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Sich wundern, sich ekeln oder überwältigt sein?

Kriterien fürs faire Bewerten künstlerischer Schöpfungen.

Schon oft habe ich mich mit unterschiedlichsten Personen fast leer diskutiert und in die Wolle gekriegt deswegen… Wegen der Frage, woran gute oder schlechte Kunst zu erkennen sei. Immer wieder war ich hilflos, weil  mir die rechten Begriffe im richtigen Moment fehlten und ich nur sagen konnte: „Das spürt man doch…“. Aber ha! Damit ist nun fertig. Dank eines super Beitrags von Christian Saehrendt in der NZZ kann ich nun auch mit handfesten Argumenten um mich schleudern. Ich will euch eine kurze Zusammenfassung der Kerngedanken daher nicht vorenthalten . Und für „Längerleser“ gibt es hier natürlich noch den Link zum offiziellen Beitrag.

Eine der allerbesten Sachen an Kunst finde ich persönlich ja, dass man über sie streiten kann. Es gibt – was die individuelle  Wahrnehmung anbelangt – wunderbarerweise kein richtig oder falsch. Jeder darf seine Meinung sagen. Aber wie auch sonst im Leben, will zielführender Meinungsaustausch…. (böse Zungen nennen das Streit)… gelernt sein…

Für diejenigen von euch, die Spass am fröhlichen Streiten haben – und ganz egal ob ihr praktizierende Kunstschaffende seid oder reine Theoretiker (wie ich) – sind die folgenden Sätze. Ich will ausserdem nicht auf dem Begriff „Streit“ verharren, sondern noch was anderes anstossen: Es geht darum, wie man als Praktiker sein eigenes Schaffen kritisch und distanziert einzuordnen lernt. Und es geht drum, sich als Theoretiker vom reinen „Gschpüri“ frei zu machen und bereit zu werden, auch Werken (Bildern, Kompositionen,  Texten…) objektive Anerkennung zuzubilligen, die dem persönlichen Geschmack so gar nicht entsprechen.

Seid überwältigt! Oder ekelt euch wenigstens!

Quintessenz von Saehrendts Text ist, dass Gegenwartskunst ganz allgemein um öffentliche Aufmerksamkeit buhlt. Und wie in allen Lebensbereichen gilt auch dort: Der Konsument wird erst dann aufmerksam, wenn ihn etwas aufrüttelt. Im Fall von Kunst kann das sein: Blasphemisches, Pornografisches, Ekliges, Kostbares und und und.

Hinzu komme der „Überwältigungseffekt“, der durch Dinge wie ungewöhnliche Räume (etwa Kirchen, Schwimmbäder oder Fabriken) oder biografische Inszenierungen (der Schöpfer des Werkes als „Knasti“, „Kranker“, „Missbrauchter“ usw…) erzielt werden könne.

Ich weiss ja nicht, wie es euch so geht. Aber ich persönlich erinnere mich tatsächlich an etliche Kunsterlebnisse, die mich primär noch heute bewegen, weil die Location eines Konzerts überraschend war, das Material einer Skulptur ekelerregend, der Vortragende eines Texte berühmt war… Oder es kam vor, dass ich auf eine Biografie „herein fiel“ und dachte: „Autsch. Kein Wunder, dass der Künstler so krasse Kunst macht… bei solchen privaten Erlebnissen….“

Wo die Message des Werkes an sich geblieben ist? Ups. Weiss ich nicht mehr. Die ist mir wohl irgendwie entwischt.

Kriterien zur Kunstbewertung

Jetzt muss ich aber noch rasch etwas einschieben: Kunst wird natürlich trotzdem nicht automatisch mies, wenn sie kostbare und widerliche Materialien nutzt, an überraschenden Plätzen stattfindet oder heikle Inhalte transportiert. ABER: Derartiges kann den Blick auf das Wesentliche verstellen. Daher ist es super, man kann mit handfesten Kriterien die Inhalte überprüfen.

Hier nun hilft Saehrendt einem weiter, indem er ein gutes Werkzeug in Gestalt eines Orientierungs-Dreieckes liefert. Alle Seiten dieses Dreiecks sind gleich bedeutend, leicht zu merken und heissen:

  • Authentizität (ACHTUNG! zuviel davon: Selbstbezogenheit/ zuwenig: unpersönlich)
  • Originalität (ACHTUNG! zuviel: wirkt bemüht/ zuwenig: muss mit Zitaten arbeiten)
  • Handwerkliches Können (ACHTUNG! zuviel: Effekthascherei/ zuwenig: Dilettantismus)

Endlich mal ein Werkzeug, das ich mir merken kann und immer logisch ableiten kann. Ab sofort werde ich damit also noch mehr als sowieso schon versuchen, künstlerische Artefakte und Ereignisse nach Form und Inhalt abzuklopfen und ob beides zusammenpasst.

