Puck im Gespräch
Interviews und Unterhaltungen mit Leuten aus Kunst, Kultur und drum herum

Kein Leben „von der Stange“

Es war im Palace in St. Gallen, letzten November, als ich Claudia Roemmel kennenlernte. Sie war dort zu einer Preisverleihung. Genauer gesagt, um den Förderungspreis 2015 der Stadt für ihr tänzerisches und choreografisches Schaffen entgegen zu nehmen. Wir kamen ins Gespräch und ich merkte schnell, dass ich diese spannende Frau, eine wahres Kultur-Chamäleon, gerne mal interviewen würde. Claudia willigte ein. Leider erkannte ich beim nachfolgenden Treffen aber auch sehr schnell, dass ein „klassisches Interview“ mit diesem Energiebündel zum Scheitern verurteilt wäre: weil Claudia einfach viel zu viel Lesenswertes zu erzählen hat. Am Schluss haben wir aber doch noch ein Interview hingekriegt. Eines der etwas anderen Art. Zu lesen bekommt ihr es hier.

Ein Geständnis vorweg: Es warf mich schier um, als Claudia Roemmel mir beim Treffen schilderte, was sie in ihrem Leben als Kunstschaffende schon so alles auf die Beine gestellt hat. Und da dachte ich, dass es weder ihrer Persönlichkeit noch ihren Aktivitäten gerecht wird, nur schön sortiert ihre kreativen „Stationen“ aufzulisten. Vielmehr schien die Idee passend, ein „Interview“ zu führen, in dem Claudia beschreibt, was gewisse Begriffe für sie, ihre Kunst und ihr Leben bedeuten. Und nach diesen Begriffen habe ich sie gefragt:

„Flugbegleiterin“

In meinem „letzten“ Leben hab ich tatsächlich ein paar Jahre lang sporadisch über den Wolken gearbeitet. Heute begleite ich mich selbst und andere auf Gedankenflüge. Das bedeutet, das Abheben zu wagen und in die Landung zu vertrauen. Während dem Flug geht es darum, eine angemessene Geschwindigkeit beizubehalten, Fluss und Momentum zuzulassen, die Aussicht zu geniessen, den Überblick zu nutzen, Grenzen und Regeln anzuerkennen – und (wichtig!) Freiheiten zu geniessen. Wenn ich den Lead bei einem Projekt habe, weiss ich wohin ich will, lass mich aber auch von aufkommenden Winden tragen, lenken und inspirieren.

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„Flugbegleiterin“

„Ex-Clown“

Mit 25 wollte ich Clown werden und bin – wie die Jungfrau zur Kinderkrippe – an die Dimitrischule gelangt. Von dort habe ich über die Pantomime zum Tanz gefunden. Vom Tanz zum Theater. Vom Theater zum Text. Dann plötzlich Video. Webdesignerin. Körpertherapeutin. Wenn mich heute jemand fragt, was ich arbeite, komme ich ins Stottern. Irgendwie alles – da wo ich gefragt bin, bin ich. Denn da wo ich gefragt bin, scheine ich irgendeine Art von Talent zu haben. Und da wo ich herausgefordert werde, komme ich in meine Kraft.

„Klassisches Ballett“

Mein Tanz kommt nicht von der Stange. Ich habe Neuen Tanz studiert – d.h. ich beschäftige mich mit Improvisation. Wie gestalte ich den Augenblick? Wie verbinden sich Innenimpulse mit Aussenimpulsen? Das Spiel mit Raum und Zeit interessiert mich seit vielen Jahren – ich habe es bereits vor 20 Jahren Performance genannt und auf Bühnen und Strassen erprobt. Heute gibt es einen regelrechten Performance-Hype, der von der bildenden Kunst herkommt. Ich bewege mich wohl irgendwo in der Mitte zwischen den herkömmlich Klassischen und den neuzeitlich Performenden. Das gibt mir eine wunderbare Freiheit.

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„Ballett“

„Sparten-Grenzen“

Ich liebe Ordnung – und schmeisse mich immer wieder ins Chaos. Am liebsten hätte ich alles ganz schön in Kästchen und Schubladen verpackt und sortiert. Stattdessen kugelt bei mir im offenen Feld das eine nach da, das andere nach dort. Ich geniesse alles puristische – und gleichzeitig verbindet sich dieses mit jenem und jenes will vom wieder anderen ergänzt werden. Tanz – Bild – Raum – Begegnung – Sprache – Spiel – alles Inspiration, alles zusammengehörend. Und das mit der Ordnung kann warten….

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„Sparten-Grenzen“

„2016“

Bei meinem ersten Kitesurfversuch hab ich vor kurzem einen wichtigen Begriff gelernt: De-Power. Den Drachen bringt man unter Kontrolle, indem man ihm „mehr Leine lässt“. Dann stabilisiert er sich selbst im Wind, ohne dass man sich allzu sehr anstrengen muss. So darf mein 2016 werden. Ein bisschen loslassen, Power rausnehmen und schauen, was von selbst hält und fliegt. Ein Buchprojekt ist bereits im Steigflug, Unterrichtsprojekte auf der Startpiste – und heimlich noch im Hangar verborgen, warten neue Flugobjekte, von denen ich noch nicht genau weiss, welche dann tatsächlich flugtauglich sind.

(Bilder: Claudia Roemmel)

Claudia, besten Dank für deine Antworten.

Wer mehr erfahren will, findet übrigens hier weiteres „Futter“ zu Claudia

Der Bücher-Streichler vom Sitterwerk (SG)

Jeder, der in St. Gallen lebt, hat zumindest schon mal davon gehört: Vom „Sitterwerk“ im  Westen der Stadt. Viele ahnen, dass man auf dem alten Firmengelände „irgendwas Künstlerisches“ macht. Doch kaum einer weiss, dass dort zum Beispiel Kunst der Weltklasse realisiert wird. Oder auch, dass es da eine Kunstbibliothek gibt, die rund um den Globus nach Vergleichbarem sucht. Ich hatte das Riesenglück und durfte mich mit Roland Früh unterhalten. Er leitet diese Bibliothek und hat mir so manches über seinen nicht ganz alltäglichen Arbeitsplatz verraten.

