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„In Konzerten lernt man, sich selber auszuhalten.“

118 Glocken zum Klingen bringen, wohltuende Langeweile verbreiten und entpersonifiziertem „Miteinander“ den Garaus machen: Das sind drei von Karl Schimkes aktuellen grossen Anliegen. Hier schwärmt der gebürtige US-Amerikaner, studierte Tubist und Vollblut-Konzertpädagoge für die Musik-Hochburg St.Gallen und erzählt von einem ungewöhnlichen Projekt…

Karl, du bist begeistert  von St.Gallen in Sachen „Musik und Konzerte“. Wie kommt’s? Nur als Beispiel: Ich war 2015 in Berlin. Besuchte 5 Konzerte in 5 Tagen. Die „Trefferquote“ bei diesen Veranstaltungen war schlapp: 3 öde, 2 erträgliche Konzerte. Wenn ich das nun mit den Konzerten vergleiche, die ich hier als Zuhörer schon im Palace oder auch im Blumenmarkt erlebt habe… da gab‘s viele echte WOW-Erlebnisse.

 Du selbst spielst beim Sinfonieorchester St.Gallen die Tuba. 2011 hast du zudem den Masters in Advanced Studies (MAS) in Musikvermittlung und Konzertpädagogik an der ZHdK absolviert. Heute machst du auch viel Musik-und Konzertvermittlung bei Kids und Jugendlichen. Warum ist dir das wichtig? Wenn man unsere Gesellschaft anschaut und wo Leute ihre Zeit verbringen… dann merkt man: Sehr vieles läuft im virtuellen Bereich. Ich finde das erschütternd. Persönliche Begegnungen werden rar. Emotionales Berühren fehlt. Immer öfter lebt man dafür entpersonifiziertes Miteinander. Neuigkeiten tauscht man per SMS aus oder man spielt „miteinander“ im Internet. Das finde ich gefährlich. Mit meiner Arbeit bringe ich Menschen dazu, sich mit Emotionen vis-à-vis auseinander zu setzen. Das ist lebenswichtig.

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Theater St.Gallen, Zuschauerraum im grossen Haus | (c) Theater St.Gallen, Tine Edel

Du meinst also, ich erlebe in einem Konzert auch anderes, als „nur“ Musik zu geniessen? Genau. Nehmen wir einen Opern-Besuch. Da wird der Zuhörer (aber auch der Musiker) oft knallhart mit Momenten der Langweile konfrontiert. Man kann nicht einfach mal weg-zappen. Dafür muss man sich selber aushalten. Solche Erfahrungen finde ich wichtig. Da fällt mir auch ein Ausspruch von Gertrud Schneider, einem „Urgestein“ der Schweizer Musikvermittlungsszene, ein. Sie meinte mal zu einem Interviewer: „Hast du dich heute gelangweilt? Es ist sehr wichtig, dass man sich jeden Tag langweilt.“

Im August gibt es von dir ein Projekt ausserhalb deines üblichen „Kosmos“.  Du bringst dann zusammen mit einer Komponistin alle 118 St.Galler Kirchenglocken zum Klingen. Ups? (lacht) Tja, das hat als Hirngespinst angefangen. Bei meinem ersten Besuch in Europa stieg ich in Strassbourg aus dem Zug. Da tönte mir volles Glockengeläut entgegen. Ich war überwältigt. In Kalifornien, wo ich aufgewachsen bin, gibt’s zwar Kirchen, aber kaum Glocken – und diese wenigen läuten nicht…und ich dachte…“mit Glocken musizieren, das wär’s…“

Ein Glockenspiel namens „Zusammenklang“

Na ja… aber von einem frühen Eindruck bis zum realen Glockenkonzert ist es noch ein Weg….Das stimmt. Vor rund zehn Jahren war ich soweit, dass ich dachte: „Die vielen Glocken hier in St.Gallen – die müsste man als „Glockenspiel“ zusammenbringen“. Aber erst 2015 schickte mir Hans-Rudi Felix, der Pfarrer der Kirche St. Laurenzen, ein Mail. Ob ich die Komponisten Natalija Marchenkova Frei kenne? Die habe eine ähnliche Idee wie ich. In diesem Moment kamen die Dinge ins Rollen.

Standorte

Kirchen und der HörOrt am Bubenweier, St.Gallen

Am 21. August werden endlich die Glocken läuten: Als Konzert mit dem Titel „Zusammenklang“. Was ist der Stand der Dinge aktuell? Natalija hat ihren Teil der Komposition, das Herzstück, fertig. Ich muss meinen Part noch ergänzen. Wir haben 35 der benötigten 50 Freiwilligen zusammen. Sie bringen die 118 Glocken an den insgesamt 29 Kirchen punktgenau zum Klingen. Die Technik steht. Jetzt gibt’s noch einen Haufen Kleinstarbeit: Die Mitwirkenden werden in ihre Jobs eingewiesen, Reaktionszeiten gestoppt, Kirchtermine gebucht und und und.