Und ich habe keine Ausrede mehr, Werke aus reiner persönlicher Sym- oder Antipathie – anders zu bewerten, als es rein objektiv korrekt wäre….  eigentlich schade 🙂

 

 

Kunst und ihre Preisgestaltung

Es passiert mir regelmässig, dass ich über die Preise staune, die – etwa auf Vernissagen – für Kunst verlangt werden. Gerade, wenn der ausstellende Künstler noch relativ unbekannt ist. Dann kann ich oft kaum nachvollziehen, wie diese Preise eigentlich zustande kommen. Was mir aber auch klar ist: Sogar die Künstler sind oft unsicher und fragen sich: „Welchen Preis darf ich eigentlich für meine Kunst verlangen?“ Denn anders als in der Wirtschaft, wo bei ähnlichen Produkten zum Beispiel Material- und Planungskosten verglichen werden können, ist das bei Kunst nicht möglich. Um für mich mal etwas Licht ins Dunkel zu bringen, habe ich nach Informationen über die Preisgestaltung für Kunst gesucht. Was ich gefunden habe und was mir davon spannend scheint, fasse ich hier zusammen. Etwas für Künstler, die sich unsicher mit ihren Preisen fühlen. Und für Käufer, die sich keinen Reim auf die Preisgestaltung machen können…

Viele machen Preise nach reinem Bauchgefühl. Das ist aber heikel. Denn schnell kann das Bauchgefühl eine Bauchlandung nach sich ziehen. Weil:

Gedanke (1): Grundsätzlich kann man sagen: Sobald ein Preis einmal festgelegt wurde, kann er, verständlicherweise, eigentlich immer nur nach oben korrigiert werden. Eine Absenkung lässt sich fast nie stimmig begründen. Denn womit will man einem Käufer auch erklären, dass ein Werk über Jahre hinweg nicht nur NICHT im Wert gestiegen ist, sondern sogar an Wert verloren hat. Na?

Gedanke (2): Dem Käufer, dem sowas passiert, geht zu Recht das Vertrauen verloren und er wird sich hintergangen fühlen. Denn immerhin hat er einst viel Geld für ein Werk hingeblättert. Und nun erkennt er, dass der gezahlte Betrag wohl nicht der Marktsituation entsprochen hat. Der verkaufende Künstler steht im schlimmsten Fall als Betrüger da.

Kunst in Schubladen gesperrt

Vor etlichen Jahren schon hat die Branche erkannt, wie schwierig es ist, halbwegs nachvollziehbare Preise für Kunst festzulegen. Aus der Not dieser Erkenntnis heraus, wurde gehandelt. Ein „Kunstkompass“ als weltweites Bewertungssystem wurde ins Leben gerufen. Der Kompass sollte durch Punkte-Verteilen nun dabei helfen, Künstler_inn_en zu klassifizieren und so deren Marktwert exakt zu bestimmen. Jährlich werden die 100 gewichtigsten Kunstschaffenden so ermittelt. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse über Jahrzehnte hinweg in den Zeitschriften Capital und manager magazin. Seit April 2015 erscheint der Kompass neu beim Magazin Weltkunst.

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Das Prinzip ist einfach: Künstler_inn_en, die die meisten Punkte einheimsen, können so (zumindest theoretisch) auch die höchsten Preise am Markt verlangen. Berücksichtigt werden u.a. an welchen wichtigen Ausstellungen (documenta, Biennale usw.) ein Kunstschaffender teilgenommen hat. Auch die Mitwirkung an wichtigen Gruppenausstellungen fällt ins Gewicht oder ob es Rezensionen in bedeutenden Kunstmagazinen gab. Überdies zählt als Pluspunkt natürlich auch, ob Werke von einflussreichen Museen angekauft wurden – oder eben nicht…

Gedanke (3): Ich kann mich der allgemeinen Meinung nur anschliessen: Dieses System ist eine sinnvolle Sache, um die Marktsituation eines Künstlers zu bewerten. Tatsächlich ist ja der, der viel ausstellt und oft Eingang in die Medien findet, ein gefragter Mann oder eben eine gefragte Frau. Über die tatsächliche künstlerische Qualität, das Mass an Ästhetik oder auch den intellektuellen Gehalt einer Arbeit kann dieses System jedoch trotz aller Bemühungen keine Auskunft geben.

Wichtig: kritische Selbsteinschätzung

Gedanke (4): Trotzdem ist es gut, sich als Kunstschaffender mit diesem System zu befassen. Und mit den Gedanken, die dahinter stecken. Man bekommt so nämlich ein bisschen Gespür dafür, wie der Kunstmarkt tickt. Zudem kann man sich ein Bild davon machen, was mittel- und langfristig alles von einem erwartet wird.

Gedanke (5): Vielleicht ist dieses System überdies eine gute Sache für Leute, die noch wenig Erfahrung damit haben, Preise für ihre Werke zu definieren. Denn auch wenn Händler und Galeristen gute Ratgeber sein könne, ist es nie schlecht, ernsthafte eigene Überlegungen zu seinem Marktwert anzustellen.

Preisgestaltung für Kunst – Die Rechenformel

Hier nun der Vollständigkeit halber noch eine abschliessende Sache: Fast jeder Kunstschaffende weiss, nach welchen Formeln und Multiplikationsfaktoren die Verkaufspreise für Kunst berechnet werden. Hier dennoch ein Beispiel: Angenommen, ein Gemälde eines bestimmten Malers hat die Masse 100 cm x 200 cm und der Künstler verlangt dafür 12’000 CHF. Dann kann ein einfacher Faktor berechnet werden. Nämlich: Höhe des Bildes in Zentimetern PLUS Breite des Bildes in Zentimetern mit 40 multipliziert GLEICH 12’000 CHF. Wendet man nun die gleiche Rechnung auf ein Bild mit den Massen 100 cm x 80 cm an heisst das: 100 cm Höhe PLUS 80 cm Breite mit 40 multipliziert ergibt 7’200 CHF.

(Aber ACHTUNG: Die „40“ ist nur Beispiel für einen persönlichen Multiplikator. Ein anderer Kunstschaffender kann den Multiplikator „15“ oder „50“ für sich ansetzen. Wie hoch der Multiplikator angesetzt wird, hängt tatsächlich von Popularität, Nachfrage… eben den Kriterien des oben beschriebenen „Kompasses“ ab.)