 Roland, nun bin ich doch „baff“. Als ich wusste, ich würde hier mit dem Bibliothekar reden, dachte ich an eine Weihnachtsmann-Gestalt mit Nickelbrille. Und nun stehst du in Jeans vor mir und ich sehe, dass ich voll daneben lag. Wie kommt jemand so junges an solch einen Job? Eigentlich ganz einfach: Die Stelle war ausgeschrieben und  ich hab mich beworben. Ich habe Kunstgeschichte in Zürich studiert und da meine Liz-Arbeit über Buchgestaltung gemacht. Das ging in Richtung Designgeschichte. Und zudem hatte ich damals schon viel mit Verlagen und Kunstvermittlung zu tun. Das hat dann ganz gut zu der Stellenausschreibung gepasst.

Da kann ich dir nicht ganz folgen. Klingt nämlich trotzdem nicht so, als hättest du Kenntnisse über das klassische Bibliothekars-Handwerk im Koffer gehabt? Da muss ich dir Recht geben. Aber mein Glück war, dass es die „klassischen“ Aufgaben hier gar nicht so sehr braucht. Der Ankauf bei uns ist gering. Wir machen keine Ausleihe. Was hingegen zentral ist, ist Vermittlung: Führungen, mit Studis arbeiten, öffentliche Anlässe organisieren und den Ort als Labor für mögliche Bibliotheksordnungen weiterdenken. Das Zusätzliche, was man als Bibliothekar können muss – etwa das Katalogisieren – habe ich dann noch in einem Kurs bei der Kantonsbibliothek Vadiana gelernt.

Du bist hier für rund 25‘000 Bücher zuständig. Hand aufs Herz: Wie viele davon hattest du persönlich bereits in der Hand – und wie viele hast du sogar schon mal durchgeblättert? Ob du’s glaubst oder nicht: Angefasst habe ich sicher schon jedes einmal. Denn ich versuche, tatsächlich sowas wie ein „Ritual“ zu praktizieren. Ich nenne es manchmal das „Bücher-Streicheln“. Damit ist gemeint, dass ich mir einmal am Tag die Zeit nehme, mit der Hand an den Büchern entlang zu fahren und umgekippte Bücher im Regal wieder grade zu stellen.7776_019A

Man entwickelt einen „Buch-Sinn“

Verfolgst du damit auch noch etwas anderes, als einem hübschen Ritual zu frönen? Tatsächlich ist es so, dass man auf diese Weise die Bücher intuitiv wahrnimmt. Man lernt sie kennen. Manchmal kommt jemand und sucht ein spezielles Buch. Da gab es dann schon oft den Zufall, dass ich gerade dieses eine Buch am Tag vorher bewusst mal gesehen habe. Und es daher dem Interessierten schnell präsentieren konnte.

Vielleicht ist jetzt auch ein bisschen Selbstüberschätzung dabei. Aber ich habe den Eindruck, dass ich auf diesem Weg ein gutes Gefühl für die Bücher bekomme, zum Beispiel bereits vom Format oder von der Bindung her zuordnen kann, wie alt ein Exemplar ist. Oder wie die Inhalte sind. Ob es ein Buch mit technischen Anleitungen ist oder eine Monographie. Man entwickelt da wirklich sowas wie einen weiteren Sinn – einen „Buch-Sinn“.

Oft schmeisst man Kunstbibliothek, Kunstgiesserei und Sitterwerk in einen Topf und denkt, alles wären verschiedene Namen für ein und dieselbe Sache. Wie ist es denn tatsächlich? Die Kunstgiesserei ist eine eigene Firma, das Sitterwerk hingegen eine Stiftung, gemeinnützig und non-profit. Es ist auch so, dass die Kunstbibliothek eben nicht die private Bibliothek der Kunstgiesserei ist. Vielmehr ist sie eine öffentliche Institution, die Teil der gesamten Stiftung Sitterwerk ist (bestehend aus: Kunstbibliothek, Werkstoffarchiv, Kesselhaus Josephsohn und Atelierhaus). Was aber stimmt: Der Gründer der Giesserei, Felix Lehner, hat die Initialzündung gegeben. Er hat den Kontakt zu Daniel Rohner gehabt, auf dessen umfangreicher Sammlung diese Bibliothek basiert. Und Felix ist auch einer der drei Stiftungsgründer – zusammen mit Daniel Rohner und dem Architekten und Arealsbesitzer Hans Jörg Schmid.

 Mehr als eine technische Spielerei               

Die Kunstbibliothek ist eine dynamische Bibliothek. Wieso ist man denn zu der Ansicht gekommen, ein herkömmliches Bibliotheksordnung sei – böse gesagt: „nicht gut genug“-  für die hier aufbewahrten Bücher? Deine Frage klingt fast so, als würdest du die dynamische Bibliothek für eine technische Spielerei halten. Das stimmt aber keineswegs. Vielmehr ist sie das Resultat unserer Bemühungen, die Arbeitsweise von Daniel Rohner und seine Umgehensweise mit seinen Büchern abzubilden. Als man seine Bücher nämlich „klassisch“ ordnen wollten, war er total entsetzt. Darauf musste das Team reagieren. Und so ist diese Art der Bucherfassung entstanden.2436_023

Dein Schluss-Statement: Was wünschst du dir für die Zukunft der Kunstbibliothek? Ein Wunsch ist, dass die Öffentlichkeit –  Studierende, Forschende aber auch einfach interessierte Leute – zunehmend realisieren, dass wir hier fantastisches Recherchematerial haben. Dass wir Bücher und Werkstoffe haben, die sonst niemand hat. Und dass dieses Material dann auch wirklich intensiv genutzt wird. Zum Forschen, zum Sich-Bilden und auch einfach zum Schmökern in ganz wunderbaren Büchern. Und eigentlich wünsche ich mir auch, dass sich das Sitterwerk weiterhin konstant zum Ort für Recherche und Produktion zu Themen der Kunst, Bibliotheksordnung, Architektur und Design entwickelt.

