Roman Rutishauser: Im musikalischen Container vor Anker gehen

Roman Rutishauser, Musiker und Kunst-Querdenker, begeistert sich für vieles: Für‘s künstlerische Mobil-Sein ebenso wie für‘s Agieren im öffentlichen Raum. Ausserdem liebt er das Wasser, was mit begründet, dass er seit ein paar Jahren auch ein Atelier in Venedig sein eigen nennt. Seit Mai ist er neuerdings in einem alten roten Hochsee-Container vor Anker gegangen. Und zwar im St. Galler Lattichquartier.

Roman, du sagst, du liebst die Bewegung und das Wasser. Und doch hast du dich nun im staubtrockenen Brachland vom «Lattich» fest mit einem Atelier-Container verankert. Wie passt das zusammen? Das passt sogar extrem gut zusammen. Denn «Lattich» ist als junges Zwischennutzungs-Areal für Gesellschaftliches und Kulturelles noch in einer völlig agilen und fluiden Phase. Hier ist noch alles möglich, alles offen. Den Wachstums- und Entstehungsmöglichkeiten sind noch keine Fesseln angelegt. Das fasziniert mich.

Manchen Menschen macht es Angst, wenn alles offen ist. Sie brauchen Grenzen zur Orientierung. Bist du da anders gestrickt?  Vermutlich. Ich bin zwar ausgebildeter Musiker, aber schon im Studium wollte ich nie nur in der Musik wie in einem abgeschlossenen Raum arbeiten. Ich war schon damals als Kapellmeister im Zirkus Knie engagiert. Da machte ich die Erfahrung, wie verschiedene Ausdrucksformen zusammen laufen und schliesslich etwas Atmosphärisches und Grossartiges entsteht.

Wirkt sich das heute auf dein Arbeiten aus? Ich suche oft gezielt den Austausch mit anderen Kunstsparten: der bildenden Kunst beispielsweise oder der Literatur und lasse mich darauf ein. Dabei stosse ich zudem oft auf Menschen, die ähnlich denken wie ich, die ähnliches wollen… und sich aber einfach mit anderen Mitteln ausdrücken.

Im Lattichquartier hast du einen Chor gegründet. Das klingt aber nach etwas ganz Typischem für einen Musiker… Mag sein. Dennoch ist dieser «Lattich»-Chor eben keinen Vorgaben unterworfen, wie etwa ein Kirchen- oder ein Gospel-Chor. Wir singen nicht nur klassischerweise «Lieder». Mir und den Mitwirkenden geht es um Inhalte, um die Freiheit zu improvisieren und darum, dass alle schliesslich zusammen EIN Instrument darstellen, EINEN Klangkörper erschaffen.

Das klingt etwas geheimnisvoll. Erkläre mir doch mal, wie das vor sich geht. Wir proben ja in der SBB-Halle auf dem Areal. Das ist schon mal an sich ein besonderer Ort. Zu Beginn der Probe rege ich die Chormitglieder beispielsweise an, sich auf die Stimmung und Geräusche rundum einzulassen: Den Wind, einen vorbeifahrenden Zug… Sie sollen versuchen, in einen Klang hinein zu kommen, der Resonanz hat mit dem, was am Ort selbst vorhanden ist. Das ist beinahe eine Performance und es ist unglaublich, wie sich so ein Klangteppich bildet. Alle erzeugen diesen gemeinsam. Irgendwann findet er seinen Höhepunkt, ebbt dann ab und verstummt. Danach machen wir uns ans Programm.

Wie sieht das aus? Ich habe drei Texte der leider bereits verstorbenen St. Galler Autorin Ursula Riklin für Chor vertont, die wir zusammen proben. An Riklins Arbeiten reizt mich, dass ihre Sprache so duftig und leicht ist. Sehr persönlich und mit viel Hintergrund – obwohl sie mit sehr wenig Worten schafft. Im Chor sind wir jedenfalls schon weit damit gekommen. Und es macht mir natürlich eine riesen Freude, wenn, wie neulich, eine Chorsängerin zu mir sagt, der «Lattich»-Chor sei endlich die Art von Chor, nach der sie schon immer gesucht habe.

Nun ist ja Lattich erst mal bis Ende Oktober 2017 ein Thema, mit Hoffnung auf eine Fortsetzung im 2018. Würdest du auf dem Areal bleiben und deine Projekte auch vorantreiben, wenn sich die Möglichkeit ergibt? Oder zieht es dich weiter, Stichwort «Mobil-Sein». Auch wenn ich gerne unterwegs bin, habe ich den Wunsch, fix im Lattich zu verweilen. Für mich ist es ein tolles «flexibles Zentrum», wo die Verantwortlichen nicht erzwingen, dass man an kreativen Ideen brachial baggert. Sondern wo man Menschen und Dingen ihre Zeit zum Aufblühen lässt. Ich bin jedenfalls freudig auf die Zukunft gespannt.

Herzliches Danke an dich, lieber Roman, dass ich dich in deinem Container besuchen durfte. Und danke für die kleine Konzert-Einlage! 

Mehr Infos zum Roman Rutishauser, seinem «Lattich»-Chor und seinen Aktivitäten finden sich auf seiner Website 

 

Und dann noch dies:

Der „Container für Unerhörtes“ feiert seine Eröffnung auf persönliche Art! Man ist herzlich eingeladen, in seinen stählernen Wänden den Riesengong „Shiva Shakti“ zu spielen, solange man will.

Zeiten zum Feiern sind
Donnerstag, 6. Juli & Freitag, 7. Juli jeweils 17.00 – 22.00 h
Samstag, 8. Juli, 10.00 – 15.00 h

 

«Lattich», Güterbahnhofstrasse 8, 9000 St. Gallen