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Durch die Rechnung mit dem Multiplikator ist es immerhin möglich, für jeden Künstler und für jede noch so unterschiedliche Technik einen Faktor zu ermitteln. Und dieser kann dann für die Arbeiten dieses einen Künstler verwendet werde. Damit werden zumindest mal die Werke einer Einzelperson untereinander vergleichbar.
Wer sich noch an anderer Stelle im Netz hinsichtlich der Preisgestaltung für Kunst umgucken will, findet hier gute Infos: Preisrechner sowie unter Kunst Mentoring

Und wer neugierig auf das erwähnte System, den „Kunstkompass“ geworden ist, kann hier noch vertiefte Informationen nachlesen: Kunstdunst

„Wir machen keine Kunst! Wir machen Probleme!“

Ein Gespräch mit Frank Riklin 

 „Ich komm‘ sofort – mach’s dir bequem – ich hole noch was – magst du einen Kaffee – Patrik musste wegen was Dringendem nach Zürich – er sagt sorry dafür – gleich bin ich da…“ Frank, die neun Minuten ältere Hälfte des konzept-künstlerischen Zwillingspaars Frank & Patrik Riklin fegt durchs „Atelier für Sonderaufgaben“. Dann schnappt er sich den Stuhl mir gegenüber und lächelt schelmisch. „Also, was willst du wissen?“ Oh, ne ganze Menge! Fangen wir einfach mal vorne an…

Frank, du und dein Bruder Patrik seid mittlerweile bekannt wie bunte Hunde. Man weiss viel über eure Projekte – vom „Kleinsten Gipfeltreffen der Welt“ bis zum „Null Stern Hotel“. Die Medien lieben euch. Was gibt es zu erzählen, das kaum jemand weiss? Unsere Anfänge sind vermutlich relativ unbekannt. Wir sind als die beiden Jüngsten in einer Familie mit sechs Kids aufgewachsen. Unsere Eltern liessen uns viel machen, ausprobieren…. Dass wir heute in der Konzeptkunst gelandet sind, hat ganz klar was mit unserer Kindheit zu tun.

Alltag Agentur Maurus Hofer

Frank & Patrik Riklin (®Marcus Gossolt)

In wie fern? Vom neunten bis zum 18. Lebensjahr haben wir im St. Galler Staatswald Strebel hinter dem Rosenberg verschiedene Hütten gebaut. Diese „Hüttenbauerei“ war quasi unsere erste „Sonderaufgabe“. Begonnen hat alles, unserem jungen Alter entsprechend, mit kleinen Ästen und einer Wärmedämmung aus Laub und zerknülltem Zeitungspapier. Mit 18 waren wir soweit, dass wir Fundamente in den Hang betonierten und Waldhütten bauten, eigentlichen waren es Häuser, in denen wir sogar wohnten. Bis uns die Baupolizei einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Wir lebten da völlige Anarchie… und unsere Eltern haben uns das erlaubt.

Elf Jahre Hütten bauen ist eine lange Zeit. Was hat euch so daran gereizt? Der Antrieb war das Geheime: Das Bauen ohne zu fragen. Die Fantasie in die Wirklichkeit zu holen. Dieses Element hat uns später auch in die Kunst getrieben. Die Erfahrung, dass Ideen nicht nur auf dem Papier leben, sondern dreidimensional in die Welt gesetzt werden können, fasziniert uns nach wie vor.

Ihr habt dann nach der Schule beide getrennt eine Hochbauzeichnerlehre gemacht. Im Anschluss habt ihr an verschiedenen Orten Kunst studiert. Ja, wir mussten uns wohl als Zwillinge erst auseinander dividieren, bevor wir zusammenfinden konnten. Oft gab es starke Rivalitäten zwischen uns.

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EinBlick ins „Atelier für Sonderaufgaben“

Erinnerst du dich noch an…mmmh…nennen wir es mal: „Projekt X? Das erste wirklich gemeinsame Projekt eurer Laufbahn?  Aber ja. 1998 kam es zur ersten freien gemeinsamen Arbeit unter dem Titel „79 Schlafzimmer“. Da wollten wir eine gerade geborene Idee unmittelbar und innert drei Tagen umsetzen.

Was habt ihr gemacht? Wir klingelten bei 79 ausgewählten Menschen an der Haustür und baten darum,  dass sie ihr eigenes Schlafzimmer für zehn bis 30 Sekunden filmen. Dafür haben wir  unsere Kamera an der Haustür abgegeben,  liessen die Leute filmen, bekamen die Kamera zurück und gingen weiter. Fast alle haben mitgemacht. Durch diese Arbeit haben wir den Finger auf das Thema Voyeurismus gelegt – und den Voyeurismus schliesslich unterwandert.

Kurze Zwischenfrage: Warum gerade 79?  Weil man mit 79 Personen die Bevölkerungsverteilung der Stadt St.Gallen abbilden kann: Mit dieser Anzahl kann man repräsentativ aufzeigen, wie viele Reiche, Arme, Ausländer, Künstler usw… hier leben.

Okay, danke. Und wie ging es mit dem Projekt weiter?  Wir haben die Aufnahmen zu einem filmischen Ornament zusammengeschnitten und beschlossen, diese Filmarbeit genau ein einziges Mal zu zeigen. Und zwar im Lagerhaus hier in St.Gallen. Da gibt es ein Treppenhaus mit 79 Stufen. Auf jede Stufe klebten wir den Namen eines „Akteurs“. Am Treppenende war dann der Film zu sehen – allerdings ohne Hinweis, welches Schlafzimmer von welcher Person stammt. Die Zuschauer konnten nur spekulieren. Ihre Hoffnung zu erfahren, wie etwa das Schlafzimmer des Stadtpräsidenten aussieht oder ob ein Banker kreativer eingerichtet ist, als zum Beispiel ein Künstler, wurde nicht gestillt. Die Intimsphäre der Einzelnen blieb gewahrt.

