neu aufgelegt: „untertauchen“
Lydia Tschukowskajas Roman „Untertauchen“ war lange Zeit vergriffen. Nun bringt der Dörlemann Verlag eine Neuedition des Werkes heraus. Die Literaturkennerin Edith Peyer hat das Werk in seiner Neuauflage gelesen und findet: „Tschukowskaja gelang es, ein schweres, beklemmendes Thema in ein literarisches Kunstwerk zu verwandeln.“
Die Handlung
Die Protagonistin Nina Sergejewna verbringt einige Wochen im Winter 1949 in einem Sanatorium für Künstler auf dem Lande nördlich von Moskau, um in der Stille unterzutauchen, sich dabei ihren quälenden Erinnerungen stellen und sie in einem Roman verarbeiten zu können wie sie in ihren Tagebuchnotizen schreibt. Der Schmerz über den Verlust ihres geliebten Mannes Aljoscha, er wurde vor 12 Jahren von Stalins Schergen grundlos verhaftet mit sogenanntem „Briefverbot“, und die Frage, ob er noch lebt, vielleicht in einem jener berüchtigten Straflager oder umgebracht wurde, sind Themen ihrer Notizen sowie die winterliche Landschaft, Gedichte und Begegnungen mit den anderen Künstlern. Erfährt sie vielleicht etwas über Aljoschas Schicksal von ihrem Tischnachbarn, dem Schriftsteller Bilibin, der jahrelang als Gefangener in einem Lager unter den härtesten Umständen schuften musste? Schreiben und diskutieren die anderen Kurgäste nur nach der von der Partei vorgeschriebenen platten Kunstästhetik? Und Bilibin? Wie und was schreibt er in seinem Roman über das Straflager, von dem er ihr auf langen Spaziergängen stockend berichtete?
Tschukowskajas Alter Ego
Die Figur Nina Sergejewna ist unverkennbar Lydia Tschukowskajas Alter Ego. Ihr Mann, der Physiker Matwej Bronstein, wurde 1937 deportiert und sie selbst blieb seither ohne Nachricht von ihm. Erst viele Jahre später erfuhr sie, was das hiess, „Gefangenschaft ohne Briefkontakt“ – ein Euphemismus für „sofortige Erschiessung“. Lydia Tschukowskaja verwandelte in„Untertauchen“ ihr erfahrenes Leid in grossartige Literatur. Ihre Naturbeschreibungen sind reine Poesie, ihre Figuren fein gezeichnet. Wie sie mit leiser Ironie die verlogene Atmosphäre im Sanatorium, ein Abbild der Sowjetgesellschaft, beschreibt ist bewundernswert. So erstaunt es nicht, dass „Untertauchen“ erst 1988 in der UDSSSR erscheinen konnte.
Auf Deutsch erschien dieses tief berührende Werk erstmals 1975 im Diogenes Verlag, meisterhaft übersetzt von der inzwischen verstorbenen Svetlana Geier.
Nun veröffentlichte der Dörlemann Verlag eine Neuedition der lange Zeit vergriffenen Ausgabe und ergänzte sie mit Tschukowskajas Rede vor dem sowjetischen Schriftstellerverband, der sie 1974 ausschloss. Es ist eine Rede voller Widerstandskraft und damit ein Zeugnis für Tschukowskajas absolute Verpflichtung zur Wahrheit. Hansjürgen Balmes verfasste zu dieser Edition das Nachwort.
Für diese auch äusserlich sorgfältig gestaltete Neuauflage sei dem Dörlemann Verlag herzlichst gedankt und dem Buch wünsche ich viele Leserinnen und Leser. (Edith Peyer)
Empfohlen von Edith Peyer, Buchhandlung Bücher-Insel, St.Gallen
Und wer noch eine andere Meinung wünscht — hier gehts zur Buchrezension der NZZ
Das Buch: Lydia Tschukowskaja: Untertauchen, Dörlemann Verlag
ISBN 978-3-908778-63-9