Roland, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

(Fotos: Katalin Déer)

Wer mehr über die Stiftung Sitterwerk und die Kunstgiesserei erfahren möchte, sollte sich auf den beiden Websites umsehen: Sitterwerk und Kunstgiesserei. Oder man geht zur aktuellen Ausstellung der Kunstbibliothek unter dem Titel Das Denken unterbrechen und erlebt das Feeling live.

Wir sind auch ein Experimentierfeld …

In St. Gallen gibt es seit der Spielzeit 2013/14 ein unkonventionelles kleines Theater, eine Off-Bühne. Es heisst „Theater 111“ und ist eigentlich viel Verschiedenes in einem: Vom Salon über Konzertlokal bis hin zur Vernetzungsstätte. Insgesamt sieben Theaterschaffende aus der Region St.Gallen gehören zum Gründerteam der Kulturstätte, die als Verein strukturiert ist und deren Mitglied man werden kann. […]

Im Atelier bei Rik Beemsterboer (SG)

Neugierig auf Rik Beemsterboer und seine Malereien bin ich eigentlich im Jahr 2013 geworden. Damals gab‘s eine Einzelausstellung von ihm im Architekturforum St. Gallen mit klasse Werken, die sich irgendwo im Grenzbereich zwischen Objekt und Gemälde bewegten. Umso toller fand ich es, dass er Laune hatte, nun ein kleines Interview mit mir zu führen. Meine ursprünglichen Fragen an ihn habe ich aber schnell über den Haufen geworfen. Denn was er mir in seinem Wittenbacher Atelier über „musikalische Landscapes“ oder die Gesichter von Amokläufern erzählt hat, war einfach viel spannender…

Als allererstes, bitte eine kleine Vorstellung: Wer bist du eigentlich?  (lacht) Ich bin der Rik. Ich bin in Holland geboren und hatte eigentlich immer ein bisschen was von einem Unruhestifter in mir. Künstler wollte ich nie werden. Bis ich zehn wurde, wollte ich allerdings Bauer werden. Mittlerweile male ich aber seit 25 Jahren. Und ich bin verheiratet und habe zwei Kids.

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Rik Beemsterboer

Du wolltest nie Künstler werden und bist es nun doch? Wie kam es dazu? Schule war nicht so mein Ding. Nach dem Schulabschluss wollte ich nie mehr was mit Noten und Büchern zu tun haben. Damals habe ich gerne fotografiert. Mein Onkel sah Fotos von mir und meinte, die seien richtig gut und ich solle mich doch mal an der Akademie bewerben. Ich hab‘s versucht und wurde an der A.K.I  Academy of Art and Industrial design in Enschede (NL) angenommen.

Heute bist du aber als Maler bekannt, nicht als Fotograf. Oder habe ich da was Wichtiges verpasst? Die ersten beiden Jahre an der Akademie waren offen. Da konnte man viel Verschiedenes ausprobieren. Im dritten Jahr habe ich Fotografie fallenlassen. Irgendwie gab es da keine spannenden Sujets zum Fotografieren. Damals kam gerade Video als neue Richtung auf. Ich habe also das versucht. Aber es war auch nicht das richtige für mich: Zu viel rumsitzen, zu oft Filme schneiden. Also weg damit. Und dann habe ich die Malerei entdeckt und bin seitdem bei der geblieben.

 Ich musste mich für Malerei oder Musik entscheiden

Malerei wurde da also zu sowas wie einem Lebensinhalt? Ach nein (schmunzelt). So krampfig darf man das nicht sehen. Man kann sooo viel ausprobieren. Ich hatte nie ein festes Ziel im Kopf. Während dem Studium habe ich auch Saxophon in einer Band gespielt. Da haben wir zum Beispiel musikalische Experimente gemacht. Mit Stimme, Saxophon, und das dann technisch verändert. Wir nannten es „musikalische Landscapes“ und haben es bisdamit bis nach New York und Japan ins Radio geschafft.image1 (1)

Uff. Das überrascht mich jetzt. Und wie ging es weiter? Hast du eine Karriere als Musiker geplant? 1992 war mein Abschlussjahr an der Akademie. Da musste ich mich entscheiden, Musik oder Kunst zu machen. Ich entschied mich für Kunst und bin nach Amsterdam gezogen. Dort hab‘  ich immer gemalt und nebenbei zwei Tage die Woche in einem Shop gearbeitet. So kam ich knapp über die Runden. Und im Jahr 2000 bin ich dann der Liebe wegen in die Schweiz. Hier habe ich zusätzlich zur Malerei angefangen als Werklehrer zu arbeiten und auch noch die pädagogisch-didaktische Ausbildung gemacht.

Okay. Jetzt muss ich wirklich mal nach deiner Malerei fragen. Wie malst du? Was interessiert dich? Wo nimmst du deine Themen her? Oh, du willst ja ganz schön viel auf einmal wissen. Na, fang‘ ich mal an…. Eine Weile habe ich abstrakt gemalt. Dann wurde mir das zu langweilig. Ich bin also zum Realismus gewechselt und hatte dann auch erste Ausstellungen. Da ich ein Beobachter bin, interessiert mich so ziemlich alles. Ich schaue, was in der Welt um mich rum passiert. Dann drängen sich auch schon Themen auf, mit denen ich mich auseinandersetzen will.