Kunst ist nicht zum Selbstzweck da

Kann man den Film heute noch anschauen? Vom Film haben wir 79 Kopien angefertigt, die zum Kauf angeboten wurden. Allerdings sind alle zwischen zwei Metallplatten verschraubt. Man kann den Film folglich nicht anschauen, ausser, man zerstört das Werk. Aber auch dann gibt es nicht das zu sehen, was man sich erhofft. Denn auf dem verkauften Video sind nur Patrik und ich im Bett zu sehen. Wie gesagt: Der Film war dazu gemacht, nur ein EINZIGES Mal gezeigt zu werden… und dabei bleibt es.

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verschraubt: Nr. 65 der „79 Schlafzimmer“

Ihr habt schon damals keine halben Sachen gemacht! Wie sieht es jetzt, fast 20 Jahre später, mit euren künstlerischen Ansätzen aus? Wir sagen: Kunst braucht eine Funktion, die ein reales Verhältnis mit anderen Teilsystemen schafft. Unsere Kunst ist nicht zum Selbstzweck da. So betrachtet, machen wir keine Kunst, wir machen Probleme. Probleme sind für uns Zustände, Dinge offen zu legen. „Probleme“ sind verkleidete Möglichkeiten. Wir wollen nichts wegschieben, sondern mit dem Problem arbeiten. Da sind Überraschungen drin.

Was passiert, solltet ihr doch mal an den Punkt kommen, wo ihr keine „Probleme“ mehr macht? Naja, dieser Tag liegt hoffentlich in weiter Ferne (schmunzelt). Bisher haben wir kein einziges Projekt, das nicht Konflikt und Reibung auslöst. Wenn es jemals so weit kommen sollte,  sind wir nicht mehr die Künstler, die wir sein wollen. Unser Anspruch ist, was zu bewegen. Wenn das nicht mehr so ist, sind wir nur Dienstleister, die tun, was andere wünschen.

 

Und zum SCHLUSS natüüürlich:

Vielen Dank an Frank und Patrik Riklin: Dafür, dass ihr das Gespräch trotz wichtiger „To dos“ in Züri nicht abgeblasen habt. Und dafür, dass sich deshalb einfach Frank die Zeit für mich genommen hat. Danke für all die spannenden Infos. Und für den Kaffee!

Hier gibts noch mehr: Atelier für Sonderaufgaben, Die Zukunft gehört den Artonomisten, SRF: Freigeister unter freiem Himmel oder in diesem Blick-Bericht

 

(Bilder: freundliche genehmigt durch Frank und Patrik Riklin)

Roman Rutishauser: Im musikalischen Container vor Anker gehen

Roman Rutishauser, Musiker und Kunst-Querdenker, begeistert sich für vieles: Für‘s künstlerische Mobil-Sein ebenso wie für‘s Agieren im öffentlichen Raum. Ausserdem liebt er das Wasser, was mit begründet, dass er seit ein paar Jahren auch ein Atelier in Venedig sein eigen nennt. Seit Mai ist er neuerdings in einem alten roten Hochsee-Container vor Anker gegangen. Und zwar im St. Galler Lattichquartier. Weiterlesen

Kann ich mir mein Kunstschaffen eigentlich leisten?

In letzter Zeit habe ich immer wieder mit Kunstschaffenden geredet, die noch am Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn stehen. Und dabei hörte ich des öfteren, dass etliche keinen Überblick über die Ausgaben für ihr Kunstschaffen haben. Manche sind zudem unsicher, wie man ein Budget erstellt oder einen Finanzierungsplan. Aus gegebenem Anlass folgt hier für alle «Betroffenen» ein Rundumschlag in diesem trockenen Thema. Vielleicht hilft er dem ein oder anderen ja, zu vermeiden, dass am Ende des Geldes noch so viel Projekt übrig ist….

Die eine grosse Frage ist zunächst mal die: Wie teuer ist für einen Künstler sein Kunstschaffen überhaupt? In Wirtschaft und Industrie ist meistens klar, wie viel es kostet, eine bestimmte Ware zu produzieren. Im Bereich der Kunst hingegen wissen oft nur wenige Kunstschaffende, wie viel sie tatsächlich an echtem Geld in ihr Schaffen hineinstecken. Und dann fehlen ihnen bei Verhandlungen um Honorare und Gagen eine, sagen wir mal, individuelle «Basisgrösse». Sie können nicht bewerten, ob ein gemachtes Angebot sich letzten Endes lohnt… oder eben nicht.

Doch wie kann man so eine Basisgrösse ausfindig machen? Wie kann man einen Grundpreis für seine Kunst festlegen, resp. ihn zunächst mal ermitteln? Für die bildenden Künste kann man das z.B. so definieren: Materialkosten für jedes Kunstwerk, anteilige Beträge an Mieten, Versicherungen sowie ein angemessener Arbeitslohn für die geleisteten Stunden. Last but not least müssen auch unbedingt die tatsächlich anfallenden Lebenshaltungskosten mit hinein gerechnet werden. So kommt man ungefähr auf den Betrag, den man für ein Werk anpeilen sollte, um nicht nur drauf zu legen.

