«Wie krumm darf die Banane sein?» – Kunst zertifizieren vom Profi
Bis 16.6. noch läuft die ART Basel. Die grösste und wichtigste Kunstmesse der Welt. Und schon vor der offiziellen Eröffnung, so teilte die Messe mit, wurden zirka 40 Millionenverkäufe getätigt! Der Kunstbetrieb boomt ganz zweifellos: Es gibt mehr Kaufwütige, mehr Künstler, mehr Events denn je… Eins jedoch scheint Mangelware, nämlich kluge Kriterien zur Kunstbewertung. Die Künstlergruppe ohm41 räumt das Problem nun mit einem Normierungsverfahren aus der Welt. Was dabei herauskommt, zeigt die Kunsthalle Wil.
Wir leben in einer Welt, die schön ordentlich, ja, am liebsten genormt, sein soll. Denn Normen geben Sicherheit. Unsere Normierungslust verhilft uns zu Luftqualität und Brandschutzregeln. Sie bewertet Menschen mit Noten und Credits. Und sie definiert vergnügt, wie gross Kartoffeln und krumm Bananen sein dürfen. Normen sind wichtig. Sie erlauben uns, Dinge in gut und schlecht zu unterteilen. So geben sie auch dem, der sich nicht richtig mit einer Sache auskennt, stets Orientierungshilfe.
Endlich gibt es auch klare Normen inklusive Zertifizierungsurkunde für die Bewertung von zeitgenössischer Kunst. Verdanken darf man diese der Künstlergruppe ohm41, einem Verbund von Kunstschaffenden aus St.Gallen und dem Thurgau.
Seit 20 Jahren künstlerisch aktiv
ohm41 besteht im Kern aus sieben Akteuren. In ihrer heutigen Form hat sich die Gruppe 1999 gebildet. Doch schon in den 80-ern realisierte die damals noch sehr locker formierte Runde Ausstellungen und Aktionen. Die Gedanken dahinter: Sich künstlerisch von klassisch bis experimentell mit aktuellen Tendenzen auseinandersetzen. Zu- und Missstände hinterfragen. Institutionen, Macher und Sparten vernetzen und dabei Stadt und Region Wil mehr Gewicht verschaffen.
2019 also wird das 20-jährige Bestehen gefeiert. Und zu diesem Anlass hat ohm41 sich selbst ein Geschenk gemacht. Im Januar hat die Gruppe eine Lizenz des deutschen Standardisierungsinstitutes Norm014 erworben. Diese Lizenz befugt ohm41, sich als unabhängiges und neutrales Kunstprüf- und Zertifizierungsinstitut zu betätigen.
Werke aller Art dürfen die «Öhmler», wie sie sich selber nennen, nun nach klaren Richtlinien auf die künstlerische Qualität abklopfen.
Kunst-Kriterium: «Mögliches Abtropfen beim Brand des Werkes»
Und das haben sie in den vergangenen Monaten getan. In ihrer Jubiläums-Schau mit dem Namen «7 mal 20» (Sieben Akteure, 20 Jahre) in der Kunsthalle Wil zeigen sie 47 Werke anderer Kunstschaffender. Sämtliche dieser Werke, vom kleinen Collagebild bis hin zur grossen Rauminstallation, durchliefen im Vorfeld ein durch ohm41 durchgeführtes Audit. Es ist unwahrscheinlich, dass je zuvor Werke nach derart absurden, aber immerhin offiziell normierten, Kriterien wie: «Mögliches Abtropfen beim Brand des Werkes», «Geruchsemission des Werkes» oder «Falsche Farbwahl (z.B. zu viel rot)» für eine Ausstellung ausgewählt wurden. Aber das, was am Schluss dabei herausgekommen ist, lässt sich sehen und liefert grossartigen Einblick in die Vielfalt zeitgenössischen Kunstagierens.
Wie gut also, dass ohm41 diese Befugnis zum Zertifizieren hat! Oder, das wird plötzlich klar, es ist wohl mehr eine Be-unfug-nis. Denn es ist Unfug und reinste Parodie, was ohm41 durch Zertifizierung von Kunst hier treibt.
Schwachsinn genormter Bewertungskriterien
Tatsächlich knöpfen sich die «Öhmler» mit ihrem Projekt den heutigen Kunstbetrieb in seiner Überheblichkeit vor. Dafür auditieren sie auf absurde Weise andere Kunstschaffende und visualisieren den Schwachsinn genormter Bewertungskriterien, indem sie, begründet durch Audits, Werke nebeneinander platzieren, die sonst nie zusammenfänden. Untrüglich zeigt sich, dass für Kunst in ihrer Verschiedenheit normierte «Messinstrumente» ebenso wie nivellierende Denkmuster nichts taugen.
Verblüfft erkennt man, dass das ohm’sche Zertifizierungs-Projekt in Wahrheit eine Langzeit-Performance ist: Vom Erwerb der Lizenz bis zur Schau in Wil. Es ist eine Performance, die ohm41, den mitwirkenden Kunstschaffenden und der Kunsthalle Wil alle Ehre macht. Mit breitem Grinsen zieht man hier gemeinsam all jene durch den Kakao, die meinen, eine Bewertungshoheit für zeitgenössische Kunst gepachtet zu haben. Zugleich wird der Ruf nach Besinnung auf tragfähige und allenfalls neue Bewertungs-Kriterien laut. Kriterien, die dem Kunstschaffen der Gegenwart wirklich gerecht werden können.
Ausstellung bis 14. Juli 2019