wir wollen mit unseren programmen bewegen
Matthias Peter ist im allerbesten Sinne «multifunktional»: Autor, Schauspieler, Kulturjournalist, Regisseur. Im Jahr 2000 erhielt er einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen und 2004 übernahm er die Leitung der traditionsreichen St.Galler Kellerbühne. Aus der Ostschweizer Kulturlandschaft ist er heute nicht mehr wegzudenken. Im Interview durfte ich den Vielbeschäftigten ein bisschen ausquetschen. Zum Beispiel über Kleinkunst im Allgemeinen und Eigenproduktionen im Besonderen….
Matthias, macht es heute eigentlich noch Spass, Kleinkunst anzubieten? Ein leichtes Business ist das ja nicht. Auf jeden Fall macht es Spass! Auch nach elf Jahren, die ich diese Arbeit jetzt schon machen darf. Die Freude besteht vor allem darin, dem Publikum aus dem breiten Angebot der Kleinkunstszene Perlen zu präsentieren Die Zuschauer sollen bei uns ein Programm mit hohem Niveau zu sehen bekommen. Da kommt mir meine Rolle als Kulturjournalist zugut. Nicht nur der Blick des Veranstalters.
Viele Leute haben heute ein ausgeprägtes Event-Denken. Sie suchen auch beim Kultur-Programm «Celebrities». Wie geht die Kellerbühne damit um? Unser Motto lautet „Über die Hintertreppe zum Vordenken“. Wir wollen mit unseren Programmen bewegen und ein bisschen länger in den Köpfen bleiben. Deshalb zeigen wir auch anspruchsvolles Sprechtheater und halten an dieser Programmschiene fest. Nur leicht verdauliche Comedy? Das geht gar nicht. Aber klar: Wir müssen den Zahlen zuliebe Kompromisse eingehen. Denn es stimmt schon, dass bekannte Namen das Publikum anlocken.Neues und Unbekanntes hat es bekanntlich schwerer.
Du wagst es dennoch, No-Names auf die Bühne zu holen. Wieso? Wenn ich neue, unbekannte Namen ins Programm nehme, ist es immer ein Entscheid, diese Namen auch zu pflegen. Dann sind das Leute mit Potenzial, die ich fördern möchte. Mir ist es wichtig, pro Saisondrei, vier neue Gesichter auf die Bühne zu holen.
Heute wird oft von einem Überangebot an Kultur geredet. Ist das ein Thema, das dir Kopfschmerzen bereitet? Nein. Trotz des steigenden Angebotes hat die Kellerbühne kein Publikum verloren. Eher gewinnt sie konstant neue Zuschauerkreise dazu. In meinem Buch „Applaus & Zugaben“ über die Geschichte der Kellerbühne und der Kleinkunst beschreibe ich, wie sich das kulturelle Angebot in St.Gallen entwickelt hat. Die Eröffnung der Kellerbühne 1965 bedeutete den Beginn der Alternativkultur in der Ostschweiz. Zwanzig Jahre später kamen die Grabenhalle und das Kinok hinzu. Ab Mitte der 90er Jahre, quasi explosionsartig, Kugl, Palace, sommerliches Kulturfestival und so fort…Ich denke, dass wir mit der Fragmentierung von Gesellschaft und Interessen leben können. Durch ihr breitgefächertes Angebot erreicht die Kellerbühne ein grosses Stammpublikum.
Je spezieller der Spielplan, desto grösser auch das finanzielle Risiko.. Wie kann man heutzutage noch wirtschaftlich Kunst/Theater machen? Uns gelingt das mit dem bewussten Wechsel von Saalfüllern und neuen Gesichtern. „Zugpferde“ wie etwa Simon Enzler, Heinz de Specht oder die Ex-Acapickels tragen die anderen mit. Ausserdem haben wir einen grossartigen Mitarbeiterstab, der bereit ist, für wenig Geld super Einsatz zu bringen.
Im Herbst bringst du wieder eine Eigenproduktion raus. Eine szenische Lesung. Sie heisst «Kulissenklatsch ! – Ulrich, Karl, Lora & das alte Theater am Bohl». Grundlage dafür bot der 1909 veröffentlichte St.Galler Theaterroman «Die Brokatstadt» von Viktor Hardung. Warum hast du gerade dieses Werk in Szene gesetzt? Hardungs Buch ist der erste moderne St. Galler Stadtroman. Man kann daraus viel über unsere lokale Kulturgeschichte erfahren. Es ist mir wichtig, nebst dem Gastspielbetrieb, auch St.Galler Themen aufzugreifen.
Welche St.Galler Themen meinst du damit? Verrätst du ein bisschen mehr? Man erfährt, dass St. Gallen das älteste feste Berufstheater der Schweiz hat. Weil sich die florierende Textilstadt das leisten konnte und wollte. Der erste Standort war übrigens da, wo heute die Kantonspolizei sitzt. 1857 wurde dann das Stadt- und Aktientheater am Bohl errichtet, welches Hauptschauplatz des Romans ist. Man bekommt aber auch vermittelt, dass eine Schauspielerin kaum von ihrer Gage leben konnte. Sie musste aus reinem Pragmatismus einige Verehrer haben, die ihr beispielsweise Kleider schenkten. Das Bürgertum hat sie dafür als zwielichtige Person abgestempelt. Mit Staunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Diskussionen um die Aufgaben der Bühnenkunst und der Kritik unverändert aktuell geblieben sind. Sich mit all diesen Sachen zu befassen, zu sehen, woher das Theater in St.Gallen kommt, was es sein wollte und was es effektiv war, ist spannend und verweist implizit auf die Gegenwart. Ich freue mich schon darauf, wenn sich am 22. September zum ersten Mal der Vorhang dafür hebt!
Vielen Dank für das Gespräch!
Hier gibts mehr Infos zu Kulissenklatsch und Spielplan Kellerbühne