Hier eine kleine Aufstellung, aus was sich der Werkpreis u.a. zusammen setzt:

  1. Materialkosten
  2. Kosten für Produktionsmittel
  3. Kosten für Produktionsort, Atelier (anteilig)
  4.  Kosten Publikationen, Werbung,  Gestaltung/Pflege der Webseite usw.…
  5. Arbeitskosten, individuell mit Stundensatz gerechnet
  6. Lebenshaltungskosten
  7. Ausserdem kommen allenfalls noch Aufschläge für Galeristenprovisionen usw. dazu…

Klaro, dass man leider gerade nachdem man so eine Aufstellung gemacht hat, oft frustriert feststellen muss, dass der persönliche Soll- und der Ist-Wert im Markt oft weit auseinander klafft. Wer aber nicht mal weiss, wie viel ihn sein Wirken gekostet hat, der lässt sich noch leichter mit unfairen Honoraren über den Tisch ziehen- weil er schlichtweg nicht mit harten Zahlen argumentieren kann. Sich selbst guten Überblick zu verschaffen, ist daher der erste kleine Schritt auf dem Weg zur Besserung.

Auch für grössere Projekte, an denen man eventuell als Kurator beteiligt ist, oder die man mit anderern realisiert, fallen Kosten an. Hier sollte man unbedingt ein Projekt-Budget erstellen, bevor man sich in die Arbeit wirft.  Das kann etwa folgendermassen ausschauen: (nicht wundern, wenn hier ähnliche Posten wie oben erneut auftauchen…)

Budget

Im Budget werden alle Beträge aufgestellt, die man für die Umsetzung eines Projektes veranschlagt. Je detailliertere Offerten oder auch Erfahrungswerte aus vergleichbaren Projekten vorliegen, desto exakter ist die Budgeterstellung möglich. Ins Budget werden Posten wie die folgenden aufgenommen: Honorare, Materialkosten, Werbung, Versicherungen, Transporte, Reisekosten und Unterbringungen,  etceteraPP. Hier ein minimalistisches Beispiel:

Ganz unterm Strich steht schliesslich ein Gesamtbetrag der zu erwartenden Ausgaben. Z.B. 10’000 CHF

Sobald sich abzeichnet, wie die tatsächlichen Kosten aussehen, kann man diese als «effektive» erfassen. Damit verschafft man sich den direkten Überblick, was man als Ausgaben veranschlagt hat und wo man tatsächlich mit den Kosten steht.

Finanzierungsplan

Im Finanzierungsplan stellt man zusammen, woher die realen Gelder kommen sollen, um die im Budget erfassten Kosten auch bezahlen zu können.

Dazu gehört u.a. die Eigenleistung. Als Projektveranstalter trägt man in der Regel einen Teil der Finanzierungslast selbst. Beispielsweise: Kosten für Versicherungen (die ohnehin am Laufen wären), Mieten für Räume oder Technik oder auch ein Teil der eigenen Arbeitsleistung (Bsp. 20 Stunden Konzept-Erarbeitung bei einem Stundensatz von CHF 30  macht dann 20 Std x 30 CHF = 600 CHF Eigenleistung fürs Konzept usw.)

Des weiteren gehören dort aber auch die Beträge hinein, die man von Stiftungen oder der öffentlichen Hand beantragt.

Der Betrag, der schliesslich als TOTAL im Finanzierungsplan steht, muss der selbe sein, wie im dazugehörenden Budget. Wer 12’000 CHF bei verschiedenen Institutionen beantragt, obwohl er budgetiert, mit 10’000 CHF sein Projekt umsetzen zu können, muss sich auf irritierte Rückfragen gefasst machen.

Apropos

Wenn man mit seinen Gesuchen keinen Erfolg hat, sollte man kurz nachdenken, bevor man sich ins Projekt wirft. Ist man in der finanziellen Lage, das Projekt auch gesamthaft aus eigener Tasche zu stemmen? Oder vertagt man es vielleicht auf einen späteren Zeitpunkt?

Wie sieht es mir euren Erfahrungen aus? Wie geht ihr vor, wenn ihr euch an Budgeterstellung und Finanzierungsplan macht? Meldet euch gerne mit euren Kommentaren! Ich bin gespannt!

Hier übrigens hat’s Tipps, worauf man beim Stellen von Gesuchen achten muss.

Dreimal Kulturjobs im Osten

Aber HALLO! Jobs in der Kultur sind rar. Und noch rarer sind sie in der Ostschweiz, denn viel läuft einfach in Zürich, Bern oder Basel. Wenn man also hier in Bodensee-Nähe was findet, ist das echtes Glück. Daher gleich raus damit und bekannt gemacht: Drei Jobs als Kultur-Täter zwischen 40 – 100 Prozent. Zu den Details…

LEITUNG KOMMUNIKATION/DIREKTIONSMITARBEIT  100%

Die Genossenschaft Konzert und Theater St. Gallen sucht per Oktober eine Leitung für die Kommunikation/Direktionsmitarbeit. Skills sind: Konzeptions- und Koordinationstalent für selbstständige Projekte im Theater- und Konzertbereich sowie die Unterstützung des Geschäftsführenden Direktors bei übergeordneten Themen. Hier die Details zum Konzert_und_Theater_StGallen_LeitungKommunikation.

