bignia Corradini.

Die gebürtige Zürcherin zog Anfangs der 70er, mit grade mal 21 in die deutsche Hauptstadt. Dort, in Berlin, studierte sie an der Hochschule der Künste Malerei. Zu Beginn waren ihre Arbeiten gegenständlich: Frauenkörper oder Vulkane. Aber schon in den 80ern kamen Abstraktes dazu, bis dieses innerhalb nur eines Jahres ganz die Oberhand gewannen.

Ups & Downs im Leben

Das, was die Künstlerin, deren Arbeiten unter anderem in der Kunstsammlung des Kantons Zürich oder dem Bündner Kunstmuseum vertreten sind, in ihren Werken erzählen will, sind Geschichten vom Leben. Vom Leben,  mit seines „Ups and Downs“, vom Agieren in menschlichen Beziehungen und vom Lauf der Zeit, der das Jetzt unmittelbar zum Schon-Nicht-Mehr macht.
Ihre Geschichten packt Corradini auf grosse und kleine Flächen. Mal runde, mal eckige. Und seit 1992 erschafft sie auch dreidimensionale «BildObjekte»: malerisch bearbeitete Zylinder, Kästen oder Kugeln, die sie in den Raum platziert.

Regelrechtes «Lebenswogen»

Wie die Künstlerin ihre Farben aufträgt, kommt auf die einzelne Geschichte an. Manchmal nutzt sie grafische Farbfelder. Die wirken wie Mosaiksteine oder das Innere eines Kaleidoskops, splittrig und wechselhaft wie das Schicksal selbst – und scheinen Bildern des Zürcher Malers Max Bill nahe zu stehen.

Blick auf Bignia Corradinis Arbeiten, bis Anfang Juni zu sehen in der „Galerie Bleisch“ in Arbon

In anderen Arbeiten setzt die seit nunmehr über 40 Jahren in Berlin lebende Corradini mit wildem Pinselschwung Farbbögen und Formfetzen auf die Bildträger. Es sind Formen, die sich verdrängen, begleiten oder bremsen. Ein regelrechtes «Lebenswogen» und wildes, pausenloses Ausloten des malerisch Möglichen – den Werken von Fritz Winter oder Kandinsky verwandt.
Ruhiger, doch im Wesen fast dringlicher, wirken daneben die «BildObjekte». Aus bemaltem Holz, Stahl oder Spiegelglas überwinden sie die Distanz zwischen flächigem Bildraum und Realraum. Tatsächlich brechen sie so in die echte Welt, die ja den Stoff für Corradinis Geschichten liefert, hinein und werden Teil davon.

Man kann von abstrakter Kunst halten was man will… aber für mich steht fest: Bignia Corradinis Arbeiten werden die Fan-Gemeinde dafür zweifellos vergrössern.

Bis 1. Juni
Mi bis Fr 14-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr oder nach Vereinbarung

Adrian Bleisch
Grabenstrasse 2 · CH 9320 Arbon
T 071 446 38 90 · M 077 443 04 50

huber.huber, Zürich (ZH)/Münsterlingen (TG)

Wer sind huber.huber: Markus und Reto Huber (*1975 Münsterlingen) arbeiten seit dem Abschluss ihrer Ausbildung an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich 2005 zusammen unter dem Namen huber.huber. Sie haben in den letzten Jahren vor allem mit Collagen und Zeichnungen, aber auch mit skulpturalen Arbeiten und Installationen auf sich aufmerksam gemacht.

huber.hubers vielschichtiges und konzeptuelles Werk wurde in Einzelausstellungen in verschiedenen Galerien und einer Reihe von Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt. 2008 widmete das Kunsthaus Glarus huber.huber mit „Vor der Vergangenheit“ die erste umfängliche institutionelle Einzelausstellung. 2009 folgte eine weitere grosse Einzelausstellung mit dem Titel „I cani non hanno anima “ im Kantonalen Kunstmuseum Lugano. Es folgten unter anderen 2013 die Einzelausstellungen „Fade to Black“ in der Kunsthalle Schaffhausen / Vebikus, 2014 „Land of Plenty“ im Museum Bärengasse, Zürich. 2015 zeigte das Aargauer Kunsthaus die Solo-Ausstellung „Und plötzlich ging die Sonne unter“.