Unheimlich, so ein Attentäter mit Kindergesicht

Nenne doch mal ein Beispiel. Also eines davon ist die Serie „Amokläufer in Schulhäusern“. 2009 gab es doch diesen Anschlag in Winningen (DE). Mit insgesamt 16 Toten.  Am nächsten Tag war das in der Zeitung. Und am übernächsten war es gleich vergessen. Da bin ich so frustriert gewesen. Über die Menschen. Und auch über mich selbst.  Denn man hat das so schnell wieder aus dem Kopf gehabt. Ich dachte: „Meine Güte, wie sind wir Menschen nur?“ Das hat mich wahnsinnig gestört. Und deshalb habe ich dann angefangen,  mich dem Thema „Amoklauf“ zu nähern. Und zwar durch Bilder von Tätern. Zu dieser Zeit wollte ich sowieso Porträts malen und da war das ein guter Anlass.image2

Wie bist du genau vorgegangen? Ich begann im Internet zu recherchieren, wann man denn eigentlich das erste Mal einen Amoklauf geschichtlich festgehalten hat. Und ich bin auf das Jahr 1927 gestossen. Ich fand ein altes Foto. Damals hat wer ein ganzes Schulhaus in die Luft gesprengt. Ich war völlig schockiert von der Erkenntnis, dass Amoklaufen also kein neues Phänomen ist. Ich habe auch bei Psychologen recherchiert. Anscheinend gibt es da gewisse Zusammenhänge zwischen solchen Taten und beispielsweise Gemobbt-Werden, der Verabreichung bestimmter Psychopharmaka an jugendliche Täter oder den sogenannten „egoshooter games“.  Aber sicher ist es sehr schwierig, da Kausalitäten herzustellen und man muss sehr vorsichtig damit sein.

Abschliessend wüsste ich noch gerne, wie die konkrete Serie entstanden ist. Ich malte Fotos der Amokläufer ab. 25 Stück. Es waren liebe Fotos. Ganz harmlos. Die meisten der Täter waren Jungs, noch richtige Kinder. Manche waren gerade mal elf oder 14 Jahre alt. Diese Einsicht war unheimlich und erschütternd und hat auch mein Malen begleitet. Aber ich denke, dass spürt man als Betrachter der Serie auch. Ich hoffe es zumindest. Denn ich wollte damit aufrütteln. Ich wollte die Bilder ausstellen und den Menschen sagen: „ Vergesst nicht immer so schnell.“

Rik, vielen Dank für die Zeit, die du dir für dieses Interview genommen hast.

 

Anmerkung von „Der Puck“: Rik hat mir noch viel, viel mehr Lesenswertes berichtet. Leider sprengt das aber den Rahmen eines Blogs. Seine Holzarbeiten beispielsweise kommen hier gar nicht zur Sprache, was sehr schade ist. Wer mehr wissen will, sollte sich auf seiner Website informieren. Oder bei den Galerien, die Rik Beemsterboer in St.Gallen, Zürich und Altendorf vertreten.

Im St.Galler Staatsarchiv – Ein Besuch

Unterirdische Gänge, Familiengeheimnisse und alte Handschriften –  Wer nun glaubt, dass es hier um die Filmbesprechung zur neusten Fantasy-Triologie aus Hollywood geht, liegt daneben. Vielmehr ist die Rede vom Staatsarchiv des Kantons St.Gallen. Dort nämlich erstreckt sich auf über 10 Laufkilometern der heutige Bestand an sogenannten „Archivalien“, also all dem, was im Archiv aufbewahrt wird. Und Jahr für Jahr kommen zwischen 100 bis 300 Laufmeter dazu. Regula Wyss, Informationsspezialistin FH beim Staatsarchiv, hat mir von ihrer „unterirdischen“ Tätigkeit erzählt.

Frau Wyss, Sie arbeiten im „unterirdischen“ Staatsarchiv des Kantons St.Gallen? Was genau ist Ihre Tätigkeit? Zunächst möchte ich Sie hier kurzberichtigen: Wir haben zwar unterirdische Magazine. Die meisten sind aber im 3. und 4. OG. Und zu dem, was ich tue: Bestände entgegen nehmen, reinigen, sortieren und im Online-System erfassen. Daneben bin ich aber auch für die Erhaltung der Bestände zuständig. Das ist sehr herausfordernd, weil wir ganz unterschiedliche Medien haben. Fotos und Filme etwa sind schwieriger über lange Zeit zu erhalten.

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Degradiertes Filmmaterial

Haben Sie auch mit Problemen bei der Archivierung zu kämpfen? (Seufzt) Ja, mit vielen. Wir kommen z.B. definitiv mit unserem Platz an die Grenzen. Wenn dann was Neues reinkommt, weiss man kaum mehr wohin. Wir sind aktuell daran, Teile auszulagern, weil wir schier aus allen Nähten platzen. Das sind logistische Knackpunkte. Daneben gibt’s teilweise auch Altlasten aus verschiedenen Beständen, wie Schimmelbefall. Viele Leute bringen ihre Archivalien in verunreinigtem Zustand zu uns. Aber wir arbeiten kontinuierlich dran, diese Dinge zu reinigen und haben gute Erfolge.

Was reizt Sie besonders an Ihrer Tätigkeit? Ich habe das Glück, einen sehr vielfältigen Job machen zu dürfen. Es gibt ständig neue Themen. Das macht riesig Spass. Mal geht es um viel Papier, mal um Fotos. Man bekommt auch Einblicke, wie der „Bestandsbildner“ mit seinem Material umgegangen ist. Das ist interessant. Und man hat viele Kontakte zu anderen Leuten, die an wichtigen Schnittstellen mitwirken. Der Mix aus intellektueller Arbeit und praktischer Tätigkeit reizt mich.

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Kästchen mit Intersien

Was für Dinge archivieren Sie hier – und von wie viel Stücken sprechen wir eigentlich? Es sind vor allem Dokumente aus Papier, dann Pergamente, Filme und Fotografien, die wir hier haben. Dann haben wir natürlich auch Ungewöhnliches: Z.B. Gemälde, Kuhglocken, Fahnen, Schächtelchen mit Intarsien und sogar ein Kondom aus Schweinedarm. Wenn Sie nach den Stückzahlen fragen: Da sprechen wir nicht von Stückzahlen, sondern von Laufmetern, resp. Kilometern.