Ansprechperson: Monika Stiefel, Personalabteilung
E-Mail: m.stiefel@theatersg.ch

 

KUNSTVERMITTLERIN / KUNSTVERMITTLER 60%

Das Fotomuseum Winterthur und die Fotostiftung Schweiz suchen per Mitte August 2017 oder nach Vereinbarung eine/n KunstvermittlerIn 60% (Schwerpunkt Kinder und Jugendliche). Mit ihren Ausstellungen zur historischen und zeitgenössischen Fotografie gehören das Fotomuseum Winterthur und die Fotostiftung Schweiz zu den führenden Fotoinstitutionen in Europa. Eine aktive Kunstvermittlung soll dazu beitragen, die öffentliche Auseinandersetzung mit Fotografie zu fördern. Hier die Details zum Fotomuseum_Winterthur_KulturvermittlerIn

Ansprechperson: Sabine Münzenmaier, Fotostiftung Schweiz
E-Mail: muenzenmaier@fotostiftung.ch

 

KULTURVERMITTLER_IN / WISSENSCHAFTLICHE_R MITARBEITER_IN  40-50%

Das Seemuseum Kreuzlingen sucht nach einer/einem KulturvermittlerIn, der inhaltlich und konzeptionell für den Bereich Bildung und Vermittlung verantwortlich ist und diesen in Absprache mit der Museumsleitung selbständig führt. Die Durchführung oder Koordinierung verschiedener zielgruppenspezifischer Vermittlungsangebote gehören ebenso zu den To Dos wie die Pflege des Kontakts zu Schulen und Hochschulen der Region. Und sonst ist noch gefordert:  Sammlungspflege (Inventarisation, Betreuung Leihwesen und Erschliessung), die Pflege der Bibliothek und die Mitarbeit bei Sonderausstellungen und allenfalls ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Hier die Details zum Seemuseum_Kreuzlingen_KulturvermittlerIn

Ansprechperson: Ursula Steinhauser, Museumleiterin, lic.phil.
E-Mail: steinhauser@seemuseum.ch

ALSO: BEWERBEN, denn wer nicht wagt, gewinnt auch nicht – UND VIEL GLÜCK!

 

 

 

Eruk Soñschein, St. Gallen (SG)

Wer Eruk Soñschein ist: Eruk Soñschein, alias Kathrin Rieser, ist seit Jahren spartenübergreifend in den Bereichen Bildende Kunst, Theater und Performance tätig. 2013 zeigte Kathrin Rieser in der Galerie vor der Klostermauer in einer Einzelausstellung eine Reihe ihrer Werke. 2015 war sie zu einem Atelieraufenthalt, den die Kulturkommission der Stadt St. Gallen ihr zugesprochen hat, in Buenos Aires .

 

„miroir“ (Mixed Media, 2010)

 

Über die Arbeit „miroir“ (2010)

Eruk Soñschein erschafft ihre Wesen aus Weggeworfenem, „Wieder“-Gefundenem und wertet dieses durch ihre Bearbeitung neu. Oft haucht sie ihren Gestalten regelrecht neues Leben ein, indem sie sie in Bewegung versetzt: Mechanisch werden da Hüften zum Schwingen gebracht, Nähnadeln zum Nähen.

Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass diese Figuren aus Dingen bestehen, die schon mal woanders dazu gehört haben, aus Einrichtungsgegenständen längst demontierter Puppenhäuser und nicht mehr geliebten Lieblingsdingen: Jedenfalls können sie bei der Betrachtung zwei starke Eindrücke wecken: Hilflose Zerbrechlichkeit und beklemmende Morbidität.

Wie etwa bei der kleinen Tänzerin vor dem Spiegel, deren Fragilität man spürt. Zugleich macht sich aber auch ein weiterer Eindruck breit: Ein Gefühl von Verfall, das Angst macht. Die Gestalt, weissgesichtig, steht vor einem Spiegel. Mittels des durch die Künstlerin eingebauten Antriebes, dreht sie langsam und ungelenk die Hüften. Der Körper ist aus kantigen Holzelementen gemacht, er wirkt fast wie ein Skelett. Die von einer Tänzerin zu erwartende, auch optische, Geschmeidigkeit fehlt. Irritierend erscheinen neben den spindeldürren Extremitäten der beinahe grotesk ausladende Busen, die üppige Hüfte. Beides lädt nicht zur Berührung ein, sondern wirkt eher bedrohlich. Man denkt an Zerfall, wenn man das poröse Material der Hüfte in Augenschein nimmt. Nicht an Erotik. Die ganze Figur – ein Widerspruch in sich.

Es ist eine Figur, in der man viel des Kampfes mit den eigenen Grenzen und der dazugehörenden Verzweiflung finden kann. Was passiert mit dieser Tänzerin, wenn ihr (mechanischer) Antrieb versagt? Gibt der fragile Knochenkörper auf? Oder löst er sich wie durch Zauberei aus seiner Halterung, um sich an uns, den fast voyeuristisch neugierigen Betrachtern, zu rächen? Durch die Wahl ihres Arbeitsmaterials und ihrer Inszenierungen zieht die Künstlerin den Betrachter in eine Welt hinein, die die Phantasie mit einem durchgehen lässt und unerwünschte Gefühle anstösst: Unsicherheiten, Abscheu und Beklemmungen.

(c) Dorothee Haarer

Mehr über Eruk Soñschein gibt in diesem Beitrag des St. Galler Tagblatts zu lesen!

Ausstellungen ja!!! – aber nur mit Vertrag!

TEIL l – Ausstellungsverträge.

Tolle Ausstellungen zu realisieren, am besten auch noch viele Verkäufe zu tätigen und gut in den Medien besprochen zu werden – davon träumt wohl jeder bildende Künstler. Und weil Ausstellungsmöglichkeiten rar sind, ist man auch mal schnell bereit, Bauchentscheide zu fällen. Dann stellt man seine Werke hier und da aus…und hat oft nicht einmal die Absicherung mittels eines Vertrags, der definiert, wie die Sache über die Bühne zu gehen hat. Hier einige Tipps und ein Mustervertrag…

vertrag-bildOkay, in sehr vielen Fällen stellen Kunstschaffende an Orten aus, wo es doch schon ein gewisses Know-how gibt. Selbst kleine Galerien und Off-Spaces sind in der Regel an dem Punkt angelangt, dass sie Ausstellungen mittels Verträgen regeln. Das ist für alle Beteiligten von Vorteil. Denn es zeigt klar auf, welche Leistungen erbracht und erwartet werden dürfen oder auch welches Honorar garantiert ist. Und falls Sonderregelungen anfallen, können auch diese problemlos im Vertrag noch formuliert werden. Hier eine kleine Liste von Punkten, die jeder Vertrag enthalten sollte – für all jene, die einen Ausstellungsvertrag benötigen und denen noch keiner zwischen die Finger gekommen ist..