Ihre Werke sind in zahlreichen bedeutenden Sammlungen vertreten.

Airflow (2017) Voile-Vorhänge bedruckt, Ventilator, 4,10 m 3,4 m Installationsansicht Helvetia Art Foyer, Basel

zu „Airflow“

„Zwei durchscheinende Vorhänge mit aufgedruckten Schmetterlingsflügeln bewegen sich sanft im Wind eines kleinen Ventilators. Schmetterlinge tauchen im Werk von huber.huber immer wieder auf. Schmetterlinge heisst im Griechischen Psyche und ist damit das selbe Wort wie jenes für die menschliche Seele. Das zarte Insekt gilt auch als Symbol des Wandels und zusammen mit der Naturgewalt Wind tritt natürlich das Phänomen des  Schmetterlingeffektes in den Raum. Wie eng vernetzt sind Ereignisse und Interaktionen in dieser Welt? Können unbedeutende Kleinigkeiten ganze Kontinente beeinflussen? Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen (Edward :n. Lorenz)“?
(Text: Nathalie Loch anlässlich der Ausstellung  „Save Our Soules“)

Und mehr über huber.huber findet sich auch in SIKART, Lexikon zu Kunst in der Schweiz oder bei artfacts

www.huberhuber.com

 

 

 

Franz Müller Rieser, Weinfelden (TG)

Wer Franz Müller Rieser ist: Franz Müller Rieser  (*1959) ist zunächst gelernter Buchhändler und später auch klinischer Psychologe. Seit 2011 ist er nicht mehr berufstätig und widmet sich vermehrt seiner Leidenschaft: dem Fotografieren. Als Fotokünstler ist er Autodidakt und Amateur, verwendet gerne verschiedene Aufnahmetechniken, wie z.B. das Intentional Camera Movement.  Dies dient ihm dazu, das Angetroffene seinen Bedürfnissen und Stimmungen gemäss abzubilden. Der Künstler lebt in Weinfelden. Mehr Infos zu ihm finden sich in diesem Blog sowie auf seiner Website.

„time and passengers“ (2014)

Über „time and passengers“

Das Bild ist mit Absicht fototechnisch limitiert, hat es doch keine 5 Megapixel Bildauflösung. Dadurch wirkt die Abbildung etwas grobkörnig bzw. „verrauscht“. Sie scheint regelrecht brüchig, was auf den Bildinhalt bezogen intendiert ist: Die beiden jungen Männer auf dem Bild machen den Anschein, isoliert zu sein. Jeder ist für sich in seine subjektive Wirklichkeit eingetaucht. Der vorbeifahrende Zug ist als Bildmetapher für die verstreichende Zeit gedacht. Der Betrachter des Bildes kann sich in das subjektive Zeiterleben der beiden versetzen und sich fragen: „Erleben sie die Wartezeit als quälend langsam verstreichend oder werden sie, wenn der richtige Zug eintrifft, plötzlich aus einer Traumwelt gerissen?“ Das Zeiterleben wäre jeweils ein völlig anderes. „Subjektiven Zeiträume“ nennt Franz Müller Rieser das Phänomen. Als solches faszinieren sie ihn und sind eine wesentliche Facette seines fotografischen Werks.
Apropos: Vom 9. September bis in den Dezember sind Müller Riesers Arbeiten in Weinfelden zu sehen. Mehr Infos dazu : HIER
Vernissage, 09. September 2017, 17 Uhr

Last Call – „The Pond Room“

Eine Kunstschau etwas abseits vom eigentlichen Ostschweizer Ausstellungsgeschehen – aber unglaublich empfehlenswert: Hans Op de Beecks „The Pond Room“ im Kunstraum Dornbirn, direkt hinter der österreichischen Grenze. Zu sehen gibt es eine installative Traumwelt mit einem mystischen Teich als Herzstück mittendrin. Noch eine Woche: Die Finnisage ist am 10.September! Last call…. sozusagen.