Der eignen Herkunft auf der Spur

Wer kann sich an Sie wenden? Grundsätzlich kann sich jeder an uns wenden. Viele wissen davon leider nichts. Die meisten Leute sind dann sehr überrascht, wenn sie das erfahren. Privatpersonen oder private Körperschaften beispielsweise können historisch wichtige Informationen aus ihrem Leben liefern genauso wie etwa öffentliche Einrichtungen. Letztere machen ungefähr 90% unserer Bestände aus. Andersherum besteht die Möglichkeit, etwas über die eigene Herkunft bei uns herauszufinden. Etwa dann, wenn man in einem Kinderheim aufgewachsen ist…

Lehrerspiel

Ein Lehrerspiel

Was ist das älteste Stück im Staatsarchiv? Wir haben etliche jahrhundertealte Stücke. Anscheinend haben wir sogar ein Stück vom Leichentuch, das die Mumie in der Stiftsbibliothek trägt … Aber eigentlich sind wir eher ein modernes Archiv. Es beginnt nämlich erst mit der Kantonsgründung im Jahr 1803 als Organisation zu existieren. Dennoch: Für die Zeit ab etwa 1600 haben wir eine ansehnliche Überlieferung auszuweisen. Das Stiftsarchiv, welches unser direkter Nachbar ist, hütet aber das Archivgut der Fürstabtei St.Gallen. Diese beherrschte jahrhundertelang grosse Teile des Kantons. So bildet es eine Art „altes Landesarchiv“, neben dem „neuen“, eben unserem Staatsarchiv. Das ist wohl eine Sondersituation, die wir da in St. Gallen haben.

Frau Wyss, ich danke herzlich für das Gespräch.

Neugierig auf MEHR geworden? Dann geht’s hier zum PDF vom ausführlichen Interview mit Regula Wyss. Oder man kann sich sehr gut auf der Website Staatsarchiv informieren.

ein modell ist kein ausgestopfter fuchs

Kleider runter, stillstehen, Geld verdienen? Klingt toll und eigentlich ganz einfach. Zumindest, wenn man gerne die Hüllen fallen lässt und nicht schnell friert… Oder gibt’s noch mehr, was es zum Beruf des „Akt-Modells“ zu sagen gibt? Ich habe einmal nachgefragt: bei Liliana Koller, Jahrgang 1988, berufstätige Sozialpädagogin und  Aktmodell im Nebenjob. Und bei Claudia Züllig, Aktzeichnerin und Lehrerin an der Schule für Gestaltung. In welchem Fach wohl? Na klar!

Liliana, du hast „Soziale Arbeit“ studiert, bist in diesem Berufsfeld auch seit letztem Jahr berufstätig und arbeitest nebenbei als Aktmodell. L:  Ja, das ist irgendwie lustig. Aber es scheint in der Familie zu liegen. Ich habe noch vier Schwestern, die auch schon alle Modell standen – meine Mutter übrigens auch.

Wie bist du an den Job gekommen und was gefällt dir daran?  L: Ich bin vor 7 Jahren über eine meine Schwestern dazu gekommen. Angefangen habe ich dann, weil mich als Studentin einerseits der finanzielle Aspekt gelockt hat. Andererseits fand ich aber auch den Kontakt zu den Kunstschaffenden klasse. Ich hatte vorher schon die gestalterische Maturität gemacht und war von Kunst fasziniert.

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Liliana als sitzender Akt. Gezeichnet von Claudia.

Claudia, du bist eine dieser Kunstschaffenden. Während des Zeichnens bist du „auf der anderen Seite“, sezierst Liliana praktisch mit Blicken. Wie fühlt sich das an? C: Ich empfinde das Aktzeichnen gar nicht als „sezierend“. Es ist für mich etwas Prüfendes. Ein Bezugnehmen auf eine Form, oder eher noch: eine Gegenform. Das Modell ist sowas wie eine beseelte Landschaft. Das ist stimulierend. Ich empfinde Aktzeichnen als belebend, weil ich mich da total fokussiere und den Kopf von allem anderen frei mache.

 Aktzeichnen ist Teamwork zwischen Zeichner und Modell

Liliana, dir geht es in diesem Moment des Gezeichnet-Werdens doch sicher anders? Oder? L: Der Blick der Zeichnenden hat mich nie gestört. Ich habe ein gutes Körpergefühl und mir war es auch nie unangenehm, angeschaut zu werden, wenn ich nackt bin. Am Anfang dachte ich zwar noch, ich muss mich verrenken, damit die Pose gut aussieht. Ziemlich bald habe ich aber gemerkt, dass ich mich wohl fühlen muss, damit was Gutes rauskommen kann.  Und ich darf mich sogar mal bewegen, hab ich gemerkt und muss nicht stocksteif dastehen.

Das tönt kinderleicht, wenn Liliana erzählt, wie man Modell steht. Wie siehst du das als Lehrerin, Claudia? Ist es so einfach?  C: (lacht): Nein, das ist es sicher nicht. Ein gutes  Modell muss bei sich sein. „Anwesenheit“ ist das Zauberwort. Es funktioniert nicht, wenn eine Person einfach nur da ist. Auch wichtig: Ein erfahrenes Modell muss sich so geben, dass es für das Modell persönlich stimmt. Dazu gehören ein zufriedenes Körpergefühl und eine gute Körperspannung. Dann passt es auch für den Betrachter. Ich habe schon oft gemerkt, dass Personen, die im Alltag mit ihrem Körper „schaffen –  z.B. Physiotherapeuten, Tänzer, Schauspieler – leichter Modell-Stehen als andere.

L: Du machst es einem aber auch leicht. Du hast so eine offene und herzliche Art. Und dir ist es wichtig, dass es die Modelle gut haben. Dass es bequem ist, es Musik hat, die Posen nicht zu lange sind. Ausserdem gibst du Rückmeldungen, wenn was gut ist – und auch, wenn was mal nicht so stimmig ist. Damit hilfst du deinen Modellen.

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Ein Blick in den Zeichen-Saal der GBS St.Gallen.

Ein Modell ist was anderes als ein ausgestopfter Fuchs

Musik, eine bequeme Unterlage – reicht das, damit etwas Gutes zwischen Modell und Zeichner entsteht? C: Schön wär‘s. Aber nein, es reicht nicht. Was es auf alle Fälle auch braucht: Vertrauen, Entspannung, gegenseitiges Interesse und – besonders wichtig – Respekt. Der Zeichnende muss sich bewusst sein, dass es ein Geschenk des Modells ist, wenn es sich zeichnen lässt und derart exponiert. Aus dem Grund gebe ich meinen Schülern feste Regeln für das Verhalten im Zeichensaal vor. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ein Modell kommt oder man einen ausgestopften Fuchs zeichnet. Bei mir müssen die „Youngsters“ – also die Auszubildenden im Vorkurs –  erst mal 10 Minuten selber in Kleidung Modell stehen. Dann wissen sie, wie sich sowas anfühlt und wie anstrengend es ist.

