zum schmökern: „das kunstwerk“
Der mittlerweile steinalte Schriftsteller, Maler und Kunstkritiker John Berger (*1926) zählt nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsautoren in Sachen Kunst-Kapieren. Wieso das so ist, lässt sich vielleicht am Besten anhand seiner Buchs „Das Kunstwerk“, erklären. Es ist zwar schon ein Literatur-Oldie, 1985 unter dem Originaltitel „The Sense of Sight“ erschienen, aber „Oldies are (eben oft) Goldies“.
Berger gelingt es nämlich, auch komplizierte Themen leicht verständlich zu erklären. Und er nimmt bei allem, was er beschreibt, seine ganz persönliche Sichtweise ein, ohne dabei belehrend zu wirken.
Viele selbsternannte oder studierte Experten werfen ja gerne mit allerhand unverständlichen Fachworten um sich. Und dass, wo sie einem doch eigentlich leicht verdaulich und nachvollziehbar erklären sollten, was man ohnehin oft nicht kapiert: Zum Beispiel, wieso der eine blaue Fleck auf Leinwand tausende von Franken wert. Und der andere nur ausgelaufene Farbe?
Alle, die sich bisher verloren gefühlt haben – und dumm – fühlen sich sicher besser, sobald sie Berger gelesen haben. Und auch die, die viel Ahnung haben, freuen sich vielleicht, in Berger einen Autor mit Bodenhaftung zu finden. Einen, der Kunst als Freude für jeden sieht – und nicht als etwas, wofür man akademische Weihen braucht.
Tolle Texte, die neue Blickwinkel liefern
Sein Buch Das Kunstwerk bietet acht kurzen Essays mit Titeln wie „Die Augen Claude Monets“ oder „Dürer-Ein Bildnis des Künstlers“.
Um nur ein Essay kurz anzureissen: Wer Dürer kennt, weiss, dass dieser geradezu besessen war von seinem eigenen Bild, seiner physischen Erscheinung war. Seine vielen Selbstporträts, in einer Zeit wo Selfies noch kein Thema waren, zeugen davon. Und auch viele kunsthistorische Texte befassen sich ja damit. Aber Berger schafft es, auf eine besondere Art davon zu schreiben. Er bringt die Erschaffung der Porträts sehr menschlich in Bezug zu Dürers Stolz, seiner Eitelkeit und dem Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein. Und er befasst sich mit Dürers lebenslanger Angst vor dem Tod. Absolut lesenswert.
Mein Fazit: Für diejenigen, die sich ohnehin für Bildende Kunst interessieren, schafft Berger mit seinem Buch einen zusätzlichen Anreiz, das auch weiter zu tun. Und für Leute, die üblicherweise eher einen Bogen um jede Museumstür machen, gibt Berger schöne Hilfestellungen. Er zeigt, das auch „alte Schinken“ viele topaktuelle Themen enthalten und „Altes“ nicht verstaubt sein muss. Vielleicht motiviert es ja den ein oder anderen, sich einmal mit dieser Materie auseinanderzusetzen (und schliesslich auch die Mittelalter-Sammlung eines Museums mal mit Neugier zu durchstreifen?).
John Berger: Das Kunstwerk – Über das Lesen von Bildern, 23. Ausg., Berlin 2005
ISBN: 3 8031 1128 5