In der alten Monatgehalle, die als Ausstellungsraum agiert, empfängt den Besucher ein grosser, rechteckig angelegter Teich. Seerosen sitzen darauf. Bäumchen und Kieswege sind darum arrangiert. Idyllisch. Fast unwirklich schön. Dass hier wirklich vieles unwirklich ist, wird einem spätestens dann klar, wenn man den Finger ins schimmernde Teichwasser stecken will und dabei merkt, dass das nichts anderes ist, als eine harte Kunststoffplatte.

Der Teich als Spiegel

Teiche faszinieren – aber sie ängstigen auch. Vordergründig ist der Teich eine glatte Oberfläche, in der man sich sehen kann. Hintergründig versinnbildlicht seine (unbekannte) Tiefe das Düstere der menschlichen Existenz und lässt fragen, ob es wohl gelingen mag, aus den eigenen (seelischen) Untiefen wieder aufzutauchen, wenn man erst einmal darin versunken ist. Ebenso gefährlich kann es aber auch sein, sich den Untiefen nicht zu stellen und nur an der Oberfläche herum zu dümpeln. Droht dann nicht seelische Verkümmerung?

 

Es erstaunt nicht, dass der Teich immer wieder als Spiegel gedeutet wird, der uns unser Innerstes offenbart. Man denke nur an den Mythos von Narziss. Darin verliebt sich der Knabe beim Blick ins Wasser in sein eigenes Spiegelbild und ertrinkt letztlich beim Versuch, dieses Bild beim Eintauchen in das Wasser zu erreichen. Er ist unfähig, zu erkennen, dass er nur sich selbst erblickt.

In gewissen Märchen dient der Teich als Heimat von Wassermännern und Nixen, wobei gerade letztere oft danach trachten, Menschen, die dem Gewässer zu nahe kommen, in dessen Untiefen herab zu ziehen. Eine Warnung für den neugierigen Homo sapiens, der sich Bereichen nähern möchte, von denen er besser die Finger liesse? Getreu dem Motto: „Wer die Gefahr sucht, wird darin umkommen.“?

Oder soll man Op de Beecks Teichlandschaft als ruhevollen „Place to be“ verstehen…ein Ort jenseits des Alltaglärms und einladend, der aufgepeitschten Seele etwas Ruhe zu gönnen?

Es ist reizvoll – aber keineswegs zwingend – sich auf solche Gedanken einzulassen, wenn man den „Pond Room“ in Augenschein nimmt.

Sein und Schein

Für mich persönlich steht jedenfalls fest: Beim Spiel mit der Symbolik des Teiches geht es um zwei Seiten der selben Medaille, nämlich um die beiden Aspekte unserer Existenz: Äusserlichkeit (oder sollte man sagen: Oberflächlichkeit?) des Körpers und Innerlichkeit sowie Tiefe der Seele. Es geht um Schein und Sein.

Um Sein und Schein geht es Op de Beeck übrigens  auch in seiner Videoarbeit „ Staging Silence (2)“ aus dem Jahr 2013, die in einem Schuppen in der Montagehalle gesondert präsentiert wird. In seiner Filmarbeit führt er dem Betrachter vor, wie aus Schokolade, PET-Flaschen und vielem mehr täuschend echte Landschaften erbaut und gleich wieder zerstört werden.

Mein Fazit: „The Pond Room“ ist rundum ein Ort, in dem die Sinne genarrt werden und Sein und Schein verschmelzen. Und der dazu einlädt viele, viele Gedankenspiele zuzulassen….WOW.