Liliana, tönt ganz so, als ob du es noch eine Weile bei Claudia aushalten wirst. L: Ganz sicher. Auch wenn ich wegen meiner Berufstätigkeit nicht mehr so viel Zeit habe wie früher, um diesen spannenden Nebenjob zu machen. Aber solange ich noch das Gefühl habe, dass es Menschen Spass macht, mich zu zeichnen, stehe ich Modell. Und hin und wieder schenkt mir einer der Zeichnenden auch eines der Bilder, die er von mir gefertigt hat. Das berührt mich dann immer wieder sehr.

Liebe Liliana, liebe Claudia, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Wer sich selber einmal im (Akt-)-Zeichnen erproben möchte findet hier Kurse an der GBS St.Gallen

 

das „hier“ und „jetzt“ ist viel zu interessant.

Gabriela Falkner ist in Bewegung. Davon zeugen nicht nur ihre diversen Lebensstationen von Lausanne über New York bis nach Zürich und Herisau. Auch im Berufsleben lässt sie keine Monotonie aufkommen. Früher beispielsweise war sie in ausbildender, beratender und projektleitender Tätigkeit unterwegs. Heute ist sie Fotografin, Installationskünstlerin und Kulturmanagerin im St.Galler Kulturbüro (KuBü). Im Gespräch erzählt sie von ihrem facettenreichen Schaffen und davon, wie es gelingt, sich auf dem weiten Feld des Kunst- und Kulturschaffens zu bewegen, ohne die Orientierung zu verlieren.

Gabriela, du mischst selber aktiv in der Ostschweizer Kunstszene mit und bist hier keine Unbekannte. Daneben berätst du Kunstschaffende aller Sparten, wenn es um Organisatorisches und Administratives geht. Wie erlebst du es, quasi zur selben Zeit auf beiden Seiten des Mäuerchens zu stehen?

Eigentlich ist es ja gar kein Mäuerchen, bei dem ich auf zwei Seiten stehe. Ich sehe mich da eher als Allrounderin auf einem grossen Feld. Oder auf einem weiten Kultur-Platz. Denn ich kuratiere auch noch – neben dem „selber machen“ und „beraten“.
Vom Erleben her ist das für mich eine extreme Bereicherung. Weil mir die Anliegen der einzelnen Bereiche vertraut sind, kann ich mich den verschiedenen Herausforderungen stellen. Zugleich fühle ich mich in den unterschiedlichen Rollen auch wohl.

 

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Wieviel von diesem, nennen wir es mal: „Allrounderwissen“ kannst du in deinem Job im Kulturbüro einbringen?

Die meisten, die ins KuBü kommen wissen nichts über meinen Hintergrund. Sie suchen Unterstützung und wenn ich die, aus welchem Bereich auch immer, anbieten kann, dann passt das bestens.

Was reizt dich, was nervt dich an deinen verschiedenen Rollen?

Was mich reizt? Dass ich ein sehr abwechslungsreiches Leben habe. Mir gefällt dieses ganzheitliche Denken und Vernetzen und das Herstellen von Bezügen unter den einzelnen Bereichen. Dabei kann ich meine unterschiedlichsten Fähigkeiten einbringen und lerne zudem viele neue Kulturschaffende kennen. Und als Künstlerin lerne ich viel für meine persönliche Entwicklung, das ist wichtig für mich.

Und was mich stört?

Das sind eigentlich drei Dinge. Zum einen braucht es viel Energie, in allen Bereichen strukturiert zu arbeiten. Ich kann daher gar nicht alles machen, was ich gerne umsetzen würde. Zum zweiten ist mein Profil wohl nicht immer ganz fassbar. Die Leute können mich dann nur schwer irgendwo einordnen. Und zum dritten braucht es viel Arbeit, künstlerisch ernst genommen zu werden. Da würde ich gerne schneller vorankommen.

Grenzen zu erproben, neue Wege zu gehen und dabei auch das Risiko zu wagen, in Sackgassen zu landen, gehört einfach zu der Biografie kunstschaffender Menschen. Wie geht man am besten damit um? Oder besser gefragt: Wie gehst du persönlich damit um? Sowohl als Künstlerin wie auch als Beraterin von Künstlern?

In Sackgassen zu stehen, zu scheitern, das tut im Moment extrem weh und stresst. Aber das ist ja nicht nur im künstlerischen Handeln so… das kennt ja jeder wohl selbst aus seinem Alltag. Ich weiss mittlerweile, dass diese Situationen immer wieder kommen. Dann nicht aufzugeben und sich zurückzuziehen, ist schwierig, aber meines Erachtens entscheidend. Ein paar Leute im Leben zu haben, die man anrufen kann, wenn man an so einem Punkt ist, finde ich wichtig. Zudem habe ich ein persönliches Ritual. Ich personifiziere dieses Sackgassen-Gefühl: Der „Störfaktor“ sitzt auf meiner Schulter und nervt. Ich spreche mit ihm und gebe ihm zu verstehen, dass er ruhig wieder verschwinden kann.

Stichwort „Ziele“: Welche möchtest du noch erreichen? Hast du eine feste „Reiseroute“ oder ist es eher ein Sich-treiben-und-überraschen-lassen?

Mein Ziel war es lange, zu 100 Prozent im Kulturbereich aktiv zu sein. Das habe ich erreicht. Im Moment möchte ich meine künstlerische Seite mehr ausleben und zusätzliche Zeit dafür investieren. Ich bin ja Autodidaktin und habe mir in einem langen Prozess alles selber erarbeitet. Nun bin ich gespannt, wie es sich entwickelt, auch mit meiner intuitiv angelegten Vorgehensweise. Planen, wohin es noch gehen soll, will ich persönlich aktuell aber nicht. Das „Ist“ und „Jetzt“ ist dafür viel zu interessant.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Und wer mehr über Gabriela Falkner wissen will, kann sich hier schlau machen. Im Künstlerarchiv.

