Schmuck mit Schnabel

Perlen waren gestern – Schnäbel sind heute. Dies denkt man zumindest bei einigen Exponaten in der aktuellen Ausstellung im St.Galler Textilmuseum. Unter dem Titel „Body Jewels“ zeigen die Macher dort Stücke, die völlig anders sind, als man allgemein von Schmuck erwartet. „Vom zierenden Blickfang zum autonomen Objekt“, heisst es auf der Website des Hauses.  Das kommt von frech und unbequem bis völlig sperrig daher. Gerade deswegen ist diese Ausstellung ein „Must-See“. Nicht nur für Schmuck-Liebhaber… 

Schmuck, Mode… oder Kunst? Beim Spazieren durch die Räume von „Body Jewels“ kommt der Betrachter ziemlich ins Schleudern, wenn er sich auf derartige Begriffe festlegen soll. Und eigentlich ist dies auch unwichtig. Denn vielmehr zählt, die Vielfalt zu erkennen, die Schmuck-Kunst heute zu bieten hat. Um den Besuchern den Zugang zu dieser Vielfalt zu erleichtern, wurde die Ausstellung in Themengebiete untergliedert: Lines, Craft, Animals, Menagerie und Stories. Die so ausgestellten Stücke reichen von filigranen metallischen Objekten, über Stücke im Tierfell-Look bis hin zu Textilarbeiten.

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Kleid mit Schnäbeln

Mal grafisch – mal gruslig

Mich haben besonders die Lines und die Animals fasziniert. Die einen punkten bei mir durch grafische Klarheit, die anderen faszinieren durch ihre Grenzüberschreitung, die bis hin zum schaurig-wohligen Ekelgefühl gehen kann. Und beide würden ihrem Träger oder ihrer Trägerin viel abverlangen. Denn wer bewegt sich schon gerne in einem Gerüst aus Stäben – und seien diese noch so filigran. Oder wer wählt eine Abendrobe, aus deren Rockteil Schnäbel stossen? Eigentlich will Schmuck doch getragen werden, um angenehm zu sein und den, der ihn trägt, zu verschönern….sollte man meinen. Mit den meisten Stücken, die „Body Jewels“ präsentiert, scheinen hingegen andere Ziele verfolgt zu werden.

Schmuck wird autonom

Die Kunst- und Schmuckhistorikerin Monica Gaspar wundert sich nicht über ungewöhnliche Formen oder Materialien. Sie erklärt die Entwicklung dorthin sehr nachvollziehbar: „Seit den 60er Jahren gehören die Niederlande und die Schweiz zu einer internationalen Bewegung, die sich mit der sozialen und ökonomischen Funktion von Schmuck kritisch auseinandergesetzt hat. Die Abkehr von Edelmetallen und Zuwendung zu alternativen Materialien wie auch dem Textil, den konzeptionellen Ansatz, und die Hinterfragung von geschlechter-spezifischen Typologien, führten zu autonomen künstlerischen Positionen, zum sogenannten zeitgenössischen Schmuck.“

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Stabbroschen und Nadelbroschen

Und die Züricher Autorin, Antoinette Riklin-Schelbert, selbst Goldschmiedin und Expertin für Schweizer Schmuckkunst formuliert, wie diese Entwicklung weiterging: „In den 80er Jahren sprengt Schmuck alle Grenzen und wird autonom. Im konventionellen Sinn wird er immer weniger tragbar. Er weitet sich aus, erobert den Raum und wird durch die Körperbewegung zur Performance oder zum Theater. Einzig der Bezug zum Körper bleibt gewahrt. Die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk, von Kleid und Schmuck sind verwischt. Die Objekte entziehen sich jeder Zuordnung.”

Diese Entwicklungen und Trends arbeiten die Ausstellungs-Macher wunderbar heraus. Zielführend ist hier zum einen die stimmige Aufsplittung in die fünf Themenbereiche. Als Besucher erhält man „Mainstreams“ präsentiert. Zugleich wird man allmählich von gut erträglichen Schmuckstücken, wie „Stabbroschen“, zu den schwerer „verdaulichen“ Exponaten (wie die mit Tieroptik) herangeführt. Ausserdem ist die Vielfalt an Ausstellungsobjekten einen Beifall wert. Diese werden mal als Einzelstück, mal in Gruppen nach Form oder Motiv inszeniert.

Mein Fazit

Ich hatte – ehrlich gestanden – kaum eine Idee, was „Body Jewels“ wohl bieten würde. Umso grösser war meine Überraschung. Denn für mich war’s ein echtes Abenteuer. Fast so etwas wie eine kleine Reise in eine neue Art der Kunst-Betrachtung, auch in Sachen „skulpturales Schaffen“. Dergestaltes gibt’s leider nicht oft zu sehen – aber immerhin noch bis 9. Oktober in der Vadianstrasse in St.Gallen.

Weitere Informationen zum Textilmuseum

Hier gehts zu den Öffnungszeiten und Preisen sowie zu Anfahrt-und Lageplan

Meinen herzlichen Dank an Monica Gaspar. Sie hat mir Auszüge aus Ihrer Vernissage-Ansprache zu „Body Jewels“ zur Verfügung gestellt.
Und danke auch an das Textilmuseum St.Gallen, welches die Bilder zur Verfügung stellte.