 

Zwei in eins – Krautrock und Seelenbilder

Gleich zwei lohnenden Ausstellungen im Museum im Lagerhaus in St. Gallen! Bereits seit 20. August werden bislang unbekannte Bijoux des Künstlers Werner Baptista aus der museumseigenen Sammlung präsentiert. Und ab dem 28. August gibt’s unter dem Titel „Kunst, Krautrock und Tarot“ fantastische Bildwelten von Ausnahmekünstlers Walter Wegmüller zu bestaunen. Nicht verpassen!

Von Werner Baptista weiss man bis heute unglaublich wenig. Er wurde 1946 in der Schweiz geboren, ging mehrere Jahre zu See und strandete schliesslich in Paris, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2012 lebte. In Paris betätigte sich Baptista mehr oder weniger unentdeckt als Künstler, brachte offensichtlich auch die Erlebnisse seiner Seefahrer-Zeit  in Zeichnungen, Collagen und Acryl-Malereien zum Ausdruck. Man muss es als Glücksfall betrachten, dass Baptistas Nachlass von Paris aus den Weg nach St. Gallen gefunden hat. Denn als Autodidakt hat er es trotz anfänglicher Erfolge nie so recht in die Öffentlichkeit geschafft.

Über viele Jahre hinweg sind dennoch grossformatige, wunderbar-expressive Pastellkreide-Zeichnungen entstanden. Aber auch überbordende Notizbücher, wo auf jeder einzelnen Seite Collagen mit unterschiedlichsten Materialien zu finden sind. Oder grellbunte Acryl-Bilder mit dämonischen Fratzen und wilden Formen.

Werner Baptista: „Die ewige Nonne“, 26.08.1991© Museum im Lagerhaus

Werner Baptista, Ohne Titel (Skizzenbuch), 1999-2000 © Museum im Lagerhaus

Dämonische Fratzen – sowie noch vieles, vieles mehr – findet man auch im Werk des 80-jährigen Walter Wegmüller. Anlässlich seines runden Geburtstags zeigt das Museum im Lagerhaus eine gross angelegte Schau seines Lebenswerkes – und gibt dabei auch Einblicke in Wegmüllers unglaubliche Biografie.

Bilder aus dem Innersten

Als Kind von Fahrenden wurde er seinen Eltern bereits als Säugling geraubt und erlebte in den Kinderjahren unglaubliche Torturen als Verdingbub. Erst mit 21 Jahren fand er seine leibliche Mutter und damit auch seine tatsächliche Identität. Ohne den Genuss einer Schulausbildung, jedoch mit dem innigen Wunsch, seine traumatischen Kindheits-Erlebnisse zu notieren, begann er, sich nicht in Buchstaben, dafür in symbolhaften Bildern sein Inneres von der Seele zu schreiben.

Kein Wunder also, dass man in Wegmüllers Werken auf albtraumhafte Motive stösst, wie etwa den „Frontfüssler“ aus dem Jahr 1968/69 – eines seiner Hauptwerke. Aber man trifft auch auf Bilder voller Lebensbejahung, wie etwa die zahlreichen Seiltänzer-Arbeiten, in denen sich Wegmüller mutig den menschlichen Balance-Akten stellt.

Walter Wegmüller, „Frontfüssler“ 1968-69 © Walter Wegmüller

Walter Wegmüller, „Der Seiltänzer und Maler“,1994, Privatbesitz © Walter Wegmüller

Zugegeben: Diese Kunst ist weder leicht verdaulich noch entspricht sie dem, was dem Mainstream entspricht. Das ist aber auch nicht die Idee, denn das Museum im Lagerhaus ist für seine Ausrichtung auf Art Brut, Outsider Kunst und Naive Kunst bekannt. Und mit Walter Wegmüller und Werner Baptista wird es dieser Nische auf’s Beste gerecht.