 

7 Punkte, die im Vertrag definiert sein sollten

  1. Namen der Vertragspartner- Wer ist der Aussteller UND wer ist Ausführender?
  2. Ausstellungsziel- Welche Art von Kunst wird ausgestellt/Werkliste?
  3. Termine – Dauer, Ort, Zeiten der Ausstellung?
  4. Vergütungen – Welches Honorar steht an, wie werden Spesen geregelt
  5. Rechte und Pflichten der Vertragsparteien- Wer muss was gewährleisten?
  6. Versicherungen, Transporte und so weiter
  7. Zusatzregelungen und Unterschriften

Sind diese sieben Punkte einigermassen gefixt, kann schon nicht mehr alles schief gehen. Umfassende Vertragsvorlagen, z.T. leider kostenpflichtig, finden sich hier:

Mustervertrag fuer die Schweiz

Infos zur Vertragsgestaltung fuer Deutschland

Wer regelmässig und auf professioneller Ebene Ausstellungen realisiert, sollte sich dennoch überlegen, ob er das Geld für diese Verträge nicht locker machen will. Ich halte das für sehr sinnvoll.

Für all jene, die hingegen eher selten ausstellen, stelle ich hier einen kleinen Mustervertrag zur Verfügung (ohne Gewähr auf Vollständigkeit – ich bin keine Juristin – und einfach zur Info…)

ausstellungsvertrag_muster

 

Demnächst gibts hier noch mehr zu diesem Thema – dann nämlich ein Muster eines Kaufvertrags…

Alex Hanimann: «Die Collage ist das eigentliche Prinzip unserer Zeit.»

Die NZZ schrieb einmal, er zähle mit seinem zeichnerischen Werk zu den wichtigsten Schweizer Künstlern der Gegenwart. Zudem hat er die Kunsthalle St. Gallen mitbegründet und war lange Mitglied in der eidgenössischen Kunstkommission. Bis heute unterrichtet er an der ZHdK und ist in Ausstellungen aktiv. Die Rede ist von Alex Hanimann. Trotz all des Ruhms sind ihm Starallüren erfreulich fremd, wie er im Gespräch in seinem St.Galler Atelier unter Beweis stellt.

Alex, über dich und dein Werk gibt es SO viel zu lesen. Daher soll hier gar nicht darüber geredet werden. Sondern vielleicht nur eine einzige Frage dazu: Gibt es eine Quintessenz, die konstant in deiner Arbeit auftaucht? Wahrscheinlich, dass ich mich nicht auf etwas festlege, sondern eher an Gegensätzen interessiert bin.

Welche Gegensätze? Zum Beispiel Ordnung und Chaos. Ich versuche permanent, Ordnung zu schaffen, damit Dinge verständlich werden. Gleichzeitig provoziere ich immer auch chaotische Situationen, bringe Sachen durcheinander, um so aus dem Ungeordneten heraus neue Bilder und Sichtweisen zu generieren. So pendelt das zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Bewährtem und Neuem hin und her.

No proof – no commentary – no double entendre, 2012, MAMCO, Genf

Dann gibt es also auch in deinem künstlerischen Ausdruck gegensätzliche Pole? Ja. Auf der einen Seite gibt es die abstrakte Welt der Sprache. Und auf der anderen die Bilder und Figuren, eine konkrete Welt, in der die Dinge im zwei- und dreidimensionalen Raum angesiedelt sind. In jedem Fall ist es das Stereotype und das Prototypische, das mich interessiert. Die Kunst gibt mir die Möglichkeit, Inhalte in Form von Modellen und Hypothesen zu untersuchen, um so Wahrheiten überprüfen und  bestätigen zu können oder aber Hypothesen zu behaupten.

„Lesen lohnt sich“ – Filzstift auf Transparent Papier, 30.5 x 45 cm

Du unterrichtest Studenten. Welche Eigenschaften, meinst du, helfen dir, Künstler und zugleich Lehrer für andere Kunstschaffende zu sein?  Ich bin ein neugieriger Mensch und interessiere mich immer auch dafür, was andere machen, weil ich davon lernen kann. Ich wechsle sozusagen die Perspektive und den Fokus. Das weitet den Blick, ist bereichernd und inspirierend. Gleichzeitig schafft der Blick auf das Andere, das Fremde, auch Distanz. Das hilft mir wiederum, meine eigenen Arbeiten zu relativieren, sie klar abzugrenzen, zu schärfen und zu präzisieren.

Im Ungeformten und Rohen die Stärken aufspüren

Trotzdem stelle ich es mir schwer vor, Studierende an der langen Leine zu lassen und ihnen keine eigenen künstlerischen Ideen aufdrücken zu wollen. Das stimmt natürlich. Einerseits versuche ich, die Studentinnen und Studenten in ihren eigenen, originellen Ideen zu unterstützen. Auf der anderen Seite, will ich aber auch meine ganz spezifischen, breiten und langjährigen Erfahrungen mit Kunst, mit dem Her- und Ausstellen von Kunst vermitteln. Das kommt einer Art Quadratur des Zirkels gleich.

Alex Hanimann – Sein Selfie hat er im Toni an der ZHdK aufgenommen.