Oder hier: Gabriela Falkner bei Gruppenausstellung und als One-Woman-Show

kleinkunst – mit programmen bewegen

wir wollen mit unseren programmen bewegen

Matthias Peter ist im allerbesten Sinne «multifunktional»: Autor, Schauspieler, Kulturjournalist, Regisseur. Im Jahr 2000 erhielt er einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen und 2004 übernahm er die Leitung der traditionsreichen St.Galler Kellerbühne. Aus der Ostschweizer Kulturlandschaft ist er heute nicht mehr wegzudenken. Im Interview durfte ich den Vielbeschäftigten ein bisschen ausquetschen. Zum Beispiel über Kleinkunst im Allgemeinen und Eigenproduktionen im Besonderen….


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Matthias, macht es heute eigentlich noch Spass, Kleinkunst anzubieten? Ein leichtes Business ist das ja nicht. Auf jeden Fall macht es Spass! Auch nach elf Jahren, die ich diese Arbeit jetzt schon machen darf. Die Freude besteht vor allem darin, dem Publikum aus dem breiten Angebot der Kleinkunstszene Perlen zu präsentieren Die Zuschauer sollen bei uns ein Programm mit hohem Niveau zu sehen bekommen. Da kommt mir meine Rolle als Kulturjournalist zugut. Nicht nur der Blick des Veranstalters.

Viele Leute haben heute ein ausgeprägtes Event-Denken. Sie suchen auch beim Kultur-Programm «Celebrities». Wie geht die Kellerbühne damit um? Unser Motto lautet „Über die Hintertreppe zum Vordenken“. Wir wollen mit unseren Programmen bewegen und ein bisschen länger in den Köpfen bleiben. Deshalb zeigen wir auch anspruchsvolles Sprechtheater und halten an dieser Programmschiene fest. Nur leicht verdauliche Comedy? Das geht gar nicht. Aber klar: Wir müssen den Zahlen zuliebe Kompromisse eingehen. Denn es stimmt schon, dass bekannte Namen das Publikum anlocken.Neues und Unbekanntes hat es bekanntlich schwerer.

Du wagst es dennoch, No-Names auf die Bühne zu holen. Wieso? Wenn ich neue, unbekannte Namen ins Programm nehme, ist es immer ein Entscheid, diese Namen auch zu pflegen. Dann sind das Leute mit Potenzial, die ich fördern möchte. Mir ist es wichtig, pro Saisondrei, vier neue Gesichter auf die Bühne zu holen.

Heute wird oft von einem Überangebot an Kultur geredet. Ist das ein Thema, das dir Kopfschmerzen bereitet? Nein. Trotz des steigenden Angebotes hat die Kellerbühne kein Publikum verloren. Eher gewinnt sie konstant neue Zuschauerkreise dazu.  In meinem Buch „Applaus & Zugaben“ über die Geschichte der Kellerbühne und der Kleinkunst beschreibe ich, wie sich das kulturelle Angebot in St.Gallen entwickelt hat. Die Eröffnung der Kellerbühne 1965 bedeutete den Beginn der Alternativkultur in der Ostschweiz. Zwanzig Jahre später kamen die Grabenhalle und das Kinok hinzu. Ab Mitte der 90er Jahre, quasi explosionsartig, Kugl, Palace, sommerliches Kulturfestival und so fort…Ich denke, dass wir mit der Fragmentierung von Gesellschaft und Interessen leben können.  Durch ihr breitgefächertes Angebot erreicht die Kellerbühne ein grosses Stammpublikum.

Je spezieller der Spielplan, desto grösser auch das finanzielle Risiko.. Wie kann man heutzutage noch wirtschaftlich Kunst/Theater machen? Uns gelingt das mit dem bewussten Wechsel von Saalfüllern und neuen Gesichtern. „Zugpferde“ wie etwa Simon Enzler, Heinz de Specht oder die Ex-Acapickels  tragen die anderen mit. Ausserdem haben wir einen grossartigen Mitarbeiterstab, der bereit ist, für wenig Geld super Einsatz zu bringen.

Im Herbst bringst du wieder eine Eigenproduktion raus. Eine szenische Lesung. Sie heisst «Kulissenklatsch ! – Ulrich, Karl, Lora & das alte Theater am Bohl». Grundlage dafür bot der 1909 veröffentlichte St.Galler Theaterroman «Die Brokatstadt» von Viktor Hardung.  Warum hast du gerade dieses Werk in Szene gesetzt? Hardungs Buch ist der erste moderne St. Galler Stadtroman. Man kann daraus viel über unsere lokale Kulturgeschichte erfahren. Es ist mir wichtig, nebst dem Gastspielbetrieb, auch St.Galler Themen aufzugreifen.

Welche St.Galler Themen meinst du damit? Verrätst du ein bisschen mehr? Man erfährt, dass St. Gallen das älteste feste Berufstheater der Schweiz hat. Weil sich die florierende Textilstadt das leisten konnte und wollte. Der erste Standort war übrigens da, wo heute die Kantonspolizei sitzt. 1857 wurde dann das Stadt- und Aktientheater am Bohl errichtet, welches Hauptschauplatz des Romans ist. Man bekommt aber auch vermittelt, dass eine Schauspielerin kaum von ihrer Gage leben konnte. Sie musste aus reinem Pragmatismus einige Verehrer haben, die ihr beispielsweise Kleider schenkten. Das  Bürgertum hat sie dafür als zwielichtige Person abgestempelt. Mit Staunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Diskussionen um die Aufgaben der Bühnenkunst und der Kritik unverändert aktuell geblieben sind. Sich mit all diesen Sachen zu befassen, zu sehen, woher das Theater in St.Gallen kommt, was es sein wollte und was es effektiv war, ist spannend und verweist implizit auf die Gegenwart. Ich freue mich schon darauf, wenn sich am 22. September zum ersten Mal der Vorhang dafür hebt!