Kirchenglocken Projekt: Karl Schimke und Komponistin Natalija unter der Dom Glocke

Karl Schimke und Komponistin Natalija unter der Dom Glocke (Foto: Urs Bucher)

Hand aufs Herz: Ist das letzten Endes nicht doch alles bloss aufwändige technische Spielerei? Das Projekt ist vielschichtig wie eine Zwiebel: Zum einen ist es ein musikalisches Werk, eine Performance. Wir sind neugierig, wie Klänge durch das Tal fliessen. Zum zweiten ist es natürlich technisch herausfordernd für Physik und Informatik. Vielleicht ist das Spielerei. Und zum dritten und eigentlich wichtigsten: Wir wollen den St.Gallern zeigen, was für grossartige Sehenswürdigkeiten ihre Stadt hat. Denn „Zusammenklang“ ist so nur hier machbar. Durch die grosse Anzahl von Kirchen und alten Glocken. In USA gibt es das einfach nicht. In Deutschland auch nicht. Wir versuchen, den Leuten die Augen zu öffnen für die lokalen Besonderheiten. Und wir wollen zeigen, dass es neben dem Dom noch andere sehenswerte Kirchen gibt. Die aber nimmt man viel zu wenig wahr und hält sie für selbstverständlich.

Herzliches Dankeschön an Karl Schimke für seine Auskünfte!

Mehr Infos zu „Zusammenklang“ gibt es auf der Website

Veranstaltungsdetails:
„Zusammenklang“ – Das Konzert für 118 Kirchenglocken
August 2016 von 14.35 Uhr bis 15.10 Uhr
HörOrt:  Bubenweier, Stadt St.Gallen

(Bilder: Freundlich zur Verfügung gestellt durch Karl Schimke, www.zusammenklang.com sowie Theater St.Gallen)

Kein Leben „von der Stange“

Es war im Palace in St. Gallen, letzten November, als ich Claudia Roemmel kennenlernte. Sie war dort zu einer Preisverleihung. Genauer gesagt, um den Förderungspreis 2015 der Stadt für ihr tänzerisches und choreografisches Schaffen entgegen zu nehmen. Wir kamen ins Gespräch und ich merkte schnell, dass ich diese spannende Frau, eine wahres Kultur-Chamäleon, gerne mal interviewen würde. Claudia willigte ein. Leider erkannte ich beim nachfolgenden Treffen aber auch sehr schnell, dass ein „klassisches Interview“ mit diesem Energiebündel zum Scheitern verurteilt wäre: weil Claudia einfach viel zu viel Lesenswertes zu erzählen hat. Am Schluss haben wir aber doch noch ein Interview hingekriegt. Eines der etwas anderen Art. Zu lesen bekommt ihr es hier.

Ein Geständnis vorweg: Es warf mich schier um, als Claudia Roemmel mir beim Treffen schilderte, was sie in ihrem Leben als Kunstschaffende schon so alles auf die Beine gestellt hat. Und da dachte ich, dass es weder ihrer Persönlichkeit noch ihren Aktivitäten gerecht wird, nur schön sortiert ihre kreativen „Stationen“ aufzulisten. Vielmehr schien die Idee passend, ein „Interview“ zu führen, in dem Claudia beschreibt, was gewisse Begriffe für sie, ihre Kunst und ihr Leben bedeuten. Und nach diesen Begriffen habe ich sie gefragt:

„Flugbegleiterin“

In meinem „letzten“ Leben hab ich tatsächlich ein paar Jahre lang sporadisch über den Wolken gearbeitet. Heute begleite ich mich selbst und andere auf Gedankenflüge. Das bedeutet, das Abheben zu wagen und in die Landung zu vertrauen. Während dem Flug geht es darum, eine angemessene Geschwindigkeit beizubehalten, Fluss und Momentum zuzulassen, die Aussicht zu geniessen, den Überblick zu nutzen, Grenzen und Regeln anzuerkennen – und (wichtig!) Freiheiten zu geniessen. Wenn ich den Lead bei einem Projekt habe, weiss ich wohin ich will, lass mich aber auch von aufkommenden Winden tragen, lenken und inspirieren.

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„Flugbegleiterin“

„Ex-Clown“

Mit 25 wollte ich Clown werden und bin – wie die Jungfrau zur Kinderkrippe – an die Dimitrischule gelangt. Von dort habe ich über die Pantomime zum Tanz gefunden. Vom Tanz zum Theater. Vom Theater zum Text. Dann plötzlich Video. Webdesignerin. Körpertherapeutin. Wenn mich heute jemand fragt, was ich arbeite, komme ich ins Stottern. Irgendwie alles – da wo ich gefragt bin, bin ich. Denn da wo ich gefragt bin, scheine ich irgendeine Art von Talent zu haben. Und da wo ich herausgefordert werde, komme ich in meine Kraft.

„Klassisches Ballett“

Mein Tanz kommt nicht von der Stange. Ich habe Neuen Tanz studiert – d.h. ich beschäftige mich mit Improvisation. Wie gestalte ich den Augenblick? Wie verbinden sich Innenimpulse mit Aussenimpulsen? Das Spiel mit Raum und Zeit interessiert mich seit vielen Jahren – ich habe es bereits vor 20 Jahren Performance genannt und auf Bühnen und Strassen erprobt. Heute gibt es einen regelrechten Performance-Hype, der von der bildenden Kunst herkommt. Ich bewege mich wohl irgendwo in der Mitte zwischen den herkömmlich Klassischen und den neuzeitlich Performenden. Das gibt mir eine wunderbare Freiheit.

