Im St.Galler Staatsarchiv – Ein Besuch

Unterirdische Gänge, Familiengeheimnisse und alte Handschriften –  Wer nun glaubt, dass es hier um die Filmbesprechung zur neusten Fantasy-Triologie aus Hollywood geht, liegt daneben. Vielmehr ist die Rede vom Staatsarchiv des Kantons St.Gallen. Dort nämlich erstreckt sich auf über 10 Laufkilometern der heutige Bestand an sogenannten „Archivalien“, also all dem, was im Archiv aufbewahrt wird. Und Jahr für Jahr kommen zwischen 100 bis 300 Laufmeter dazu. Regula Wyss, Informationsspezialistin FH beim Staatsarchiv, hat mir von ihrer „unterirdischen“ Tätigkeit erzählt.

Frau Wyss, Sie arbeiten im „unterirdischen“ Staatsarchiv des Kantons St.Gallen? Was genau ist Ihre Tätigkeit? Zunächst möchte ich Sie hier kurzberichtigen: Wir haben zwar unterirdische Magazine. Die meisten sind aber im 3. und 4. OG. Und zu dem, was ich tue: Bestände entgegen nehmen, reinigen, sortieren und im Online-System erfassen. Daneben bin ich aber auch für die Erhaltung der Bestände zuständig. Das ist sehr herausfordernd, weil wir ganz unterschiedliche Medien haben. Fotos und Filme etwa sind schwieriger über lange Zeit zu erhalten.

Degradiertes_Filmmaterial

Degradiertes Filmmaterial

Haben Sie auch mit Problemen bei der Archivierung zu kämpfen? (Seufzt) Ja, mit vielen. Wir kommen z.B. definitiv mit unserem Platz an die Grenzen. Wenn dann was Neues reinkommt, weiss man kaum mehr wohin. Wir sind aktuell daran, Teile auszulagern, weil wir schier aus allen Nähten platzen. Das sind logistische Knackpunkte. Daneben gibt’s teilweise auch Altlasten aus verschiedenen Beständen, wie Schimmelbefall. Viele Leute bringen ihre Archivalien in verunreinigtem Zustand zu uns. Aber wir arbeiten kontinuierlich dran, diese Dinge zu reinigen und haben gute Erfolge.

Was reizt Sie besonders an Ihrer Tätigkeit? Ich habe das Glück, einen sehr vielfältigen Job machen zu dürfen. Es gibt ständig neue Themen. Das macht riesig Spass. Mal geht es um viel Papier, mal um Fotos. Man bekommt auch Einblicke, wie der „Bestandsbildner“ mit seinem Material umgegangen ist. Das ist interessant. Und man hat viele Kontakte zu anderen Leuten, die an wichtigen Schnittstellen mitwirken. Der Mix aus intellektueller Arbeit und praktischer Tätigkeit reizt mich.

Kaestchen_Erika

Kästchen mit Intersien

Was für Dinge archivieren Sie hier – und von wie viel Stücken sprechen wir eigentlich? Es sind vor allem Dokumente aus Papier, dann Pergamente, Filme und Fotografien, die wir hier haben. Dann haben wir natürlich auch Ungewöhnliches: Z.B. Gemälde, Kuhglocken, Fahnen, Schächtelchen mit Intarsien und sogar ein Kondom aus Schweinedarm. Wenn Sie nach den Stückzahlen fragen: Da sprechen wir nicht von Stückzahlen, sondern von Laufmetern, resp. Kilometern.

Der eignen Herkunft auf der Spur

Wer kann sich an Sie wenden? Grundsätzlich kann sich jeder an uns wenden. Viele wissen davon leider nichts. Die meisten Leute sind dann sehr überrascht, wenn sie das erfahren. Privatpersonen oder private Körperschaften beispielsweise können historisch wichtige Informationen aus ihrem Leben liefern genauso wie etwa öffentliche Einrichtungen. Letztere machen ungefähr 90% unserer Bestände aus. Andersherum besteht die Möglichkeit, etwas über die eigene Herkunft bei uns herauszufinden. Etwa dann, wenn man in einem Kinderheim aufgewachsen ist…

Lehrerspiel

Ein Lehrerspiel

Was ist das älteste Stück im Staatsarchiv? Wir haben etliche jahrhundertealte Stücke. Anscheinend haben wir sogar ein Stück vom Leichentuch, das die Mumie in der Stiftsbibliothek trägt … Aber eigentlich sind wir eher ein modernes Archiv. Es beginnt nämlich erst mit der Kantonsgründung im Jahr 1803 als Organisation zu existieren. Dennoch: Für die Zeit ab etwa 1600 haben wir eine ansehnliche Überlieferung auszuweisen. Das Stiftsarchiv, welches unser direkter Nachbar ist, hütet aber das Archivgut der Fürstabtei St.Gallen. Diese beherrschte jahrhundertelang grosse Teile des Kantons. So bildet es eine Art „altes Landesarchiv“, neben dem „neuen“, eben unserem Staatsarchiv. Das ist wohl eine Sondersituation, die wir da in St. Gallen haben.

Frau Wyss, ich danke herzlich für das Gespräch.

Neugierig auf MEHR geworden? Dann geht’s hier zum PDF vom ausführlichen Interview mit Regula Wyss. Oder man kann sich sehr gut auf der Website Staatsarchiv informieren.