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier gibts mehr Infos zu Kulissenklatsch und Spielplan Kellerbühne

künstlerische projekte durch gesuche finanzieren

Die Kulturstiftung des Kantons Thurgau ist eine der Schweizer Institutionen, die viel Herzblut für die Unterstützung von künstlerischen Projekten einsetzt. Sie bietet zum Beispiel Beratung in künstlerischen Fragen an, hilft mit, kreative Ideen in Taten umzusetzen und realisiert zum Teil eigene Projekte. Darüber hinaus leistet sie aber auch finanzielle Beiträge an Kunstschaffende, die einen Bezug zum Thurgau haben. Wer von dieser Unterstützung profitieren will, kommt allerdings nicht drum herum, ein entsprechendes Gesuch einzureichen. Aber wie schafft es ein Gesuch überhaupt auf den «Radar» der Geldgeber? Wie gross ist die «Flut von Gesuchen» eigentlich? Und was sind die absoluten NO-GOs? Caroline Minjolle, eine der drei «Macher» im Stiftungsteam, hat mir darüber etwas mehr verraten.

KulturstiftungTG unterstuetzt künstlerische Projekte aller Sparten

Wenn man von einer «Flut von Gesuchen» spricht, von welcher konkreten Zahl reden wir da? 

Für 2015 kann ich da noch keine definitiven Zahlen nennen, denn bei uns werden das ganze Jahr über Gesuche eingereicht. Aber 2014 haben wir 118 Gesuche erhalten. Unterstützt haben wir davon dann 67.

Und welche Sparten sind darunter vertreten?
Oh, da gibt es das ganze Spektrum. Das geht von Literatur über Musik und Musiktheater bis hin zu Performances, Fotografie, Film und natürlich den bildenden Künsten.

Dürfen Sie verraten, wie hoch der Gesamtbetrag war, den die Kulturstiftung des Kantons Thurgau im letzten Jahr vergeben hat?

Ja sicher. Das ist kein Geheimnis. Im 2014 waren es 700‘530 CHF. Dabei handelt es sich übrigens um öffentliches Geld. Es stammt aus dem Lotteriefond.All diese Informationen sind übrigens auf unserer Website. Dort sind auch unsere Jahresberichte zum Downloaden.

Wie muss sich ein Gesuch präsentieren, um Ihr Interesse zu wecken?
Wie so oft im Leben ist der erste Eindruck entscheidend. Da muss gleich ein Funke überspringen. Es geht nicht darum, dass alles auf Hochglanz getrimmt ist. Vielmehr erwarten wir, dass uns kurz und prägnant der Kern der Idee aufgezeigt wird.

Was müssen Gesuchsteller sonst noch beherzigen?
Jeder, auch Kunstschaffende, die wir schon kennen oder die bereits eine gewisse Stellung in der öffentlichen Wahrnehmung haben, sollten sich an die Form halten und die üblichen Unterlagen einreichen. Dazu gehören ein vollständiger Projektbeschrieb und auch ein Finanzierungsplan. Ansonsten gibt es kaum objektive Kriterien. Was klar ist: eine gewisse Sorgfalt muss sein. Und zudem sollte die Dinglichkeit des Projektes deutlich raus kommen sowie ein emotionales Feeling.

wir unterstützen auch riskantere projekte

Haben Gesucheinreichende realistische Vorstellungen, welche Gelder sie erwarten dürfen? Oder werden bei Ihnen auch regelrechte Phantasie-Beträge angefragt?
Meistens sind die Beträge realistisch. Wir hatten zwar schon mal einen “Knaller“, als 100‘000 CHF angefragt wurden. Das war total überzogen.
Das höchste, was wir je tatsächlich bewilligt haben, waren 70‘000 CHF für das freie Theater Thurgau. Da ging es um jährliche Theaterproduktionen für den Thurgau. In der Regel liegt das Maximum bei 30‘000 – 40‘000 CHF . Aber wir finanzieren auch kleinere Projekte. Manchmal können auc h kleine Summen ein Projekt retten . Im Allgemeinen gilt eine Unterstützung der Kulturstiftung als „Statement“ unsererseits gegenüber anderen Geldgebern.

Beschreiben Sie bitte einmal das übliche Prozedere, bis ein Gesuch bewilligt wird.
Im Team sortieren wir zunächst alles, was zu unseren Kriterien passt. Was nicht reinpasst, leiten wir ans Kulturamt weiter oder weisen wir zurück. Dazu zählen z.B. Projekte mit sozialem oder historischem Charakter. Wir unterstützen ausschliesslich zeitgenössische Kunst, hier aber auch gerne risikoreiche Projekte, die ohne Unterstützung nicht zustande kommen, weil sie zu wenig kommerziell sind oder ein Nischenpublikum ansprechen.

Als nächstes begutachten wir die Gesuche und treffen eine Auswahl. Bei Projekteingaben, die unter 10‘000 CHF liegen, entscheiden wir selbst, das Team, was wir unterstützen. Das passiert laufend. Höhere Beträge werden dem Stiftungsrat vorgelegt, entsprechend der Eingabetermine auf unserer Website. Da wird wieder alles exakt geprüft, auch durch externe, unabhängige Experten. Der Schlussentscheid liegt dann beim Stiftungsrat. Manchmal kann eine Entscheidung am Ende noch kippen. Das ist immer ziemlich aufregend.

Und ein Tipp von Ihnen zum Schluss: Welches No-Go sollten Gesuchsteller sich unbedingt „verkneifen“?
Man sollte nicht versuchen, uns hinters Licht zu führen. Leider passiert das hin und wieder. Manche blasen etwa Budgets künstlich auf. Oder es werden verschiedene Gesuche für ein bestimmtes Ensemble von unterschiedlichen Personen eingereicht. So versucht man, uns vorzutäuschen, dass es sich um verschiedene Projekte und KünstlerInnen handle. Derartiges schätzen wir gar nicht. Wer sowas tut, verringert seine Chancen auf Gelder von uns. Aber die allermeisten Leute sind ja ehrlich. Und die unterstützen wir dann auch von Herzen gern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wer sich mal bei der Kulturstiftung des Kantons Thurgau umschauen will, kann das hier tun Kulturstiftung Thurgau