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„Ballett“

„Sparten-Grenzen“

Ich liebe Ordnung – und schmeisse mich immer wieder ins Chaos. Am liebsten hätte ich alles ganz schön in Kästchen und Schubladen verpackt und sortiert. Stattdessen kugelt bei mir im offenen Feld das eine nach da, das andere nach dort. Ich geniesse alles puristische – und gleichzeitig verbindet sich dieses mit jenem und jenes will vom wieder anderen ergänzt werden. Tanz – Bild – Raum – Begegnung – Sprache – Spiel – alles Inspiration, alles zusammengehörend. Und das mit der Ordnung kann warten….

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„Sparten-Grenzen“

„2016“

Bei meinem ersten Kitesurfversuch hab ich vor kurzem einen wichtigen Begriff gelernt: De-Power. Den Drachen bringt man unter Kontrolle, indem man ihm „mehr Leine lässt“. Dann stabilisiert er sich selbst im Wind, ohne dass man sich allzu sehr anstrengen muss. So darf mein 2016 werden. Ein bisschen loslassen, Power rausnehmen und schauen, was von selbst hält und fliegt. Ein Buchprojekt ist bereits im Steigflug, Unterrichtsprojekte auf der Startpiste – und heimlich noch im Hangar verborgen, warten neue Flugobjekte, von denen ich noch nicht genau weiss, welche dann tatsächlich flugtauglich sind.

(Bilder: Claudia Roemmel)

Claudia, besten Dank für deine Antworten.

Wer mehr erfahren will, findet übrigens hier weiteres „Futter“ zu Claudia

„young artists on campus“ an der hsg (sg)

Jeder der in der Region lebt, hat schon von ihr gehört: Von der HSG St. Gallen. Was dennoch die wenigsten wissen ist, dass dort auch Werke weltbekannter Künstler ein Zuhause haben. Diese „Wissenslücke“ will die HSG nun schliessen.  Der Anlass „Intervention – Young Artists on Campus“ bietet vom 28.9. bis 2.10. Workshops, Gespräche und Führungen mit jungen Kunstschaffenden, die helfen, sich an das Thema „Kunst“ heranzutasten. Eine tolle Chance für Studierende, Dozierende und Bevölkerung, „ihre“ HSG mal ganz anders kennen zu lernen.

 

Christina Lüthy, Projektleiterin von „Young Artists“, hat ein bisschen über ihre Idee erzählt.

Wie kam es zu der Idee, eine derartige Veranstaltung durchzuführen? Wieso „Neulinge“ an Bord holen, wo doch internationale „Superstars“ in der Sammlung der HSG zu finden sind und man mit diesen grossen Namen auch Publikum anlocken kann? Christina Lüthy:  Die Idee für  die Intervention kam, weil die Kunst an der HSG in unseren Augen in der Öffentlichkeit aber auch bei den Studierenden zu wenig wahrgenommen wird. Wir wollten temporär jüngere Kunstpositionen an die Uni bringen, die etwas weniger „klassisch“ sind und sich mit ihrer Präsenz (Performances, Aktionskunst, Multimediale Installationen) stärker in den Alltag der Studierenden einbringen. So machen sie Kunst an der Universität als Ganzes sichtbar. Zudem wollten wir den Dialog über Kunst auf dem Campus anregen.

kunstsammlungen neu entdecken

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In der Einladung heisst es, man lädt zu „Neuentdeckungen“ ein. Was soll ich mir als Besucher/Teilnehmer darunter vorstellen?  Wir möchten es den Besucherinnen und Studierenden ermöglichen, die Universität und ihre bestehende Kunstsammlung neu zu entdecken und sie gleichzeitig für junges Kunstschaffen zu begeistern. Die Woche lädt mit seinem vielschichtigen Rahmenprogramm und insbesondere seinen Workshops zudem dazu ein, verschiedene Bezüge zwischen Kunst, Wirtschaft und Gesellschaft zu erkunden und neue Antworten zu finden auf die Frage: Why Art?

 

Welche „Spielräume“ in Wahrnehmung und Denken – so heisst es auf dem Flyer – erhofft man sich idealerweise mit den Kunstinterventionen auf dem Campus zu eröffnen. Die vier Arbeiten, die von der Jury ausgewählt wurden, stellen implizit unterschiedliche Fragen: Was ist ein Künstler und wie entsteht Kunst? Wie produzieren wir Wert und woraus? Wann sind wir relevant? Was für eine Rolle hat eine Wirtschaftsuniversität heute in der Gesellschaft etc.? Wir erhoffen uns, dass die Besucher und Studierenden durch die Kunstinterventionen auf eine spielerische Weise dazu angeregt werden, neu über bestimmte Aspekte der Gesellschaft, der Wirtschaft oder des Lebens nachzudenken.

 

Für mehr Infos gibts hier das PDF zum Anlass: Programmflyer_intervention