Mein persönliches Statement

Was mich an beiden Künstlern so berührt, ist, dass man ihnen ihr inneres Ringen anmerkt. Wenn man vor den Arbeiten steht, spürt man, dass da vieles die Seele bedrängt und sich auf künstlerischem Wege nach aussen eine Bahn bricht. Von Baptista ist so wenig bekannt, dass man fast nur mutmassen kann, was ihm im Leben wohl alles passierte. Von Wegmüller hingegen weiss man genug, um als Betrachter jedem Bild die biografische Grundlage zuordnen zu können – das trifft.

Beide Ausstellungen laufen bis 12. November. Hier geht es zu den Öffnungszeiten

Annina Thomann, St. Gallen (SG)

Wer Annina Thomann ist: Annina Thomann (*1987) studierte an der Hochschule der Künste Bern und der Universität Bern, zudem absolvierte sie im Rahmen des Erasmus-Austauschprogrammes ein Semester an der Rietveld Academy Amsterdam. Seit dem Schuljahr 2016/2017 unterrichtet sie im Vorkurs für Jugendliche an der GBS St.Gallen. Sie arbeitet im Vorstand der Visarte Ost und ist mitverantwortlich für das Programm des Kunstraum Nextex. Annina Thomann stellte bereits in zahlreichen Gruppenausstellungen aus, darunter bei den Kunstwegen 2017 in Pontresina, 2016 im Kulturort Weiertal, Winterthur, im Jahre 2014 beim Artfestival, Glasgow und den Maiblüten, Berneck SG sowie 2012 in der Galerie jonkergow kunstwerk in Amsterdam. 2016 erhielt Annina Thomann einen Werkbeitrag der Stadt St.Gallen.

Annina Thomann – Ausschnitt aus der Werkserie «to build»

 

Über die Werkserie «to build»

Aus stabil wird labil, aus genormt wird verformt. Für die Werkserie «to build» arbeitete die St.Galler Künstlerin Annina Thomann mit Industriekeramik. Sie verwendete standardisierte keramische Bausteine als Ausgangsstoff für materielle, formale und räumliche Experimente. Backsteine werden in der Industrie in grossen Mengen und immer gleichen Massen gefertigt. In Ziegeleien wird aufbereiteter Ton in die richtige Form gepresst, in der richtigen Länge zurecht geschnitten, getrocknet und anschliessend gebrannt. In diesen hochtechnologischen Herstellungsprozess greift Annina Thomann ein. Sie lässt andere Abschnittsgrössen zu und setzt die weichen Rohlinge unterschiedlichen Krafteinwirkungen aus. Die unterschiedlich langen Quader werden zerteilt, fallen gelassen, geworfen, gedrückt und gequetscht. Durch die Krafteinwirkung biegen sich die Backsteine und wölben sich. Sie sacken zusammen und sind in sich verdreht. Das ursprünglich glatt verarbeitete Material reisst ein. Mitunter entstehen einzelne grosse Risse, die den Stein beinahe zu spalten scheinen. An anderen Stellen gibt es viele feine Risse in gleicher Richtung. Was in der Industrie als Fehler und somit als Ausschuss deklariert werden muss, sorgt in der künstlerischen Arbeit Annina Thomanns für Dynamik und neue Ansichten eines alltäglichen Materials. So zeigen sich entlang der Fabrikations-bedingten Rillen nun Faltungen. Ihr sanfter Schwung kontrastiert mit der ehemaligen Blockform des Backsteines.

Zerfall als Teil des Formungsprozesses

Nicht nur die äussere Form der Backsteine erfährt Transformationen. Annina Thomann lenkt den Blick auch auf das Innenleben der Backsteine. Aus rechteckigen Löchern werden im Zerteilungsprozess dreieckige Schächte oder langgezogene Rechtecke. Insbesondere bei den kleineren Backsteinen zeigen sich verzerrte Öffnungen. Sie erlauben neue Durchblicke und einen unterschiedlichen Lichteinfall. Der Zufall ist selbstverständlicher Bestandteil dieser Formungsprozesse. Er wird nicht nur zugelassen, sondern bewusst integriert. Dennoch bleibt die ursprüngliche Gestalt des Massenproduktes immer ein Teil der neuen Körper und neuen Binnenformen. Die neuen Formen sind Variationen über ein Thema, das Konstanten wie Farbe, Materialität und Umfang festschreibt, aber ungeahnte Modifikationen der Gestalt zulässt.