Du selbst giltst als Konzeptkünstler. Objekte, Malereien, Zeichnungen, Texte: Dir scheint nichts fremd. Erwartest du von deinen Studierenden die gleiche Vielseitigkeit? Jede und jeder sollte versuchen, seine Stärken einzusetzen. Die Voraussetzungen und Talente können sehr unterschiedlich sein. Das aufzuspüren, herauszufinden, wie man sich am besten artikulieren kann, ist der Sinn jeder künstlerischen Ausbildung. Gerade bei jungen Menschen ist ja vieles noch roh und ungeformt. Es ist schon da, aber es ist noch nicht wirklich sichtbar. So gilt es einerseits, im Unterricht, in der Ausbildung, breit zu experimentieren; andererseits auch zu fokussieren. Wie weit das gelingt, hängt einerseits von der Offenheit und Unvoreingenommenheit des Lehrers ab und gelingt andererseits nur mit  klaren Stellungnahmen, dem präzisen Einmischen und in Frage stellen.

Die Umgangsformen mit Kulturgut wandeln sich

Was mich zum Schluss noch interessieren würde: Du hast schon immer mit fremden Bildvorlagen gearbeitet, diese weiter verwertet – böse gesagt: geklaut.  Wie gehst du selbst damit um, wenn jemand deine Werke adaptiert und damit arbeitet? Ich habe kein Problem, wenn jemand meine Arbeiten weiterverwendet. Ich denke, es liegt im Wesen unserer Zeit, dass Dinge vermischt werden. Die breite Verfügbarkeit von Wissen, von Bildern und Sprache soll meiner Meinung nach genutzt werden können. Die Autorin, der Autor, verschwindet so teilweise in einer kollektiven Autorschaft. Sharing und Recycling bilden eine Art Fundament unserer Zeit. So ist nur logisch, dass man fremde Dinge benutzt, adaptiert und transformiert. Die Collage ist das eigentliche Prinzip unserer Zeit. Klar muss man gewisse Dinge respektieren. Grundsätzlich meine ich, dass es beim Benutzen der Dinge entweder irgendeine Veränderung oder eine erkennbare Manipulation braucht. Oder aber, man legt offen, woher eine Quelle stammt. Es geht nicht, 1:1 eine Formulierung zu übernehmen und diese als die eigene auszugeben. Das muss man wissen, ernst nehmen und auch akzeptieren. Aber die Umgangsformen mit Kulturgut wandeln sich eben.

 

(Bilder: (c) Alex Hanimann)

 

 

Mark Staff Brandl, Trogen (AR)

Wer Mark Staff Brandl ist: Brandl kam 1955 in der Nähe von Chicago zur Welt und hat lange Zeit dort gelebt. Seit 1980 ist er als Künstler und Kunsthistoriker tätig. 1988 siedelte er in die Schweiz über. Der Künstler lebt in Trogen. Weitere Infos!

Ausbildung: Seine Ausbildung in Kunst, Kunstgeschichte, Philosophie und Metapher-Theorie absolvierte er an der University of Illinois (BFA), Illinois State University, Columbia Pac University (MA) und promovierte magna cum laude zum Doktor (PhD) an der Universität Zürich in der Geschichte der Kunst. Der Künstler lebt in Trogen.

Mark Staff Brandl ist unter anderem wegen seiner selbst ernannten „Mongrel Art“ (Mischlingskunst) bekannt: Kreuzungen zwischen Installation und sequenzieller Malerei, die mitunter sogar Vorträge als Performances beinhalten. Bis heute hat er verschiedene Auszeichnungen erhalten und ist mit zahlreichen Vorträge, Publikationen und Ausstellungen an die Öffentlichkeit getreten. Ausserdem ist Brandl u.a. Dozent an der Kunstschule Liechtenstein sowie der Höheren Fachschule St. Gallen und kuratiert den Kunstgrill in Zürich.

Werke in öffentlichen Sammlungen:  Seine Werke sind u.a. hier zu finden: Museum of Modern Art in New York – Whitney Museum in New York – Museum of Contemporary Art in Chicago -Victoria und Albert Museum in London – Thurgauer Kunstmuseum – Kunstmuseum St. Gallen -Kunstmuseum Olten – Museum of Contemporary Art in Los Angeles -International Museum of Cartoon Art -Graphischen Sammlung der ETH Zürich …

Basquiat & Warhol (Wright/Bowie), aus “Painting Acted Artists”. Alkyd, Email & Acryl auf Leinwand, 183 x 270 cm. 2016

 

Zur Werk-Serie:  “Painting Acted Artists”

Mark Staff Brandl realisierte eine Bilderserie berühmter Maler aus der Kunstgeschichte. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch nicht um die Künstler selbst, sondern um Bilder jener Schauspieler, die diese Künstler im Kino verkörpert haben. Brandl stützt sich dabei auf Spiel- und Dokumentarfilme, die den Künstlern ein prominentes Gesicht geben und sowohl visuell wie in der Charakterdarstellung überzeugen.

Als ausübender Künstler und Kunsthistoriker ist sich Brandl der prägenden Wirkung medialer Vermittlung mehr als bewusst. Neben Vorträgen und Büchern sind es vor allem neue Technologien wie das Kino, das Fernsehen und das Internet, die uns mit den Stationen der Kunstgeschichte vertraut machen. Gleichzeitig stehen den Betrachterinnen und Betrachtern heute mehr Kunstwerke im Original zur Verfügung, als dies je der Fall war.

Die Serie zeigt Künstler wie Paul Gauguin (Anthony Quinn), Rembrandt (Charles Laughton), Leonardo da Vinci (John Glover) oder die oben gezeigten Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol (dargestellt von Jeffrey Wright und David Bowie).