«to build» ist nicht nur eine Arbeit über das Verformungspotential der normierten Backsteine, sondern auch über Architektur und Konstruktion.

(Text: Kristin Schmidt – anlässlich der Verleihung des Werkbeitrags 2016 an Annina Thomann)

Zusätzliche Infos zur Künstlerin Annina Thomann und ihrer Arbeit finden sich in diesem Tagblatt-Bericht!

„Geiler Block“ – Kunstspektakel in Trogen

Bigger, better, ELEPHANT – so könnte man die zweite Auflage des „Geilen Blocks“ wohl beschreiben. Nachdem Kunstfigur Leila Bock (alias Künstlerin Anita Zimmermann) bereits 2015 einen Haufen Kunstschaffender zusammengetrommelt hat, um in einem Abrisshaus im St. Galler Rotmonten-Quartier Kunst mal richtig krachen zu lassen, macht sie nun Trogen unsicher. Ab HEUTE, 9. Juni um 18.30h ist es wieder soweit. Hier weitere Details…
Leila Bock hat 30 KünstlerInnen von Berlin über Zürich bis nach Appenzell eingeladen, im leerstehenden ehemaligen Versandhaus Cornelia an 3 Wochenenden im Juni auszustellen. Freitag und Sonntag werden jeweils „Schnörkel-Texte“ vorgetragen.

Schnörkel-Texte

Für diese Texte hat Leila Bock hat ‚Freunde von Künstlern’ angefragt, einen Schnörkel-Text zu schreiben und dem Publikum vorzutragen. Über, wie es auf der Website heisst „ein Thema, das schon lange für eine Rede parat war, etwas Schönes, Wichtiges oder Unwichtiges, frei Erfundenes, wenn nicht sogar Unwahres, etwas Überflüssiges, so wie die Schnörkel der Fraktura-Schriften, unsinnig und unlogisch Schönes.“ Am Samstag hat es Musik an der Bar und am Sonntag gibt es Frühstück.

„botanico“ (Stefan Rohner)

Mit von der Partie sind übrigens unter anderem Andrea Vogel, Stefan Rohner, Christian Hörler und viele mehr…
Hier findet sich der Info-Flyer von Geiler_Block_2017 zum Downloads.

Ausstellungen ja!!! – aber nur mit Vertrag!

TEIL l – Ausstellungsverträge.

Tolle Ausstellungen zu realisieren, am besten auch noch viele Verkäufe zu tätigen und gut in den Medien besprochen zu werden – davon träumt wohl jeder bildende Künstler. Und weil Ausstellungsmöglichkeiten rar sind, ist man auch mal schnell bereit, Bauchentscheide zu fällen. Dann stellt man seine Werke hier und da aus…und hat oft nicht einmal die Absicherung mittels eines Vertrags, der definiert, wie die Sache über die Bühne zu gehen hat. Hier einige Tipps und ein Mustervertrag…

vertrag-bildOkay, in sehr vielen Fällen stellen Kunstschaffende an Orten aus, wo es doch schon ein gewisses Know-how gibt. Selbst kleine Galerien und Off-Spaces sind in der Regel an dem Punkt angelangt, dass sie Ausstellungen mittels Verträgen regeln. Das ist für alle Beteiligten von Vorteil. Denn es zeigt klar auf, welche Leistungen erbracht und erwartet werden dürfen oder auch welches Honorar garantiert ist. Und falls Sonderregelungen anfallen, können auch diese problemlos im Vertrag noch formuliert werden. Hier eine kleine Liste von Punkten, die jeder Vertrag enthalten sollte – für all jene, die einen Ausstellungsvertrag benötigen und denen noch keiner zwischen die Finger gekommen ist..

 

7 Punkte, die im Vertrag definiert sein sollten

  1. Namen der Vertragspartner- Wer ist der Aussteller UND wer ist Ausführender?
  2. Ausstellungsziel- Welche Art von Kunst wird ausgestellt/Werkliste?
  3. Termine – Dauer, Ort, Zeiten der Ausstellung?
  4. Vergütungen – Welches Honorar steht an, wie werden Spesen geregelt
  5. Rechte und Pflichten der Vertragsparteien- Wer muss was gewährleisten?
  6. Versicherungen, Transporte und so weiter
  7. Zusatzregelungen und Unterschriften

Sind diese sieben Punkte einigermassen gefixt, kann schon nicht mehr alles schief gehen. Umfassende Vertragsvorlagen, z.T. leider kostenpflichtig, finden sich hier:

Mustervertrag fuer die Schweiz

Infos zur Vertragsgestaltung fuer Deutschland

Wer regelmässig und auf professioneller Ebene Ausstellungen realisiert, sollte sich dennoch überlegen, ob er das Geld für diese Verträge nicht locker machen will. Ich halte das für sehr sinnvoll.

Für all jene, die hingegen eher selten ausstellen, stelle ich hier einen kleinen Mustervertrag zur Verfügung (ohne Gewähr auf Vollständigkeit – ich bin keine Juristin – und einfach zur Info…)

ausstellungsvertrag_muster

 

Demnächst gibts hier noch mehr zu diesem Thema – dann nämlich ein Muster eines Kaufvertrags…

Über Mauern und Menschen – Glaser/Kunz in der Kunsthalle Wil

Vor rund einer Woche kroch eine Mauer durch die Wiler Innenstadt. Initiiert wurde die Aktion vom Künstlerduo Magdalena Kunz und Daniel Glaser. Ab 8. April behandeln die beiden nämlich das Thema «Mauer» in einer Ausstellung mit dem gleichnamigen Titel  in der Kunsthalle Wil. Ihre Mauer-Performance am 25. März lieferte quasi den Prolog dazu.

Zwei Meter hoch – acht Meter lang. In diesem Format zog sich die «Wandernde Mauer» einen Samstag hinweg durch die obere Bahnhofstrasse in Wil. Das «Wandern» war möglich, da eine Gruppe von Bauleuten die Mauer vorne auf- und hinten abbaute und so die zahlreichen Backsteine in Bewegung brachte.

Haben Menschen eine Meinung zu «Mauer»?

Parallel zur Bauaktion gingen die Künstler selbst auf die Passanten zu. Mit Mikro und Kamera bewaffnet wollten sie die Meinung der Menschen einfangen, was sie von dieser Mauer halten, welche Ideen ihnen dazu in den Kopf kämen. In Zeiten von Trump, Erdogan, anhaltenden Flüchtlingsströmen und Brexit eine heisse Sachen. Haben Menschen, wenn man sie überraschend auf der Strasse abfängt, etwas zum Thema «Mauer» zu sagen?

 

Ausschnitte der Befragung werden in Form einer Video-Arbeit vom 9. April bis 21. Mai in der Kunsthalle Wil zu sehen sein. Ausserdem werden Glaser/Kunz eine ihrer ungewöhnlichen und geradezu fantastischen kinematographisch animierten Figuren-Konstellationen in Wil zeigen.

Hinsehen lohnt sich!

„Performance“ (2009) – Kinematografische Skulptur von Glaser/Kunz

Und wer’s nicht aushält, bis zum 9. April zu warten, kann vorab bereits im Thurgau Glaser/Kunz bestaunen. Dort präsentiert die Kartause Ittingen noch bis zum 6. August unter dem Titel «Ich ist ein anderer» eine Reihe der «Kinematografischen Skulpturen» dieses spannenden Künstler-Duos.

Mehr zur Mauer-Performance auch hier: Tagblatt, 26. März 2017

 

 

(Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung Magdalena Kunz & Daniel Glaser)